Big brother is watching us. Zwar nicht auf Schritt und Tritt – aber an vielen Bahnhöfen und öffentlichen Plätzen sind Überwachungskameras schon seit langem nichts Besonderes. Die Deutsche Bahn will jetzt sogar Kamera-Drohnen einzusetzen, um Graffiti-Sprüher auf frischer Tat zu ertappen. Überwachungstechnik kann Straftaten verhindern und für mehr Sicherheit sorgen – dafür müssen wir auf immer mehr Privatsphäre verzichten. Ein zu hoher Preis? Über den Überwachungsstaat Deutschland diskutieren Lea von der Mosel und David Freches.
pro
Videokameras, gespeicherte Telefondaten oder seit neuestem Kamera-Drohnen dienen der Überwachung. Ein Wort, bei dem viele zunächst an den Satz „Big Brother is watching you“ aus George Orwells Roman „1984“ denken müssen und Angst bekommen: Angst vor der Entwicklung zu einem totalitären Überwachungsstaat ohne Privatsphäre. Eine Angst, die meiner Meinung nach aber in Deutschland unberechtigt ist und dazu führt, dass der Begriff „Überwachung“ stark negativ und zu einseitig wahrgenommen wird. Straftaten und Terroranschläge können verhindert werden Bevor man einzelne Überwachungsformen verurteilt, sollte man sich bewusst machen, dass diese uns mehr nützen als wirklich schaden. Straftaten können durch sie nicht nur aufgeklärt, sondern auch verhindert werden. Die zunehmende Gefahr von Terror-Angriffen in Deutschland rechtfertigt meiner Meinung nach das Ausmaß der heutigen Überwachung. Ich persönlich akzeptiere gerne mehr Videokameras an öffentlichen Plätzen, wenn dadurch ein Terroranschlag verhindert werden kann. Sollte man sich also durch die Kameras nicht sicherer fühlen, anstatt sich vor ihnen zu fürchten? Ich frage mich, wieso die Überwachung öffentlicher Bereiche so stark kritisiert wird. Besonders der vor kurzem von der Deutschen Bahn angekündigte Einsatz von kleinen Kamera-Drohnen – um gegen Graffiti-Sprayer vorzugehen – hat neue Befürchtungen ausgelöst. Die Überwachung, die uns am stärksten betrifft, findet in der Öffentlichkeit statt und damit in der ständigen Anwesenheit unserer Mitmenschen. Entsprechend fühlt man sich bereits „beobachtet“ und verhält sich den sozialen Normen entsprechend. Was fürchten wir also, das die Kameras aufnehmen könnten? Zudem sind die Aufnahmen nur für wenige Menschen sichtbar und diese interessieren sich nicht für unser individuelles Verhalten, sondern für Straftäter. Schutz durch den Rechtsstaat Ein weiteres Streitthema ist die sogenannte Vorratsdatenspeicherung – also die generelle Speicherung von Internet- und Telefondaten für mindestens sechs Monate –, wie sie in der EU-Richtlinie von 2006 gefordert wird. Deutschland hat die EU-Vorgaben bis jetzt noch nicht umgesetzt, da sie gegen das Grundgesetz verstoßen. Der Überwachung sind also durch unseren Rechtsstaat Grenzen gesetzt – auch wenn die EU-Richtlinie voraussichtlich in Deutschland umgesetzt werden muss. Die Vorstellung, dass sich Deutschland zu einem totalitären Überwachungsstaat – wie in Orwells Roman – entwickeln könnte, erscheint mir angesichts unseres starken Rechtsstaats sehr unwahrscheinlich. Neue Erfindungen werfen neue ethische Fragen auf Ist die Überwachung in Deutschland also gerechtfertigt? Meine Antwort lautet: Ja. Dennoch denke auch ich, dass die bestehenden Grenzen sowie der rechtliche Rahmen eingehalten werden müssen. Neue technologische Erfindungen werfen auch neue ethische Fragen auf, denen man sich immer wieder stellen muss. Eine wesentlich größere Bedrohung der Privatsphäre als durch Kamera-Drohnen sehe ich in der Entwicklung des Internets und der Sozialen Netzwerke, die zahlreiche Daten über die Nutzer sammeln. Diese Daten sind zum Teil öffentlich sichtbar – anders als die Überwachungsbilder einer Bahnhofskamera. |
contra
Drohnen sind derzeit in aller Munde. Nicht nur in Bezug auf Thomas de Maizière und das „Euro Hawk“-Projekt – mal sehen, wer da am Ende fliegt – sondern auch bei der Deutschen Bahn. Die hat letzte Woche verkündet, dass sie künftig Drohnen einsetzen will, um Graffiti-Sprayer zu identifizieren. Da frage ich mich allen Ernstes, ob das Überwachungssystem in Deutschland, vor allem bei der Videoüberwachung, gerechtfertigt ist. Ich finde, man muss sich die Frage stellen, welches Verhältnis Nutzen und Kosten der aktuellen Überwachung in Deutschland für die Allgemeinheit hat. Der große und unbestreitbare Vorteil von massiver Überwachung ist, dass begangene Straftaten dadurch aufgeklärt werden können. Sicherheit – zu welchem Preis? Überwachung auch im virtuellen Leben Die Erfindung der Handykamera tut dabei ihr Übriges. Warum filmen wir uns eigentlich nicht noch gegenseitig mit unseren Smartphones? Mich würde mal interessieren, ob Menschen darauf befremdlich reagieren würden. Ein allzu großer Unterschied zum Alltag, in dem wir sowieso im wahrsten Sinne des Wortes dauernd im Fokus stehen, wäre das jedenfalls nicht. Zudem ist von der Überwachung nicht nur unser „echtes“ sondern auch unser virtuelles Leben betroffen. Auch im Internet kann rekonstruiert werden, was ein Mensch tut oder getan hat. Von abgehörten Telefonen oder Funkzellenabfragen ganz zu schweigen. Aufklärung: ja – Bekämpfung der Ursachen: nein Außerdem müssen wir uns noch einer entscheidenden Tatsache bewusst sein: Die Überwachung kann die Ursache eines Gesetzesverstoßes nicht bekämpfen. Im Nachtbus beispielsweise: Hier denke ich, dass eine Videoüberwachung sinnvoll ist, da durch Alkohol und aggressives Verhalten schnell heikle Situationen entstehen können. Aber in einer derartigen Situation wird auch die modernste Kamera eine Schlägerei nicht verhindern, sondern nur zu ihrer Aufklärung beitragen können. Die Überwachungssystematik in Deutschland macht das Handeln eines Menschen nachvollziehbar – jederzeit. Die Frage, wer all diese (Video-)Daten erhebt und was mit ihnen passiert, kann darüber hinaus keiner vollständig beantworten. Will man auf die eingangs gestellte Frage nach dem Verhältnis von Nutzen und Kosten für die Allgemeinheit antworten, muss man feststellen, dass die Freiheit der Allgemeinheit mit ihrer Sicherheit stirbt. |
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Foto: stockxchng/bizior, Montage: Steinborn/Schweigmann, Teaserfoto: pixelio.de / H.D.Volz
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