Duell: Facebook-Chronik – Like oder Dislike?

das-duell-jan-ole-niermann-vs-maren-bednarczykBald wird diese Chronik Pflicht – die neue Facebook-Timeline kommt für alle Nutzer. Ob sie wollen oder nicht. Facebook frohlockt, das gesamte Leben soll nun auch online zu finden sein: Geburt, Hochzeit, Uni-Abschluss – wenn es nach Facebook geht, findet das alles bald auch im sozialen Netzwerk statt. Mit weitreichenden Konsequenzen: Knapp 800 Millionen Mitglieder zählt das Netzwerk schon. Doch das neue Outfit entzweit die Facebook-Gemeinde. Auch unsere beiden pflichtlektüre-Redakteure Jan-Ole Niermann und Maren Bednarczyk sind geteilter Meinung:

Like Dislike
Fast 50.000 gefällt sie – die Facebook-Gruppe „Gegen die neue FB Chronik“. Doch der digitale Wutaufschrei ist übertrieben: Facebook ist Spaß, Kontakt mit weit entfernten Freunden, herrlich unbedachte Minuten im stressigen Alltag. Wer sich nun über die neue Optik des Lieblingszeitkillers echauffiert, dem kann ich nur raten: Ausloggen, Account löschen, studiVZen!

Tatsächlich ist die Chronik erst mal ungewohnt, etwas Neues für unser durch viele Stunden geschultes Facebook-Auge: Freunde, Fotos, Like Button – alles finden wir vollkommen automatisch. Nach einigen Surfminuten geht das auch mit der neuen Chronik. Viele Kritiker werden schon bald zu den Befürwortern zählen. Mich hat das neue Design schnell überzeugt: ein kleiner Pfad in der Mitte, Infoboxen links und rechts, zwischendrin Monatsangaben – stringent, logisch, chronologisch. Und damit sich die Nutzer an ein einheitliches Design gewöhnen, ist die Umstellung für alle sinnvoll.

Alles gut, wenn Privates privat bleibt

Das gilt natürlich nur, solange darunter nicht die Privatsphäre leidet. Die ist bei Facebook seit jeher nur schwer zu kontrollieren. Nutzer müssen viel Zeit investieren, um sich selbst im Netz zu schützen. Ein berechtigter Kritikpunkt, doch wer sich im sozialen Netz bewegt, der sollte sich diese Zeit nehmen. Darum über die neue Chronik zu schimpfen, ist scheinheilig – die Einstellungen für die Privatsphäre sollen schließlich die gleichen bleiben. So lange das der Fall ist, gefällt mir die optische Auffrischung. Vor allem das breite Panoramabild auf der Titelseite ist ein Hingucker. Neulich erinnerte es mich, auf der Seite eines alten Freundes, unverhofft an einen längst vergangenen Strandtag im Süden Frankreichs. Danke Facebook!

Der Protest gegen die neue Chronik ist darum chronischer Natur, getreu dem Motto: „Was ich nicht kenne, schmeckt mir nicht.“ Also erst mal moppern und wüten. Doch schon wenige Wochen nach der verpflichtenden Einführung wird sich das Gewohnheitstier Mensch (zudem ja auch der gemeine Internetnutzer gehört) an die neue Optik gewöhnen. Zu tief ist Facebook in unseren Alltag verankert, zu angefixt sind vor allem wir, die jungen Nutzer.

Ich entscheide, was ich hochlade

Meine Lebensgeschichte soll die neue Chronik erzählen, doch das wird die neue Chronik nur in dem Maße tun, indem ich es erlaube. Darum wird meine neue Chronik (genau wie mein bisheriges Facebook-Profil) nur Freunden etwas über mich preisgeben. Und ganz sicher nicht meine komplette Lebensgeschichte: Niemand wird Kinderplanschereien, Hochzeitstorten oder Partyknutschereien von mir sehen. Welche Geschichten ich ins digitale Geschichtsbuch schreibe, das entscheide immer noch ich.

Nein, Danke! Ich möchte bitte nicht, dass Facebook auch noch eine Chronik von mir und meinem Leben erstellt. In irgendwelchen weiten Sphären des Internets sind ohnehin schon viele kleine Datengerinsel von mir versteckt. Warum soll ich dann auch noch in einem sozialen Netzwerk mein Leben vom Kindergarten, über die Ehrenurkunde beim Sportfest in der 7. Klasse, hin zum Studium an der TU Dortmund schön auf einem Zeitstrahl anschaulich machen? Die Leute, die mich schon seit dem Kindergarten kennen, wissen Bescheid über meine Lebensgeschichte. Alle anderen sollen auch gar nicht wissen, was noch vor drei, vier oder gar zehn Jahren in meinem Leben abging. Vor allem durch Studium, Arbeit und Co. hat man ja auch immer mehr wichtige berufliche Kontakte. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg zeigt bei der Präsentation der neuen Chronik zum Beispiel Kinderfotos – geht´s noch?

Der Lebenslauf im WWW? Nein!

„Erzähle deine Lebensgeschichte mit einem neuartigen Profil“ lautet der Werbeslogan für die Chronik. Da redet man schon so viel über Datenschutz und zu viel Transparenz im Internet und jetzt soll jeder seinen eigenen Lebenslauf, also quasi das Persönlichste, was man so hat, der großen weiten Welt präsentieren. Dann bräuchten wir ja auch eigentlich gar keine Bewerbungen oder Vorstellungsgespräche mehr. Vielleicht läuft es bald besser so: „Sehr geehrter potenzieller Chef, hiermit würde ich Sie bitten, all meine Daten und bisherigen Erfahrungen meiner Chronik im Facebook zu entnehmen. Klicken Sie „Gefällt mir“, wenn Sie mich einstellen wollen.“ – Was für ein Schwachsinn! Außerdem ist auch noch jeder Nutzer aufgefordert, seine älteren Beiträge zu durchforsten, damit auf der Chronik nichts, vielleicht sogar Vergessenes, ungewollt erscheint. Aufgezwungene Erneuerung verbunden mit unfreiwilligem Zeitaufwand: Oh du unverschämte Chronik!

Bessere Übersicht Fehlanzeige

Laut Zuckerberg soll durch die Einführung der neuen Chronik vor allem eines erreicht werden: Bessere Übersichtlichkeit. Aber bei dem riesigen Banner in der Kopfzeile des Profils, womöglich noch mit einem azurblauen Ozean vom Traumurlaubsziel überladen, bekommt man doch erst mal einen Flash – abgesehen davon, dass man den eigentlichen Nutzer erst beim zweiten Hinsehen ganz klein links unten in der Ecke entdeckt. Und darunter folgt ein großes Wirrwarr von Statusmeldungen links und rechts bunt verteilt, eine vermeintliche Timeline entlang, die man aber kaum erkennen kann. Und das Schlimmste an der neuen Chronik ist, dass wir als Facebook-Nutzer keine Alternative haben – entweder Chronik akzeptieren oder eben komplett abmelden.

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Foto: stockxchng/bizior, Montage: Steinborn/Hückelheim/Brüning, Teaserfoto: pixelio.de/tokamuwi

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