Gleichfarbig – aber voller Vielfalt

Am Sonntag endete das 4. homochrom-Filmfestival im Dortmunder Kino Schauburg. Thema aller Filme: Homo-, Transsexualität und Co. Kurz: Queer – alles was „anders“ ist. Ein Blick auf die Filme aber zeigt: Liebe, das ist universell. Im Kino und in der Realität.

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Scheinbare Teenager-Idylle: Gabriel (links), Leonardo (rechts unten) und Giovana (rechts oben) verbindet eine komplizierte Freundschaft. Foto: Salzgeber & Co. Medien GmbH

Es ist eine unscheinbare Szene, die den Film „The Way He Looks“ eröffnet: Zwei Teenager, ein Junge und ein Mädchen, sitzen an einem Pool und reden über das zu schnelle Ende der Sommerferien, über den ersten Kuss. Die Geschichte des blinden Jungen Leonardo und seiner Freundin Giovana ist  eine warme, einfühlsame Coming-Of-Age Story. Eine Geschichte über das Verliebt-Sein der anderen Art. Denn als der neue Schüler namens Gabriel in die Klasse kommt, merkt Leonardo, dass er sich zu ihm mehr hingezogen fühlt als zu Giovana.

Der brasilianische Abschlussfilm des 4. homochrom-Filmfestivals kommt an. Das Publikum hält den Atem an, lacht mit. Als sich Leonardo und Gabriel zum ersten Mal näher kommen, ertönt ein leises „Ohhh“. Nur wenige Plätze im Kinosaal der Dortmunder Schauburg sind an diesem Abend leer geblieben. 

„Der Film ist etwas ganz besonderes“, erklärt Martin Wolkner, Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins homochrom e.V. Und das will schon was heißen nach zehn Kinotagen. Seit Mitte Oktober zeigte das homo- und transsexuelle Filmfestival 41 Filme in Köln und Dortmund. Das Programm reichte von unterhaltsam-seicht bis hochkarätig und war vor allem eins: extrem vielseitig.

Vielfalt statt einseitigem Pathos

Von ernsten Dokumentationen wie der Geschichte von „Alex und Ali“, die sich über Landesgrenzen und Systeme hinweg lieben, über schrille Heist-Movie-Komödien wie „Queen of Amsterdam“, in dem ein Travestie-Künstler und seine Freunde zu Juwelenräubern werden, um ihren bankrotten Queer-Club zu retten, bis hin zu romantischen, tief gehenden Filmen wie „The Way He Looks“, der Geschichte zweier Teenager auf der Suche nach sich selbst. Kein Genre, kein Klischee und Klischee-Bruch hat scheinbar gefehlt.

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Hat keinen leichten Alltag: der blinde Schüler Leonardo wird oft von Mitschülern gemobbt. Foto: Salzgeber & Co. Medien GmbH

Böse Zungen könnten die Auswahl als beliebig bezeichnen. Dabei wird das Festival gerade über diese Vielseitigkeit dem Thema Homo- und Transsexualität gerecht. Schon beim letzten Festival sprach Wolkner gegenüber den Ruhrbaronen den entscheidenden Punkt an: „Die Themen werden allgemeingültiger, schwules, lesbisches und transidentes Leben ist im Film sehr viel mehr in der Normalität angekommen. Früher ging es vor allem um Coming-Out-Probleme und HIV, heute stehen Geschichten im Vordergrund, die auch für ein heterosexuelles Publikum funktionieren.“ Die Vielseitigkeit der Filmauswahl zeigt: Queere Geschichten haben thematisch mehr zu bieten als Entbehrung und den Kampf um Akzeptanz. Sich auf diese Weise von Schwere, Pathos und übertriebenem Sendungsbewusstsein zu lösen ist ein Kunstgriff. Und durchaus unterhaltsam.

Hauptsache: gute Filme

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Gabriel (links) und Leonardo (rechts) kommen sich beim Lernen näher. Foto: Salzgeber & Co. Medien GmbH.

Wieder herrscht Stille im Kinosaal. Leonardos Gesicht flimmert auf der Leinwand. Der Teenager riecht heimlich an der Jacke, die Gabriel in seinem Zimmer vergessen hat. Er versucht sehnsüchtig den ganzen Geruch einzusaugen. Es hätte auch die Jacke von einer Susi, Franzi oder Nadja sein können. Das Gefühl des Verliebtheit, das diese Szene darstellt, ist universell. Jeder Zuschauer, ob hetero oder nicht, kann sie nachempfinden.

Ob solche Szenen zum Umdenken bewegen können? Veranstalter Martin Wolkner ist ein bisschen skeptisch. Der Filmkritiker und angehende Autor möchte kein Lehrer sein. Er möchte nicht zwanghaft für Akzeptanz kämpfen. „Natürlich: Aufklärung ist wichtig. Es ist wunderbarer Nebeneffekt, wenn die Filme eine Botschaft an die Öffentlichkeit schicken“, meint der 34-Jährige. „Aber bei homochrom geht es vor allem um eine Sache: gute Filme!“

Gute Filme waren auch der Grund dafür, dass der Filmexperte Wolkner das Projekt homochrom vor nun fast fünf Jahren zusammen mit seinem Kollegen Michael de Sousa ins Leben rief. „Es gab schon damals so viele unglaublich gute Filme rund um das Thema Homo- und Transsexualität. Aber sie hatten keine Plattform, wurden vernachlässigt“, erklärt Wolkner. „Für die Filmproduzenten und Studios ist Nicht-Heterosexualität oft ein geschäftliches Risiko.“ Viele Filme bleiben so ungesehen – ungeachtet ihrer filmischen Qualitäten.

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Martin Wolkner (links) und Michael de Sousa (rechts) sind die Gründer des Filmprojekts homochrom. Foto: Philip Michael

Das wollten Wolkner und seine Mitstreiter nicht länger hinnehmen. Monatlich zeigen sie seitdem homo- und transsexuelle Kinovorstellungen in der ganzen Region. Das jährlich stattfindende homochrom-Filmfestival ist mittlerweile das drittgrößte Queer-Film-Festival in Deutschland. Unterstützt wird das Filmprojekt unter anderem von der Medienstiftung NRW, vom Kulturbüro der Stadt Dortmund oder der Aids-Hilfe Köln. Woher der Name kommt? „Homochrom stammt aus dem Griechischen und bedeutet soviel wie gleichfarbig“, erklärt Michael de Sousa. Gleichfarbig – aber auf keinen Fall einfarbig.

Sind queere Filme anders?

Filmisches Finale im Kino Schauburg. Leonardo und Gabriel sind sich nun ganz nahe. Dann küssen sie sich. Laute Freudenrufe sind zu hören, wieder einmal summt ein romantisches „Ohhh“ durch den Saal, die Menge beginnt zu applaudieren.

Tatsächlich ist das Publikum nach der Vorstellung größtenteils sehr gerührt. „Einfach romantisch, große Gefühle, große Geschichte!“, erklärt ein Herr mit grauem Bart und bunter Schiebermütze. „Ja, grandios!“, pflichtet ihm ein Bekannter bei. „Man bereut schon fast, dass man nicht selbst eine solche Jugendliebe hatte.“ Ob homochrom etwas bewegen kann? „Vielleicht. Vielleicht auch nicht! Es muss sich etwas in den Köpfen der Menschen ändern. Ob das Filme verändern können? Ein Hetero kann den Film unterhaltsam finden, verstehen muss er uns trotzdem nicht zwangsläufig.“ Alles nur Unterhaltung also? Das Filmfestival – nur eins unter vielen anderen?

Martin Wolkner denkt einige Sekunden nach, während er die Stimmzettel der Besucher für den letzten Film auszählt. Homosexuelle Filme seien nicht grundlegend anders, nicht revolutionärer als solche mit heterosexuellen Geschichten. „Ein Homosexueller Film kann extrem Mainstream sein, er kann genauso alternativ, genauso furchteinflößend oder romantisch sein wie heterosexueller Film. Das hängt doch nur vom Filmemacher ab.“ Das klingt unspektakulär, ernüchternd vielleicht für alle, die Pathos mögen. Es birgt aber die entscheidende, essentielle Botschaft: Wir sind alle gleich – egal wen wir lieben.

 

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