Zwischen Hafenkneipe und Poesie

Dortmund. Poetry Slams gibt es viele – Poetry Jams nicht. Bei dieser Literaturveranstaltung sollen die Redner nicht bewertet werden. Die Bühne in der Hafenkneipe soll vielmehr auch eine Startrampe für noch unerfahrene Künstler sein. Ein buntes Repertoire an Texten ist inklusive.

Mühsam dreht der fast antik wirkende Ventilator an der Decke seine Kreise. Die Luft ist vom warmen und nassen Sommertag schwül geschwängert. Ein Lucky-Strike-Poster und der Duft längst verglimmter Zigaretten lassen an vergangene Zeiten erinnern, in denen noch ungeniert im Inneren der Kneipe geraucht werden durfte. Ein buntes Sammelsurium aus gelber Quietscheente, zerdrückter Redbull-Dose und leeren Whiskeyflaschen über dem Tresen ist von jahrelangem Staub bedeckt. Südlich des Dortmunder Hafens präsentiert sich das Subrosa  als alteingesessene Dortmunder Szenekneipe.

Für Slam-Touristen stell das Subrosa sogar einen Schlafplatz zur Verfügung. Foto: Luisa Heß

Für Slam-Touristen stell das Subrosa sogar einen Schlafplatz zur Verfügung. Foto: Luisa Heß

Normalerweise wird die Schänke zu Wochenbeginn nur spärlich besucht. Anders an jedem dritten Montag im Monat. Hier findet der Poetry Jam statt – und das schon seit 1996. Im Gegensatz zu  Poetry Slams, ist die Veranstaltung im Subrosa kein Wettbewerb. Nur im Mai und November wird der jeweils beste Slammer gekürt. Ansonsten darf bei dem Poetry Jam jeder mitmachen.  Gedichte, Songs, Witze, Essays, Geschichten – Schreiberlinge aller Art können hier ihre Texte vortragen.

Die Wände im Subrosa sind zugepflastert. Auch von der Decke hängen Kultobjekte. Foto: Luisa Heß

Die Wände im Subrosa sind zugepflastert. Auch von der Decke hängen Kultobjekte. Foto: Luisa Heß

Ähnlich verwachsen mit dem Subrosa wie der Rest des Inventars ist auch Grobilyn »Grobi« Marlowe. Der Dortmunder veranstaltet schon seit vierzehn Jahren gemeinsam mit dem Kulturbüro, der Volkshochschule und dem Subrosa den Poetry Jam. „Das ist die wahrscheinlich älteste Veranstaltung dieser Art in ganz Deutschland – zumindest in Westdeutschland“, erzählt das Allround-Talent stolz. Marlowe ist Autor, Sänger, Songwriter, Magier, Moderator, Dozent, und wahrscheinlich noch vieles mehr. An dem Poetry Jam gefällt ihm besonders, dass er dort immer neue Leute und vor allem neue Texte kennen lernt. Früher hat Marlowe  selbst geslamt. Inzwischen tritt er beim Jam nur noch als Veranstalter auf. „Ich will gar nicht mehr im Wettbewerb sein – da gibt es einfach zu viele super Leute“, ist sich der Künstler sicher. 

 Aus Kartoffel wird Schnaps

Für Grobi Marlowe ist der Poetry Jam eine "Mischbühne - für jeden der sich ausprobieren möchte." Foto: Luisa Heß

Für Grobi Marlowe ist der Poetry Jam eine „Mischbühne – für jeden der sich ausprobieren möchte.“ Foto: Luisa Heß

Genau auf diese Leute wartet das Publikum schon gespannt. Rund 70 Menschen aller Altersgruppen drängen sich in dem engen Raum vor der Bühne. Viele der Zuhörer sind Studenten. Endlich: Laut dröhnt schunkelnde Musik aus den Lautsprechern. Der Songtext nimmt Marlowe die Begrüßungsfloskel vorneweg: „Guten Abend, liebe Gäste“. Mit einem Zaubertrick stellt der Veranstalter seine magischen Fähigkeiten unter Beweis. Erst lässt er eine Kartoffel in einem Beutel verschwinden. Dann zückt er daraus ein Gläschen mit Kartoffelschnaps. 

Mit dem Willkommensgeschenk kann der erste Redner jedoch wenig anfangen. Tim hat einen Text über das nüchtern Feiern Gehen geschrieben. Mit akrobatischer Wortgewandheit schlüpft der Slammer in die verschiedenen Rollen der Protagonisten seiner Geschichte. Ähnlich humorvoll ist auch Hendriks gereimter Text über den Deutsch-Leistungskurs. Der 23-Jährige ist quasi noch ein Frischling der Szene. Erst seit Mai schreibt der Student auf Grundschullehramt an der TU Dortmund Texte. Trotzdem tritt er bereits innerhalb kürzester Zeit gleich zum zweiten Mal auf: am Tag zuvor in Düsseldorf und nun im Subrosa. Zum Schreiben ist Hendrik durch einen Kurs an der TU gekommen. Das Thema: Poetry Slam. Humorvolle Texte liegen dem Studenten. Kein Wunder also, dass er auch am heutigen Abend von sich behauptet, „Wikipedia in ner‘ Freistunde“ verfasst zu haben.

 

Hendrik Ferber tritt zum ersten Mal auf der Bühne im Subrosa auf. Beim Poetry Slam in Düsseldorf am Tag zuvor war er jedoch wesentlich nervöser. Foto: Luisa Heß

Hendrik Ferber tritt zum ersten Mal auf der Bühne im Subrosa auf. Beim Poetry Slam in Düsseldorf am Tag zuvor war er jedoch wesentlich nervöser. Foto: Luisa Heß

Nach Hendrik folgen noch vier weitere Redner – und eine Rednerin. Die erste Runde des Poetry Jams im Subrosa besteht immer aus sieben Teilnehmern. Diese müssen sich schon im Vorfeld verbindlich anmelden. Die ersten fünf von ihnen erhalten ein Frei-Getränk. Ihre Texte sind poetisch, nachdenklich, witzig und manchmal auch aufrüttelnd. Die Gäste klatschen begeistert und (fast) immer wird auch an den richtigen Stellen gelacht. Marlowe sitzt während der Vorträge entspannt im braunen, abgewetzten Ledersessel auf der Bühne. Nach jedem Auftritt kündigt er den nächsten Redner an. Ihm gefällt seine Aufgabe. „Das ist ein Job mit Freibier. Leider ist der aber schwierig mit anderen zu vereinen – vor allem, wenn du früh am nächsten Morgen aufstehen musst.“ Wie lange er die Jam Session noch moderieren wird, weiß der Dortmunder noch nicht. So etwas entscheidet er lieber spontan. 

Auf ein zweites Mal

Nach der ersten Runde können die Gäste kurz frische Luft schnappen. Danach geht es weiter mit dem zweiten, oft spontanen Teil. Alle Redner vom Anfang können hier noch mal einen neuen und etwas kürzeren Text vortragen. Auch unangemeldete Schreiber haben nun die Chance auf einen Auftritt. Heute meldet sich  jedoch keiner. Keiner, der laut Marlowe „spontan etwas auf einen Bierdeckel geschrieben hat.“

Normalerweise darf das Publikum im Subrosa  mitentscheiden, wie lange ein Redner die Bühne in Beschlag nimmt. Dazu liegen überall auf den Tischen rote Flyer. Sobald  jemand länger als die erlaubten fünf Minuten spricht oder dem Publikum das Gesagte überhaupt nicht gefällt, dürfen die Veto-Karten gezückt werden. Zu viel Rot bedeutet: Runter von der Bühne. Heute streckt niemand sein rotes Nein in die Höhe. Dem Publikum scheint der Poetry Jam gefallen zu haben.

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