Glosse: Schwarz-gelbe Weihnachten

Die Weihnachtszeit ist eine besinnliche Zeit. In Dortmund besinnt man sich auch zur Festtagszeit auf den Fußball. Nachdem der Verein der „echten Liebe“ in diesem Jahr das Double wortwörtlich gemeistert hat, wird nun auch Weihnachten in Dortmund schwarz-gelb.

Neulich habe ich mich – trotz der winterlichen Kälte – aus dem Haus gewagt. Die weihnachtliche Stimmung, der Duft von warmen, gebrannten Mandeln und die Sehnsucht nach dem ersten Glühwein des Jahres haben mich aus meiner behaglichen Gemütlichkeit, die ich gerne mal auf der Couch auslebe, getrieben und mich nach draußen gedrängt. Mein Ziel: immer der Nase nach zum Weihnachtsmarkt.

Die Reise beginnt oder: die Fan-Familie BVB

Das Familienwappen wird ritterlich auf der Brust getragen. Foto: Judith Schmitz

Das Familienwappen wird ritterlich auf der Brust getragen. Foto: Judith Schmitz

Es war ein Samstag. Nein, das muss man noch genauer sagen: es war ein Fußball-Samstag. In Dortmund. Obwohl ich nun seit zwei Jahren in der Ruhrgebietsstadt wohne, gehöre ich noch der seltenen Spezies der nicht-fußball-begeisterten Menschen an. In unserer Welt kommt es schon mal vor, dass man diese heroischen Tage vergisst, an denen sich die übrige Menschheit zusammenschließt und in farblich abgestimmte Gewänder schlüpft.

Ich steige also nichtsahnend in die S-Bahn ein und wundere mich, dass ich von einer schwarz-gelben Sippschaft umgeben bin, die stolz den Familiennamen „BVB-Fan“ trägt. Rentner und Kinder, Mütter und Väter, Nachbarn und Freunde – sie alle gehören zur Fan-Familie BVB. Wenn ich in die vielen Gesichter blicke, wird mir klar: Der Durchschnitts-Fan ist nicht der saufend, grölende Verfechter des Stehplatzes auf der Südtribüne.

Stern über Borussia, zeig uns den Weg

In der Bahn ist ein wildes Durcheinander zu hören. Erwartungen an das kommende Spiel, die größten Momente des letzten Jahres, das entscheidende Tor, das den Pokal brachte. Selbst wenn ich wollte, könnte ich nicht mitreden. Ich spreche leider nicht Fußballerisch. Das ist aber nicht weiter schlimm. Ich denke heute sowieso weihnachtlich und weiß getrost, der Weg der Fan-Familie hat ein anderes Ziel als mein eigener. 

Passend zu diesem Gedanken, beginnt die Meute mit dem Familiengesang:

Leuchte auf, mein Stern Borussia,

Leuchte auf, zeig mir den Weg,

Ganz egal, wohin er uns auch führt,

Ich werd´ immer bei Dir sein.

[youtube TiRC6glHTFs nolink]

Ich muss schmunzeln. War doch das Lied „Stern über Bethlehem“ jenes, das ich als Kind jedes Jahr an Heiligabend für meine Familie auf der Blockflöte schmetterte. Tja, nun weist ein neuer Stern den Weg.

Nächste Station: Vorfreude

Vier Wochen Aufbauzeit sind nötig, damit aus den 1.700 einzelnen Rotfichten der Dortmunder Weihnachtsbaum entsteht. Foto: Anna Hückelheim

Im Jahr 2010 war der Baum noch rot. Foto: Anna Hückelheim

An der nächsten Haltestelle ist es dann so weit. Das schwarz-gelbe Volk strömt aus der Bahn. Ich fahre noch ein paar Stationen weiter. Die neugewonnene Stille ist schön. Am Hauptbahnhof angekommen, mache ich mich bereit: Jacke zu, Mütze tief nach unten gezogen und die Handschuhe über die Hände gestülpt. Mit festem Schritt laufe ich durch die Straßen. Der süße Duft der Mandelbäckerei entfaltet sich. Hier und da bleibe ich an den ersten Weihnachtsmarktständen stehen. Einfach wunderbar diese Zeit. Dann gehe ich weiter. Mein Reiseziel: der Weihnachtsbaum.

Er ist regelrecht berühmt. Mit seinen 45 Metern Höhe ist der Dortmunder Weihnachtsbaum auf dem Hansaplatz der „größte“ Weihnachtsbaum der Welt. Das letzte Mal habe ich ihn im Jahr 2010 besucht. Damals hat er sich fein rausgeputzt. Rote Kerzen und Sterne legte er sich würdevoll um den Rumpf. Auf den Kopf thronend ein Posaunen-Engel als Krone. Er sah wirklich prächtig aus. Als ich nun bei Karstadt um die Ecke biege und den Baum erblicke, traue ich meinen Augen nicht. Prompt sehe ich GELB!

Farbverwirrung

Gelbe Kerzen? Was haben die am Weihnachtsbaum zu suchen? Was ist aus der Weihnachtsfarbe Rot geworden, die einst den Baum zierte? Als ich meinen Weg um den leuchtenden Baum bahne, erblicke ich noch mehr. Riesengroß hängen glitzernde Imitationen von Pokal und DFB-Salatschüssel am Baum herab. Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum – dein Schmuck war auch mal schöner. 

Der Dortmunder Weihnachtsmarkt leuchtet in neuen Farben. Foto: Judith Schmitz

Der Dortmunder Weihnachtsmarkt leuchtet in neuen Farben. Foto: Judith Schmitz

Die Fan-Familie mag sich einig sein. Sie glauben an die Farben Schwarz und Gelb. Dass der Ballsportverein Borussia seinem ersten offiziellen Spiel einst in den Rivalfarben Blau-Weiß entgegenblickte, mag sich keiner mehr von ihnen vorstellen. Sie mögen den Baum in den heiligen Farben prunkvoll finden.

Doch was ist mit den Leuten, die um des Baumes Willen nach Dortmund reisen? Die Menschen, die den größten Weihnachtsbaum der Welt sehen möchten und nicht den einzigen Fußballbaum? Und was ist mit den Menschen, die einer andersfarbigen „echten Liebe“ verfallen sind oder die wie ich nicht vom Schlag „Fußball“ sind? Wir alle blicken auf den Baum herauf und können nicht anders, als verständnislos den Kopf zu schütteln.

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