Duell am Donnerstag: Anonymisierte Bewerbungen

das-duell-elena-alexIn vielen westlichen Staaten wie den USA sind schriftliche Bewerbungen ohne Foto und persönliche Angaben längst gängige Praxis. In Deutschland hingegen sorgt die „klassische“ Bewerbung immer wieder für Kritik, weil gesellschaftliche Gruppen wie Migranten oder Frauen von den Personalchefs trotz ihrer Qualifikationen immer noch häufiger aussortiert werden. Ein Pilotprojekt sollte deshalb zeigen, ob anonymisierte Bewerbungen auch bei uns zum Erfolgsmodell werden könnten. Und tatsächlich: Die Zahlen belegen, dass die Ungleichbehandlung sinkt. Trotzdem kritisieren gerade große Unternehmen das Verfahren als unpersönlich und wenig hilfreich. Doch was stimmt denn nun? Die pflichtlektüre.com -Autoren Marie Denecke und Jens Rospek diskutieren Vor- und Nachteile von anonymen Bewerbungen.

pro contra
Denk an ein gutes Foto, sagte mein Vater schon, als ich meine erste Bewerbung schrieb. Und bis heute, gut acht Jahre später, ist einer der ersten Hinweise, den mein Vater für mich hat, wenn ich Bewerbungen schreibe:“Das Foto muss gut sein!“D

enn Optik, das hört man überall, hilft der Karriere. Das gilt nicht nur für eine schicke Bewerbung im Corporate Design der anvisierten Firma oder für die Bewerbungsmappe, sondern auch (oder vor allem?) für einen selbst.

Also könnte das Bewerbungsfoto dieser Rothaarigen mit dem netten Lächeln und den grünen Augen für den Personaler schon einmal ein Argument sein, sich ihre Bewerbung  zu merken.

Oder gerade doch nicht?

Die Infos sind immer subjektiv

Die persönlichen Informationen, die unserer Auffassung nach in eine „ordentliche“ Bewerbung gehören, also Foto, Hobbys, Beruf der Eltern und gar der Geschwister, sind willkürlich und vermitteln demjenigen, der in Sekunden über unsere Bewerbung zu entscheiden hat, ein subjektives, schlaglichthaftes Bild unserer Person. Was ist, wenn der Personaler Rothaarige nun mal nicht mag?

Das wird sicherlich (hoffentlich!) nicht ein ausschlaggebender Grund sein, warum ihre Bewerbungsmappe doch im Papierkorb landet – aber ein Grund, der die Entscheidung beeinflussen könnte, wenn auch unbewusst. Oder was hilft es dem Personaler zu wissen, dass man gerne liest und reist oder die Mutter Zahnarztgehilfin ist, wenn man sich um ein Praktikum in einer Kanzlei bewirbt?

Alles andere als unpersönlich

Anonyme Lebensläufe geben den Informationen Platz, die wichtig sind, um zu zeigen, dass man der Richtige für das Praktikum oder die Arbeitsstelle ist. Sie stellen das in den Vordergrund, was in den Vordergrund gehört: die eigenen Qualifikationen.

Und dazu gehört nicht nur die Abi-Note oder die Anzahl der Praktika, die man schon absolviert hat, sondern auch Ehrenämter oder anderes Engagement jenseits von Credit Points.

Ein anonymer Lebenslauf ist nämlich nicht das, für das ihn viele Deutsche halten: ein unpersönliches Stück Papier, auf dem man nicht mehr erklären kann, was für ein interessanter Mensch man ist.

Das Wichtigste im Vordergrund

Nein, ein anonymer Lebenslauf reduziert auf das Wesentliche und stellt die eigenen Qualitäten, ob nun „hard skills“ oder „soft skills“ oder beides, nach vorne. Dennoch scheinen wir hierzulande immer noch der Meinung zu sein, dass wir es ohne Wahnsinnslächeln auf unserem Bewerbungsfoto nicht schaffen, den Job zu bekommen, für den wir qualifiziert sind.

Anonym sind Chancen gerechter verteilt

In anderen Ländern, wie den USA, Großbritannien oder Spanien, sind Fotos unüblich, ebenso wie viele persönliche Informationen. Zu Recht, wie unter anderem das „Institut zur Zukunft der Arbeit“ (IZA), das an dem Pilotprojekt mitgewirkt hat, sagt: Die Diskriminierung sei bei der Sichtung von Bewerbungsmappen am höchsten. Ein anonymer Lebenslauf aber verteilt die Chancen ein Stück weit gerechter.

Und wer doch weiteren Erklärungsbedarf hat, etwa wegen Lücken in seinem Lebenslauf, familiärer Hintergründe oder exotischen Hobbys, der hat dafür ja immer noch das Anschreiben. Oder, klar, das Bewerbungsgespräch.

Meine erste anonyme Bewerbung habe ich Anfang dieses Jahres geschrieben. Es war ungewohnt, ja, aber nur zu Anfang. Mit dem Praktikum hat es dann geklappt. Und meinem Vater konnte ich sagen: „Auf ein gutes Foto kommt es hier nicht an.“

Neulich beim Vorstellungsgespräch. Der Personalchef betritt den Raum: „Guten Tag, Frau… Ach Moment, ich kenne ihren Namen ja gar nicht. Naja, egal, als ich Ihr Bewerbungsfoto gesehen habe, haben Sie mich jedenfalls gleich an… Ach stimmt ja, ich habe ja gar kein Foto von Ihnen. Wie auch immer, dann wollen wir mal anfangen.“

So soll ich mir demnächst also ein typisches Vorstellungsgespräch vorstellen? Nein danke!

Zahlen ohne Sinn

Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund: Diese beiden sozialen Gruppen werden von Personalchefs anhand ihrer schriftlichen Bewerbung immer noch (zu) häufig aussortiert. Die Ergebnisse eines Pilotprojektes zeigen nun, dass ein anonymisiertes Bewerbungsverfahren insgesamt zu besseren Ergebnissen führt. Schön und gut. Die Zahlen stimmen also. Aber das eigentliche Problem wird dennoch nicht gelöst.

Eine Runde weiter – und dann?

Das anonymisierte Bewerbungsverfahren soll vor Diskriminierung schützen. Aber die schriftliche Bewerbung ist nur ein Teil des Verfahrens. Ein Bewerber, den der zuständige Personaler ablehnen würde, kommt nun stattdessen eine Runde weiter. Bis zum persönlichen Vorstellungsgespräch. Doch klingt der Name des Bewerbers von Angesicht zu Angesicht nun weniger „ausländisch“? Nein. Kann eine Frau nun weniger schwanger werden, weil sie die Hürde der schriftlichen Bewerbung genommen und es bis ins Büro des Chefs geschafft hat? Wohl kaum. Mit menschlichen Vorurteilen lässt sich nicht durch Anonymität aufräumen. Wenn der Personalchef nur ungern Migranten oder Personen über 40 einstellt, dann wird auch ein neues Bewerbungsverfahren daran nichts ändern. Und ob die Bewerber nun direkt oder nach dem persönlichen Gespräch abgelehnt werden, macht keinen Unterschied. Eine Absage ist eine Absage. Punkt. Und selbst wenn, wie bei einigen Unternehmen getestet, persönliche Daten erst NACH der Entscheidung für einen Bewerber bekannt werden, ist niemandem geholfen. Was nützt es mir, einen Job zu bekommen, obwohl der Chef mich eigentlich gar nicht will? Gute Zusammenarbeit klingt anders.

Repariere nicht, was nicht kaputt ist

Statt an einem bewährten Bewerbungssystem herumzudoktern, sollte man sich lieber fragen, wie im 21. Jahrhundert in einem vermeintlich modernen Staat wie Deutschland noch solche Denkweisen herrschen können. In Zeiten von Multikulti, Elternteilzeit und anderen Phänomenen sollten weder Geschlecht noch Nationalität eine Rolle bei der Bewerberauswahl spielen. Tun sie es doch, wird Anonymität daran nichts ändern, schließlich hat sie nur vorläufig Bestand. Sinnvoller wäre es, veraltete Gesellschaftsbilder aus den Köpfen zu vertreiben. Mit der Zeit wird sich dieses Problem aber ohnehin von selbst erledigen. Denn wenn die alte Generation der Personalchefs einmal ausgestorben ist, werden auch die Vorurteile verschwinden. Gerade junge Unternehmen kennen solche Probleme ohnehin kaum noch.

Die eigene Persönlichkeit verstecken?

Auch aus Sicht der Bewerber wirft das neue Verfahren Fragen auf. Ein Foto ist Teil der eigenen Persönlichkeit. Auch mein Name, Geschlecht oder meine Nationalität gehören zu meiner Identität. Aber will ich diese tatsächlich verbergen, nur um einen Job vielleicht doch zu bekommen? Gerade die benachteiligten Gesellschaftgruppen sollten sich überlegen, ob eine Anonymisierung wirklich ein so großer Vorteil ist. Oder möchte man sich wirklich ständig fragen: Wäre ich auch eingestellt worden, wenn mein Chef von Anfang an gewusst hätte, dass ich einen Migrationshintergrund habe oder eine Frau bin?

Letztlich kommt es ausschließlich auf die Qualität eines Bewerbers an. Und diese ändert sich auch durch ein anonymisiertes Bewerbungsverfahren nicht. Jeder Personalchef, der etwas von seinem Job versteht, wird nicht aufgrund eines Namens oder des Geschlechts eine Entscheidung für oder gegen einen Kandidaten treffen. Sätze wie: „Tut mir leid, ich habe heute leider kein Foto für dich“ kann ich jede Woche bei Germany’s Next Topmodel hören. In einem Bewerbungsverfahren haben sie aber nichts zu suchen.

das-duell-feeder Foto: stockxchng/bizior, Montage: Steinborn/Schweigmann, Teaserfoto: Marie Denecke