Duell: „Last Christmas“ – Liebe oder Hass?

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Gefühlt ab Ende September läuft George Michaels zeitloser Weihnachtsklassiker die Radios rauf und runter. Manche grölen selbst im Hochsommer begeistert mit, andere kriegen bereits ab dem dritten Ton des Liedes akuten Brechreiz. Was ist also dran? Nervt das Dauergedudel nur noch oder bringt es uns erst die richtige Weihnachtsstimmung?

LIEBE
HASS
Bald ist wieder Weihnachten – und ich hätte es fast nicht bemerkt. Denn meine Lieblingsradiosender haben eine neue Werbemasche: Sie schreiben es sich auf die Fahnen, ausdrücklich kein einziges Mal „Last Christmas“ zu spielen. Eine Unverschämtheit – denn das war in den vergangenen Jahren eigentlich immer das Startsignal, endlich hemmungslos Spekulatius, Lebkuchen und Glühwein in mich hineinstopfen beziehungsweise gießen zu können.

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Was hat „Jingle Bells“ noch mit Weihnachten zu tun?

Last Christmas ist nämlich das einzige Weihnachtslied, das in unsere Weihnachtszeit passt: schön bunt und kitschig. Alles andere ist Quatsch: Unsere Weihnachtsmärkte sind Konsummeilen, kein „Winter Wonderland“. Die läutenden Glocken von „Jingle Bells“ werden von Marktschreiern und Auto-Scooter-Musik übertönt. Nach dem elften Gühwein noch „Driving home for Christmas“ anzuhören bringt die meisten auf Ideen, die sie in Konflikt mit den Ordnungshütern bringen dürften und „White Christmas“ zu spielen wäre angesichts der Wetterlage wohl eher ein sehr schlechter Scherz.

Der musikalische Weihnachtsbaum

Deshalb passt nichts so gut zu Weihnachten 2011 wie „Last Christmas“ – auch wenn das Lied inzwischen ein paar Jährchen auf dem Buckel hat. Last Christmas ist nämlich ein echter Evergreen – wie der Tannenbaum! Denn der Sinn des Weihnachtsfests ist doch genau dieser: Alte Traditionen wieder aufleben zu lassen, altbekannte Rituale praktizieren und die Gemeinsamkeiten in der Familie zu feiern. Last Christmas ist inzwischen 27 Jahre alt – das kennt von der Großmutter bis zum breischlabbernden Baby jeder und reißt die Menschen heutzutage eher vom Hocker als wenn ein siebenjähriges Grundschulkind ein schiefes, quietschendes „Ihr Kinderlein kommet“ aus der Blockflöte rotzt.

Hohoho statt Gaga

Nicht nur auf dem Weihnachtsmarkt und unterm Tannenbaum: Auch im Radio ist George Michaels Hit eine willkommene Abwechslung. Denn die Hot-Rotation-Charts der meisten Sender beinhalten leider nur sieben Songs von drei verschiedenen Interpreten – da freue ich mich, wenn statt zum dritten Mal Lady Gaga innerhalb einer Dreiviertelstunde auch einmal „Wham!“ läuft.

Zugegeben: nach dem dreihundertachten Mal „Last Christmas“ von „Wham!“ werde auch ich langsam genervt. Deshalb bin ich heute umgestiegen: Auf die Cover-Version von The BossHoss. So wird der Klassiker nie langweilig und ich weiß: Auch „Next Christmas“ werde ich mein Herz wieder diesem Lied schenken.

„Last Christmas. I gave you my heart, but the very next day you gave it away…“. Bitte, bitte nicht schon wieder. Noch ein weiteres Mal und das Radio landet an der Wand! Der arme George Michael macht in jedem Jahr denselben Fehler. Und trotz des festen Vorsatzes, sein Herz das nächste Mal jemandem zu geben, der der Gabe gewachsen ist, klärt einen jedes Jahr aufs Neue ab Mitte November die Musikanlage eines jeden Einkaufszentrums darüber auf, dass er erneut die falsche Wahl getroffen hat.

Auch die Radiostationen lassen sich da nicht lumpen. Und so wird die Weihnachtszeit nicht durch die ersten Schokoladennikoläuse im Supermarkt eingeläutet, sondern durch einen akuten Ohrwurmbefall der ganz schlimmen Sorte. Last Christmas hier, Last Christmas dort und wenn man Pech hat, trifft man auf das Lied sogar in der S-Bahn. Klingeltonwerbung scheint doch zu fruchten, leider. Doch warum ist dieses Lied so beliebt?

Eigentlich „Last Easter“

Klassiker des weihnachtlichen Pop, ultimativer Weihnachtshit sagen viele. Quatsch sage ich! Der Liedtext handelt von einer verflossenen Liebesbeziehung und hat mit dem festlichen Anlass bis auf eine kurze Erwähnung im Refrain rein gar nichts zu tun. Ganz im Gegenteil: Bis heute sind sich viele im Plattengeschäft sicher, dass George Michael im Jahr 1984 lediglich den Text eines von ihm komponierten Stückes „Last Easter“ (Letzte Ostern) umgeschrieben hat. Seine damalige Plattenfirma verlangte einfach kurzfristig nach einem Weihnachtslied, um einige schnelle Pfund zu machen. Mit Weihnachten hat das Lied außer einer bloßen Zeitangabe nichts zu tun.

Obwohl der Song in Deutschland seit dem Jahr 1997 in hübscher Regelmäßigkeit die Charts stürmt, sobald die ersten Bäume ihre Blätter verlieren und die Ranglisten erst kurz nach Sylvester wieder verlässt, war das Stück in seinem Ursprungsland England nie auf Platz 1 der Charts. Überhaupt: wer ist Wham? George Michael ist bekannt, doch das ist eher seinen Eskapaden auf Londoner Bahnhofstoiletten zuzuschreiben, als seiner Musik. Und wie hieß das zweite Mitglied des Pop-Duos? Eben! Das weiß nämlich niemand!

Unerträgliche Versionen

Und eines ist mal Fakt: Der ausgeleiertste Weihnachts-Hit der Welt wird auch nicht besser, wenn sich der verrückte Jambafrosch, Cascada oder ein Ex-Superstars-Teilnehmer daran versuchen. Eher führt es dazu, dass man ein- und dasselbe Lied in zig noch unerträglicheren Fassungen auf die Ohren bekommt.

Klares Fazit: Manchmal ist weniger mehr und in diesem Fall ist gar nicht spielen noch besser. Ich wünsche euch allen Wham-freie Weihnachten!

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Foto: stockxchng/bizior, Montage: Steinborn/Patzwald, Teaserfoto: flickr.com/Andreas Ganahl

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