Charakterfasten: Eine emotionale Achterbahnfahrt

Die Tradition des Fastens ist so alt wie die Religionen selbst. Egal ob im Christentum, Islam, Buddhismus oder in alten indianischen Religionen: Fastenrituale gibt es überall. In unserer heutigen Kultur spielt Fasten kaum noch eine Rolle. Und wenn, dann in abgewandelter Form. Zwei unserer Autoren probieren aus, wie es ist, sieben Wochen auf eine Charaktereigenschaft zu verzichten. Lügen und Gemecker gehören zu unserem Alltag – doch was passiert, wenn wir versuchen, diese negativen Angewohnheiten einmal abzulegen? Wird die Fastenzeit uns nachhaltig verändern können?

Auch wenn es nicht einfach war, ich hab es geschafft: Zwei Wochen ohne ein einziges Mal zu lügen. Im Großen und Ganze hab ich mich daran gewöhnt nicht zu lügen. Es macht in den meisten Fällen einfach keinen Unterschied, ob ich lüge oder die Wahrheit sage. Es gibt allerdings Situationen, in denen lügen zu verlockend ist.

Notlügen

Wer kennt das nicht: Beim Aufstehen schon keine Lust auf gar nichts und man arbeitet sich quälend durch den Tag. Am Abend freut man sich aufs Bett. Letzte Woche hatte ich genau so einen Tag. Eine gute Freundin wollte an diesem Abend unbedingt mit mir feiern gehen. Normalerweise ist das für mich der Moment für eine Notlüge. Die Lüge muss nicht groß sein, nur so gut, dass es keine Nachfragen oder lästige „Ach komm schon“ gibt. Außerdem bekomme ich schnell ein schlechtes Gewissen. Dieses Mal hab ich mir aber einen Ruck gegeben und einfach gesagt, dass ich keine Lust habe. Zu meiner Überraschung war meine Freundin verständnisvoller als gedacht und das schlechte Gewissen blieb aus.

Eine sehr ähnliche Situation, in der man oft „notlügt“ ist, wenn man einen Termin hat und ihn vollkommen vergisst. Mir passierte das natürlich genau dann, als ich bei meinem Großvater war, bei dem das Netz so gut ist wie auf dem Mount Everest. Auf dem Rückweg fiel mir der Termin wieder ein und ich beeilte mich, schnell nach Hause zu kommen. Gott sei Dank hatte mein Termin schon abgesagt, also war mir eine Lüge schon erspart geblieben.

Im Wahrheitswahn erzählte ich aber, dass ich es total vergessen hatte und es sowieso nicht mehr schaffen würde. Um ehrlich zu sein, hatte ich irgendwie erwartet, ein gutes Gefühl dabei zu haben, obwohl ich in diesem Fall nicht unbedingt die Wahrheit sagen müssen. Aber nichts. Nur Erleichterung, dass meine Verpeiltheit nicht der Grund für den verschobenen Termin war.

Strategie für nervige Nachbarn

Die Strategie, etwas weg zu lassen und infolgedessen nicht zu lügen, hat sich übrigens bewährt. Mit ihr konnte ich um einige Hindernisse herum manövrieren. In meiner Heimatstadt wohnt ein paar Häuser weiter ein älteres Ehepaar, dessen Enkel in die Oberstufe kommt. Deswegen regen sie sich über das G8-Abitur auf. Normalerweise lautet mein Motto da: „Lächeln und Winken!“

Als ich von ihnen aber gefragt wurde, was ich davon halte, saß ich in der Patsche. Also erzählte ich einfach das was stimmt, ohne ihnen auf die Füße zu treten: „Ich bin froh, dass ich das G9-Abitur gemacht habe.“ Ich hab nicht gelogen und die Antwort hat gereicht um Sie zufriedenzustellen.

Unterschriftensammlung für G9  Bild: pixabay.com delphinmedia unter Verwendung der Creative Common Lizenz

Noch schlimmer wurde es aber, als es um die Unterschriftensammlung im Rathaus ging, die das G9-Abitur an allen Schulen der Stadt wieder einführen soll. Das benachbarte Ehepaar beschwerte sich darüber, dass doch alle so gegen G-8 sind und trotzdem keiner unterschreibt. Der Weg in die Stadt um selber zu unterschrieben, sei ihnen aber zu weit. An diesem Punkt versagte leider meine Strategie. Als ich meine ehrliche Meinung gesagt hatte, war das Gespräch sehr schnell beendet. Ich glaube, so schnell werde ich von denen nicht wieder hören. Vielleicht zu meinem Glück.

Soap-Drama

Zu guter Letzt habe ich noch eine kleine, dramatische Geschichte zum Besten zu geben. Es gibt doch immer dieses eine Pärchen, das schon ewig zusammen ist und deren Beziehung fast schon zu perfekt ist, um hinzusehen. In meinem Freundeskreis hat sich genau dieses Paar getrennt.

Ein riesiges Drama. Nach einigem Hin und Her kam heraus, dass Sie ihn mit einem One-Night-Stand betrogen hatte. Aus Ihren Schuldgefühlen heraus hat sie mit ihm Schluss gemacht. Von dem ONS wusste ihr Freund allerdings nichts. Das Resultat des Ganzen waren zwei zutiefst traurige Freunde, von denen einer nicht einmal wusste, wieso das ganze passierte. Bei einem Gespräch mit dem frisch getrennten Paar, einem weiteren Freund und mir, haben wir alles ausdiskutiert und die Wahrheit ans Tageslicht gebracht. In diesem Fall hat die Wahrheit Wunder bewirkt. Sie sind zwar noch nicht wieder zusammen, aber auf dem besten Weg dorthin. Er hat Ihr verziehen und sobald sie das auch tut, steht der Wiedervereinigung nichts mehr im Wege.

Foto: Christian Burg

Die ersten zwei Wochen ohne Lügen waren eine kleine Achterbahnfahrt: Von schlechten Tagen über gute Freunde und nervige Nachbarn zu einer fernsehreifen Trennung. Ich bin mal gespannt, was mich in den nächsten zwei Wochen erwartet. Es ist mindestens ein Städtetrip geplant und eine weitere Reiseplanung existiert schon in meinem Kopf. Meine kleine Schwester hat es übrigens nicht geschafft, ganz auf das Lügen zu verzichten. Mit insgesamt 6 mal hat sie eine ganze Jokerkarte aufgebraucht.

 

Beitragsbild: Lia Rodehorst und Christian Burg, Collage mit Canva.com. Fotomontagen: Lia Rodehorst unter Verwendung von pixabay.com, lizenziert nach Creative Commons 

1 Comment

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert