Dortmund kann mehr als nur Kohle

Die vier Forschenden Adrian, Benedikt, Uwe und Julia (v. l. n. r.) in der Dezentrale, einer Art offenen Werkstatt in Dortmund.

Jahrzehntelang ist Dortmund nach dem Ende des Bergbaus wirtschaftlich hinterherlaufen. Damit soll nun Schluss sein. Die Stadt will ihre eigene Zukunft gestalten – und das vor allem in den Bereichen IT und Logistik. Weit vorne liegt sie allerdings auch in einem anderen Punkt: der Arbeitslosigkeit.

Das Ruhrgebiet wird seinen Ruf als wirtschaftlich abgeschlagene Region nicht los. Noch immer denken viele Menschen zuerst an den Bergbau, wenn sie nach dem dortigen Arbeitsmarkt gefragt werden. An den Bergbau – und an die Arbeitslosigkeit. In Dortmund ist mehr als jeder Zehnte arbeitslos. Die Armutsquote der Region lag im vergangenen Jahr laut dem Statistischen Landesamt bei 20,6 Prozent, so hoch wie in keiner anderen Region im Land. Und auch in den Rankings der Städte mit Zukunftspotenzial liegt Dortmund zuverlässig weit abgeschlagen, beispielsweise im aktuellen Handelsblatt-Zukunftsatlas.

Was dabei oft zu kurz kommt: In Dortmund geht es seit einigen Jahren stetig aufwärts. Zwar liegt die Stadt bei der Arbeitslosenquote noch immer etwa fünf Prozent unter Bundesdurchschnitt, doch es finden immer mehr Menschen Arbeit. Im vergangenen Jahr hatten 34.000 mehr Menschen einen Job als noch im Vorjahr, und das, obwohl die Bevölkerung im gleichen Zeitraum nur um etwa 24.000 Einwohner gewachsen ist. Das ist besonders den Sektoren IT und Logistik zu verdanken, wo gerade viele Arbeitsplätze entstehen.

Pressesprecher Robert Litschke

Und diese Arbeitsplätze sind nicht irgendwelche Arbeitsplätze, wie der Pressesprecher der Dortmunder Wirtschaftsförderung Robert Litschke sagt. Immer mehr Menschen in Dortmund arbeiten ihm zufolge in sogenannten „wissensbasierten Jobs“ anstatt wie früher in klassischen „Malocher-Jobs“. Das sei perspektivisch wichtig, weil letztere in absehbarer Zeit von Maschinen ersetzt werden dürften. Das Fachwissen der Menschen hingegen lasse sich maschinell so schnell nicht ersetzen – und genau in diesen Jobs entstehen neue Ideen und Technologien.

Forschen am Dämmstoff der Zukunft

In Dortmund geschieht dies unter anderem in der sogenannten „Dezentrale“, einer Art offenen Werkstatt im Dortmunder Unionsviertel. Hier kann sich jeder melden, der spannende Ideen hat, aber nicht die technischen Gerätschaften, um sie auch zu verwirklichen. Es geht chaotisch zu, der ganze Raum ist zugestellt mit technischen Gerätschaften und Maschinen, von denen die meisten Menschen noch nie gehört haben dürften. Fenster gibt es nicht. Ein typischer Aufenthaltsort für scheue Nerds – könnte man meinen. Tatsächlich aber entsprechen die Menschen, die hier experimentieren, nicht dem gängigen Forscher-Klischee. Viele von ihnen sind Studierende oder berufstätige Hobby-Forscher, einige von ihnen erst seit wenigen Wochen dabei. 

Die beiden Leiter der Werkstatt, Julia Krayer und Patrick Jaruschowitz, forschen derzeit gemeinsam mit wechselnden Besuchern an einer ökologischen Dämmung aus Pilzwurzeln und Sägespänen. Gängige Dämmungen bestehen in der Regel aus Kunststoff und Styropor, und die sind nicht wirklich umweltverträglich. Die Dämmung der Forscher soll ausschließlich aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen und komplett biologisch abbaubar sein. Ziel des Forschungsteams ist es, ein 15 Quadratmeter großes Mini-Haus komplett damit auszustatten. Ein solches Haus passt auf einen Anhänger, ist also mobil – eine Art „Haus der Zukunft“, wie sie finden.

Lina (30), Biologiestudentin an der RUB

Auch die Studentin Lina arbeitet an der Dämmung mit. Sie tut das der Umwelt zuliebe, aber auch im Rahmen ihrer Bachelorarbeit. Die 30-Jährige studiert Biologie an der Ruhr-Uni in Bochum und testet für ihre Abschlussarbeit verschiedene Substrate darauf, wie gut sie sich als Dämmung eignen, zum Beispiel Stroh, Holzspäne oder Pferdedung.

An der Uni lassen sich ihre Ideen nicht verwirklichen, sagt sie. Eine wichtige Eigenschaft des potenziellen Dämmstoffes, die Wärmeleitfähigkeit, könne sie an ihrem Institut nicht einmal testen. In der Dezentrale sei alles viel einfacher, und zudem viel praktischer ausgelegt: „Ich habe eine Idee, möchte diese in meiner Forschung umsetzen und ein Produkt entwickeln. Das ist an der Uni so nicht möglich. Hier schon.“

Julia (24), studiert Industriedesign in Essen

Auch Julia forscht in der Dezentrale, aber nicht für ihre Hochschule, sondern ausschließlich für die Umwelt. Ihre Idee: Aus abgerissenen Gebäuden neu verwertbaren Beton machen. Die 24-Jährige zerhackt dafür alten Beton zu Pulver. Diesem Beton fügt sie als Nährboden Reismehl und Glukose hinzu. Daraus sollen dann Pilze entstehen. Ob Julia mit ihrem Konzept wirklich aus altem Beton neuen machen kann, weiß sie selbst noch nicht. Sie befindet sich, genau wie Lina, noch mitten in der Forschung.

Ein regelrechter Schatz der Dezentrale ist ihr hoch moderner 3D-Drucker. Die Technik spielt schon jetzt in vielen Bereichen eine große Rolle, unter anderem im Gesundheitswesen. In der Dezentrale nutzen die Forscher das sogenannte FTM-Verfahren: Dabei fährt ein Schlitten wieder und wieder über eine Fläche und gibt dabei flüssigen Kunststoff ab, aus dem Formen entstehen. Die Dezentrale ist voll mit den Skulpturen. Zwar ist nicht geplant, in näherer Zukunft ein bestimmtes Produkt auf den Markt zu bringen, die Forscher sind aber begeistert von den Möglichkeiten, die der 3D-Druck in der Zukunft bereit halten wird. 

Wie funktioniert dieser 3D-Drucker?
Die Form des Gegenstandes, der letztendlich entstehen soll, legen die Forscher entweder über ein Computerprogramm oder mit einem Stück Knete fest, das eingescannt wird. Ein Programm übernimmt dann diese Form und teilt sie in Schichten ein, die als Befehle an den Drucker gesendet werden. Diese Befehle bringen schließlich den Schlitten dazu, hin und her zu fahren und die am Computer entworfene Form zu bauen, Schicht für Schicht.

Links der 3D-Drucker in der Dezentrale, rechts der Schlitten.

Dortmund zieht immer mehr Menschen an

Damit Dortmund sich als Wirtschaftsstandort weiterentwickeln kann, ist es jedoch auch von Bedeutung, dass mehr Menschen nach Dortmund ziehen, vor allem Fachkräfte. Zwar ist das Ruhrgebiet bei weitem nicht so nachgefragt wie Städte wie Frankfurt, München oder Berlin, das zeigen allein die vergleichsweise niedrigen Preise am Wohnungsmarkt. Aber in Dortmund nimmt die Nachfrage nach Wohnungen seit einiger Zeit kontinuierlich zu.

Der Dortmunder Wohnungsmarktbericht zeigt: Weniger als 1,8 Prozent der Wohnungen in Dortmund stehen länger als ein halbes Jahr leer. Das sei nicht immer so gewesen, sagt Robert Litschke: „Seit einigen Jahren steigen die Mieten in Dortmund sogar.“ Auch Eigentumswohnungen und Einfamilienhäuser in Dortmund wurden in den vergangenen Jahren teurer, zudem entsteht Wohnraum.

Auch die Einwohnerstatistik zeigt, dass immer mehr Menschen nach Dortmund wollen. Die Bevölkerung wächst insgesamt stärker als in der gesamten Bundesrepublik. Entscheidend für die regionale Wirtschaft ist jedoch auch, ob die Dortmunder auch in der Stadt oder Region arbeiten – und wie viele Nicht-Dortmunder in die Stadt pendeln. Auch diese Zahl ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen und zeigt: In Dortmund zu arbeiten wird attraktiver.

Neue Studierendenwohnungen an drei Standorten

Ein weiteres Zeichen, dass Dortmund sich auch im Bereich Forschung und Entwicklung auf einem guten Weg befindet: Von 2011 bis 2015 ist die Zahl der Studierenden in der Stadt um 45% gestiegen. Dortmund wird für junge angehende Akademiker also interessanter. Damit der Anstieg weitergehen kann, muss für diese jedoch auch Wohnraum geschaffen werden. Angelika Münter, wissenschaftliche Mitarbeiterin der TU an der Fakultät für Raumplanung, beobachtet diese Entwicklung in Dortmund und sagt, hier entstehe gerade ein neuer Markt. In den kommenden Jahren soll es drei neue private Anbieter von Studierendenappartments in Dortmund geben, bislang gibt es lediglich einen. Wenn diese Pläne realisiert würden, gäbe es etwa 1000 weitere Wohnungen für Studierende. Ein Wohnheim soll demnach künftig an der Kampstraße, eines in der Nähe des Dortmunder „U“ entstehen.

Fotos und Beitragsbild: Sven Lüüs

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