Aufstand der Eliten: Sollte jeder wählen?

Trump, Brexit, der Aufstieg der europäischen Rechten – manchmal ist das westliche Modell der repräsentativen Demokratie deprimierend. Eine minder informierte Masse sorgt mit ihrem Wahlverhalten für Entscheidungen, die gegen den Rat fachlicher Experten und die Meinung der meisten gut informierten Bürgern stehen. Doch es regt sich Widerstand. Ein Essay.

In der Brexit-Debatte war die bewusste Abkehr von Fakten sogar ein Kernbestandteil der Leave-Agenda. Alle Stimmen mit fachlicher Kompetenz warnten vor gravierenden Schäden für Wirtschaft und in weiterer Folge für die Bevölkerung von Großbritannien. Und dennoch konnte das euroskeptische Lager den Sieg erringen.

People in this country have had enough of experts.

Michael Gove, ehemaliger Bildungsminister, der sich für den Brexit ausspricht.

Es scheint, dass Fakten und Kompetenz bei Wahlen manchmal kaum noch eine Rolle spielen und die so oft als „postfaktisch“ bezeichnete Zeit tatsächlich eingetreten ist. Wenn Politiker wie Donald Trump mit glatten Lügen Präsidentschaftswahlen gewinnen, stellt sich die Frage, ob der politische Status Quo noch zufriedenstellende Resultate bringt.

In der Forschung regt sich erster Widerstand: Der Politikwissenschaftler Jason Brennan von der Georgetown University bezeichnet Trumps Wahlsieg in den USA als „Tanz der Trottel“. Er kritisiert das gegenwärtige politische System und fordert eine Form der Epistokratie, der Herrschaft der Wissenden. Der wichtigste Unterschied zur Demokratie: Die Stimmen gut informierter Wähler zählen mehr als die von uninformierten Wählern.

Die Epistokratie
Bereits vor 2500 Jahren sprach sich Platon für das Konzept der „Philosophenkönige“ aus. Maximal in Wissen und Ethik gebildete Herrscher entscheiden mit absoluter Macht alle Belange des gesellschaftlichen Zusammenlebens – idealerweise im Interesse aller. Es nicht abschießend geklärt, ob Platon das  System nur als Utopie oder als real umsetzbar verstand. Kritiker aller Epochen zweifelten an der Selbstlosigkeit der Herrschenden: Ihre eigenen Interessen würden die Entscheidungen beeinflussen.

Brennan plädiert in seinem Buch „Against Democracy“ für eine gemäßigte Epistokratie, die auch demokratische Merkmale aufweist. So sollen Umfang und Inhalt des Wissens, das für das volle Wahlrecht nötig ist, in einer demokratischen Abstimmung ermittelt werden. Die Wähler bestimmen also selbst, wie die Stimmen nach Wissensstand gewichtet werden und welches Wissen eine fundierte Wahl voraussetzt. Seiner Meinung nach kennen die meisten Wähler das Ideal des perfekten Wählers, können es aber nicht anwenden. Somit funktioniere sein Modell.

Brennan erhofft sich fachlich fundierte und somit vorteilhafte Entscheidungen: Seine neues Wahlrecht sorge für Freihandel, Einwanderung und Schwulenrechte, sagt Brennan in einem Spiegel-Interview. Steuern würden erhöht, Staatsschulden abgebaut, der Klimawandel bekämpft und es würde für Frieden gesorgt. Die starr positionierte Parteipolitik würde überwunden. Studien könnten das belegen.

Fatale Folgen von Brennans Konzept

Fundierte Entscheidungen statt impulsivem Wahlverhalten – das klingt verlockend. Politikwissenschaftler Christoph Schuck ist dennoch nicht überzeugt: Eine Epistokratie strebe nach Information und Wahrheit. Aber Kompetenz als Wahlvoraussetzung ließe sich nicht umsetzen. Ein „Wissenstest an der Wahlurne“ hätte fatale Folgen: „Menschen, die sich sowieso schon von der Politik vernachlässigt fühlen, würden ein wichtiges Ventil, ihr Wahlrecht, verlieren.“ Diese Menschen würden politisch ausgeschlossen, was sie nicht dauerhaft zuließen. Er kann sich vorstellen, dass Brennans „abstraktes und gefährliches Modell“ zu Kriegen und Revolutionen führen würde.

Christopher Beuter, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für politische Theorie der TU Dortmund
Foto: Sven Lüüs

Schucks Wissenschaftlicher Mitarbeiter Christopher Beuter vermisst bei Brennan ein grundlegendes Verständnis für Populismus-Wähler und ihre Beweggründe. Er empfindet Brennans Ideen als zu vereinfacht und will diesen eine fachlich fundierte Meinung entgegenstellen. Den Populismus erklärt er anhand eines Beispiels: Trump gewann unerwartet die Präsidentschaftswahl in einigen US-Bundesstaaten im mittleren Westen. Die Staaten hätten sonst immer die Demokraten gewählt. Der Anlass ihrer Wahlentscheidung: Unter der Demokraten-Regierung habe sich gefühlsmäßig nicht so viel verändert wie gewünscht. „Dann kommt einer, der die Kohlekraftwerke wieder anmachen will“, sagt Beuter. Für solche Ideen seien frustrierte Wähler anfällig.

Es sei auch ein weiterer Grund für den Populismus bei der US-Wahl ausschlaggebend gewesen: Binäre Wahlentscheidungen. Die Wähler konnten sich nur zwischen Clinton und Trump entscheiden. Sanders hat laut Beuter in den US-Bundesstaaten im mittleren Westen meist die Vorwahlen der Demokraten gewonnen. Für ihn ist es schlüssig, dass viele Wähler sich weder zu Trump, noch zu Clinton bekennen wollten. In Frankreich war das anders: Dort konnten sich die Wähler zumindest im ersten Wahlgang zwischen vier verschieden Kandidaten entscheiden, weshalb laut Beuter auch nicht die populistische Kandidatin Le Pen gewonnen hat. Wenn die Wähler mehr Auswahl haben, führe das zu einer Abnahme von Wahlentscheidungen aus Frust –  und genau diese sind die für den Populismus.

Probleme lösen und Transparenz schaffen

Beuter teilt gegen Brennan aus: „Solche Menschen, die enttäuscht sind, kann man nicht einfach als Trottel bezeichnen. Brennan geht nicht auf die Probleme dieser Leute ein und bezeichnet sie einfach als irrational“, sagt er. Man müsse fragen, was die Probleme dieser Menschen sind, und auf ihre Probleme eingehen. „Die Demokratie ist nicht perfekt. Es ist aber das beste System, das wir kennen“, sagt Beuter. Das Herrschaftsmodell habe sich bisher so oft durchgesetzt.

Brennans Konzept hingegen sei leicht zynisch: Menschen zögen in den Krieg, um eine Demokratie zu erkämpfen. Viele würden in diesem Kampf sterben. Dann käme Brennan, der selbst in einer Demokratie lebt und sage, dass eine Demokratie „nicht wünschenswert“ sei. Man müsse politische Entscheidungen transparenter machen – vor allem in der Europapolitik: „Wenn es keine objektive Debatte gibt – wie kann man von den Wählern erwarten, objektive Entscheidungen zu treffen?“

Auch Studenten an der TU sehen Brennans Modell größtenteils kritisch:

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Es stellt sich die Frage, inwieweit absolute Transparenz Populismus-Wähler beeinflussen würde. Sie ändert nichts an dem vagen Gefühl der Abgehängtheit und Benachteiligung durch Globalisierung und Eliten. In den Augen dieser Menschen leben wir längst in dem undurchlässigen Klassensystem, das Kritiker einer Epistokratie befürchten. Und in gewissem Rahmen haben sie recht. 91% der Mitglieder des aktuellen Bundestages sind nach Angaben des Deutschlandfunk Akademiker. Zum Vergleich: Aus Statistiken des statistischen Bundesamtes geht hervor, dass nur 14% der Bundesbürger einen Hochschulabschluss haben.

Getrennte Bildungsschichten über Generationen

Eine Mehrheit der Entscheider kennt die Probleme von Populismus-Wählern kaum, was dazu führen kann, dass es ihnen schwerfällt, auf deren Probleme einzugehen. Den gefällten politischen Entscheidungen ist das manchmal durchaus anzumerken. Und dann hängt die Wahrscheinlichkeit eines Hochschulabschlusses laut Zeit immer noch an der Bildung der Eltern. Was sich ergibt, ist ein graduelles Abgleiten in eine Oligarchie. Bildungsdarwinismus sozusagen. In den USA gibt es sogar eine Studie von Politikwissenschaftlern der Princeton University, die genau das aussagt.

Nun ist dieser Alarmismus sicherlich übertrieben, aber Defizite in unserer Auslegung und Umsetzung der repräsentativen Demokratie bleiben ersichtlich. Populistische Strömungen erscheinen in diesem Kontext beinahe als notwendiges Korrektiv. Zwar bleiben ihre Vorschläge unfundiert und meist nicht sinnvoll, aber der Grund ihres Auftretens wird schlüssiger. Grundsätzlich hängt die Nachhaltigkeit der repräsentativen Demokratie daran, dass sie für die Bevölkerung repräsentative Entscheidungen trifft. Um diesen Zustand wieder zu erreichen, müssen auch zukünftige Nichtakademiker bereits im Jugendalter politisch gebildet und in den politischen Diskurs integriert werden. Natürlich ist das eine Lösung, die nur langfristig effektiv sein könnte. Im Moment ist diese Vorstellung noch utopisch.

Es wäre ein unglaublicher Verlust, wenn die repräsentative Demokratie, die in idealer Ausprägung die beste aller möglichen Regierungsformen ist, geopfert werden würde, wie es Brennan vorschlägt.

Ein Essay von Lukas Gleichauf und Sven Lüüs

Fotos: Pflichtlektüre/Sven Lüüs

Beitragsbild:

Trump – Michael Vadon, lizenziert nach Creative Commons

Le Pen – Rémi Noyon, lizenziert nach Creative Commons