Doping im Hörsaal

Traubenzucker war gestern. ‚Ritalin‘: das neue Zauberwort gegen Stress und Leistungsdruck? – Der Verbrauch hat sich inzwischen verachtfacht. Aber wie kommen die Studenten überhaupt an die Tabletten mit Suchtgefahr? Und wie gefährlich ist der Trend zum Pauken auf Pillen?

Ein Hintergrundbericht von Martina Vogt und Samuel Acker

Leistungsdruck vs. Menschenverstand, Foto: Siola Panke

Leistungsdruck vs. Menschenverstand, Foto: Siola Panke

Wer kennt das nicht: Nach einer durchbüffelten Nacht sitzt man mit schweren Lidern und wummernden Kopf im Hörsaal und nur noch das dynamische Duo Cappuccino und Kopfschmerztablette sorgt für neue Energie. Damit ist man selten allein: Die Mülleimer quellen über vor Kaffeebechern. Es scheint: Schlafen kannst du wenn du tot bist – lernen nicht.

Stress und Leistungsdruck als Auslöser

Doch was ist, wenn der Leistungsdruck ständig zunimmt, der Kaffee zum Munterbleiben und der Traubenzucker zum Konzentrieren nicht mehr ausreichen? Der Griff zu synthetischen Medikamenten wird für Studenten immer häufiger zu einem Mittel um den Lernstress bewältigen zu können. Stephan Schleim, Spezialist für Medizinische Psychologie am Uniklinikum Bonn, untersuchte pharmakologische Studien zum Tablettenmissbrauch unter Studierenden. Er erkennt in den immer strafferen Lehrplänen an Universitäten ein potenzielles Gesundheitsrisiko. „Wir haben in unserer Gesellschaft einen zunehmend ungesunden Fokus auf die geistige Leistungsfähigkeit. Gerade Studierende sind davon betroffen und spüren den Druck, mit synthetischen Mitteln den hohen Erwartungen gerecht zu werden.“ Zwei Medikamente werden besonders häufig zum so genannten „Mind Doping“ genutzt: das Präparat Ritalin, das eigentlich Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS) helfen soll, sowie Vigil, ein Mittel gegen Narkolepsie, einen chronischen Schlafzwang.

gefährliche Nebenwirkungen

Pillen als Hilfe beim Pauken, Foto: Siola Panke

Pillen als Hilfe beim Pauken, Foto: Siola Panke

Bei Personen mit ADS verbessert Ritalin die Kontrollfunktionen des Gehirns und wirkt beruhigend. Bei gesunden Menschen sorgt der Wirkstoff Methylphenidat hingegen für einen Energie- und Konzentrationsschub: Man ist wacher und leistungsfähiger. Auch Modafinil, der Wirkstoff in Vigil, verringert das Schlafbedürfnis und regt das Gehirn an. Beide Präparate werden von gesunden Menschen vor allem genutzt, um umfangreiche und ermüdende Denkarbeit trotz Erschöpfung und Stress zu bewältigen. Doch Stephan Schleim warnt vor der synthetischen Unterstützung. „Studierende, die Stimulanzien zur Leistungssteigerung einnehmen, wissen meist nichts über die zahlreichen Nebenwirkungen. Eine psychische Abhängigkeit kann recht schnell eintreten. Hinzu kommen die Belastungen für Leber, Niere und das Herz-Kreislauf-System. Besonders groß ist die Gefahr für Menschen, die generell krankheitsanfällig sind oder ernsthafte Vorerkrankungen haben.“

Verbrauch von Ritalin verachtfacht

Ritalin und Vigil sind beide verschreibungspflichtig, Ritalin fällt dazu noch unter das Betäubungsmittelgesetz. Dass man dennoch recht leicht an die Präparate kommt, stellte die Deutsche Angestellten-Krankenkasse (DAK) in ihrem Gesundheitsreport 2009 fest. Bei jedem vierten Versicherten, der im vergangenen Jahr mindestens einmal Ritalin einnahm, fehlte eine entsprechende Krankheitsdiagnose. 20 Prozent der Verordnungen von Vigil scheinen vom Patienten ausdrücklich gefordert. Die Nachfrage nach den so genannten „Brainboostern“ ist beachtlich, allein der Verbrauch von Ritalin hat sich in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren mehr als verachtfacht. Schleim schätzt, dass „vier bis sechs Prozent der deutschen Studierenden im letzten Jahr Ritalin oder Vigil ohne tatsächlichen Krankheitshintergrund eingenommen haben.“

Tausend Wege führen zu Ritalin – Die Beschaffungsquellen

Gefährliche Lernhilfen, Foto: Siola Panke

Gefährliche Lernhilfen, Foto: Siola Panke

Die Beschaffungsweisen sind vielfältig: Manche Studierende kontaktieren befreundete Ärzte, andere greifen auf Verwandte oder Freunde mit ADS zurück. Auch auf dem Schwarzmarkt kursiert Ritalin. Viele Konsumenten schrecken hier jedoch vor den teilweise horrenden Preisen zurück. Sandra Hollering*, Mitarbeiterin einer Bochumer Drogenberatungsstelle, berichtet von Studierenden, die eine Schule mit speziellen Programmen für ADS-kranke Kinder in Bochum-Langendreer anlaufen würden. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass dort Kinder bereits auf einen Verkauf ihrer Tabletten angesprochen worden sind.“ Die ärztliche Beauftragte der genannten Schule versichert jedoch, ihr seien keine solchen Fälle bekannt.
Auch die Fitness-Szene dienst Studenten als Quelle: Hier wird der dem Adrenalin ähnliche Stoff Ephedrin zur Stimmungsaufhellung verwendet. Ephedrin setzt wie Ritalin den Neurotransmitter Dopamin frei. Durch dieses „Glückshormon“ fühlt sich der Konsument energiegeladen. Die Gefahr einer Abhängigkeit und eines Kreislaufkollaps ist jedoch groß. Das Kopfschmerzmedikament Aspirin Complex, in Apotheken frei erhältlich, enthält einen Ephedrin sehr ähnlichen Wirkstoff. “Ein Missbrauch ist daher nicht auszuschließen“, warnt das „Ärzte-Telegramm“. Bei entsprechender Dosierung ist also auch mit Kopfschmerztabletten Mind Doping möglich – Suchtgefahr inklusive.

Urinabgabe vorm Hörsaal?

Prüfungsrechtlich scheint das Pauken auf Pillen jedoch keine Nebenwirkungen zu haben. An den drei Ruhr-Unis gibt es keine zentralen Prüfungsordnungen, die Mind Doping verbieten. „Wir haben dazu keine Regelungen. Wie sollten wir das denn auch feststellen? Sollen wir vielleicht Blutproben nehmen?“, sagt Hans Ulrich Rehhahn, Leiter des Prüfungsamtes für Wirtschaftswissenschaften in Bochum. Marlies Fischell, Mitarbeiterin des Zentralen Prüfungsamtes in Duisburg, sieht beim Prüfungsschreiben auf Brainboostern „keinen Handlungsbedarf“. Da es keine Verweise auf Tablettenkonsum in den Prüfungsordnungen gebe, könne man Ritalin zum Beispiel auch mit in eine Klausur nehmen. „Im Einzelfall kann sich der Prüfungsausschuss noch für negative Sanktionen aussprechen. Tablettenmissbrauch ist aber bisher nichts, mit dem wir uns auseinandersetzen.“

Saubere Ruhr-Unis oder fehlendes Problembewusstsein?

Achtung Suchtgefahr, Foto: Siola Panke

Achtung Suchtgefahr, Foto: Siola Panke

Bei den Psychologischen Beratungsstellen der drei Ruhr-Unis allerdings hat man schon vom Doping unter Studierenden gehört. Bekannt sind Ellen Wiese von der Dortmunder Uni-Beratungsstelle jedoch „keine solchen Fälle.“ Die Zentrale Studienberatung der Uni Bochum weiß um die Aktualität der Doping-Diskussion. “Es hat sich uns gegenüber aber bisher niemand mit diesem problematischen Verhalten offenbart“. Die Hochschulen des Ruhrgebiets scheinen also frei von aufgeputschten Studierenden zu sein. Bernd Göhing von der Beratungsstelle Duisburg/Essen kann sich aber auch vorstellen, dass bisher „kein Konsument seine Tablettennutzung als kritisch ansieht“ und daher die Uni-Berater nicht um Hilfe gefragt werden. Dem Mind Doping-Spezialisten zufolge sollten Schulen und Universitäten einen „ethischen Kodex zur Leistungserbringung“ aufstellen. „Man muss sich deutlicher gegen einen Tablettenmissbrauch aussprechen.“ Sollte sich der Trend weiter verstärken, könne man auch stichprobenartige Drogentests vor Klausuren erwägen.

„Selbstzerstörerische Unterwerfung gegenüber Leistungsdruck“

Schleim sieht auf jeden Fall präventiven Handlungsbedarf. „Wenn sich Studierende so unter Druck gesetzt fühlen, dass sie zu Tabletten greifen, verliert die gesamte Gesellschaft. Wir müssen uns überlegen, wie und wie viel Leistung man einfordern kann.“ Wer in der Studienzeit zu synthetischer Unterstützung greife, der unterliege einem höheren Risiko, sich auch im späteren Arbeitsleben zu dopen. Schon jetzt konsumieren laut DAK-Gesundheitsreport rund zwei Prozent aller Berufstätigen zwischen 20 und 50 Jahren „potente Wirkstoffe ohne medizinische Notwendigkeit“.
Ob sich synthetische Brainbooster als akzeptierte Muntermacher etablieren werden, hänge allerdings vor allem mit dem gesellschaftlichen Diskurs zusammen, bemerkt Schleim. Verurteilen die meisten Studierenden Doping als unfaire Maßnahme und selbstzerstörerische Unterwerfung gegenüber dem Leistungsdruck, so wird der Konsum vermutlich nicht ansteigen. Und die Mülleimer quellen weiterhin mit Kaffeebechern anstatt Tablettenhülsen über.

* Name von der Redaktion geändert

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4 Comments

  • Time Looping sagt:

    Hallo, ich habe eine frage! Ich kenne jemanden der hat mal angefangen mit Mind-Doping, wegen eines Mathe Testes. Jetzt ist die Person abhänig und kann nicht mehr aufhören. ;( Ich will dieser Person helfen. Doch ich weiß nicht wie. Wie kann man aufhören? Bitte auf Antworte, das ist wichtig. Bitte. LG!

  • WalterMicke sagt:

    Sind Ärzte Tabletten-Verkäufer?

    Ich hatte zu hohen Blutdruck,
    weil ich eine Durchblutungs-
    Störung hatte, aufgrund einer
    chronische Nebenhöhlen-
    Entzündung!
    Das hat aber keinen der Ärzte,
    die ich seit l980 aufgesucht
    habe, interessiert! Die haben mir
    alle nur Blutdruck senkende
    Tabletten verschrieben! Bis es
    eines Tages beinahe zu spät
    gewesen wäre.
    Die Entzündung hatte mein
    Blut so vergiftet, dass ich gelähmt
    war und mich nicht mehr
    bewegen konnte.
    Der Notarzt ließ mich in ein
    Krankenhaus einweisen und
    obwohl die Ärzte wussten,
    dass ich eine Entzündung
    habe, haben die mir auch
    wieder nur Tabletten gegen,
    um meinen Blutdruck zu
    senken. Warum ich eine
    Entzündung hatte, hat auch
    die nicht interessiert!

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