Charakterfasten: Motivationslüge gefällig?

 

 

Die Tradition des Fastens ist so alt wie die Religionen selbst. Egal ob im Christentum, Islam, Buddhismus oder in alten indianischen Religionen: Fastenrituale gibt es überall. In unserer heutigen Kultur spielt Fasten kaum noch eine Rolle. Und wenn, dann in abgewandelter Form. Zwei unserer Autoren probieren aus, wie es ist, sieben Wochen auf eine Charaktereigenschaft zu verzichten. Lügen und Gemecker gehören zu unserem Alltag – doch was passiert, wenn wir versuchen, diese negativen Angewohnheiten einmal abzulegen? Wird die Fastenzeit uns nachhaltig verändern können? Diese zwei Wochen waren ein kleiner Augenöffner: Lügen hat auch seine guten Seiten.

Ich bin immer davon ausgegangen, dass es einem Betrug gleichkommt, sich selber zu belügen. Deshalb habe ich mir schon vor Jahren geschworen, mich nie zu belügen. Daraus ist eine Art Ritual geworden, bei dem ich versuche, die Wahrheiten die ich nicht hören will, auszusprechen und die Wahrheiten, die ich noch nicht kenne, herauszufinden. Letzteres ist keine leichte Aufgabe, denn mein Unterbewusstsein ist unglaublich gut darin, Dinge zu verstecken und zu verdrehen.

In den letzten zwei Wochen habe ich immer wieder beobachtet, dass meine Motivation stark davon abhängt, ob ich Dinge beschönige. Selbst dann, wenn ich weiß, dass sie die Hölle werden. Diese „offensichtliche Lüge“ verändert meine Einstellung. So sehe ich manche Dinge optimistischer als sie eigentlich sind. Solange ich also weiß, dass es eine Lüge ist und ich damit keine Wahrheit verdränge, fällt diese Art von Lügen nicht unter meinen Schwur.

Ein kleiner Motivationsschub

Zum ersten Mal ist mir das letzte Woche in Brüssel aufgefallen. Kurzfristig war dieser dreitägige Stadttrip zustande gekommen. Brüssel ist eine wunderschöne Stadt und wir hatten unglaubliches Glück mit dem Wetter. Das einzige Manko: Am Ende jedes einzelnen Tages wollte ich nur noch meine Füße abschrauben.

Foto: Christian Burg

Am zweiten Tag kam meine Reisebegleitung auf die glorreiche Idee, man könne ja von der Innenstadt Brüssels bis zum, ungefähr eineinhalb Stunden Fußweg entfernten, Atomium laufen. Den Hinweg boykottierte ich und fuhr mit der Metro. Den Rückweg bin ich allerdings gelaufen. Ich glaube ohne mein ständiges Mantra: „Wir sind bald da!“, wäre ich am Straßenrand verreckt. Diese Art von Lügen fällt mir wahrscheinlich gerade jetzt auf, da für das Thema Lügen im Moment sehr sensibilisiert bin.

Okay, die Lüge ist kaum der Rede wert und ich weiß ja, dass es eine Lüge ist. Trotzdem habe ich mal darauf geachtet, unter welchen Umständen ich diese Art von Lügen verwende.

Ich tat es immer wieder: in Brüssel, auf der nicht so angenehmen Reise nach Hause und an den paar Tagen, die ich aushilfsweise bei der Post als Zusteller arbeitete. Jedes Mal nur aus einem Grund: Ich musste mich motivieren. Eines Morgens auf der Post log ich auch andere an. Ich erzählte ihnen: Der Nachrichtensprecher hätte gesagt, es werde nicht regnen. Nur um allen weiß zu machen, dass es ein schöner Tag werde, um draußen zu arbeiten.

Souvenirs in Brüssel

Wie schon kurz erwähnt, war die Reise von Brüssel nach Hause nicht so angenehm. Dies lag auch an der Tatsache, dass der Bus um zwei Uhr morgens abfuhr. Nach dem Auschecken aus dem Hostel um zehn Uhr morgens gab es also noch viele Stunden zu überbrücken. Da kommen zwei Kerle auf uns zu und versuchen uns selbst gemachte Souvenirs aus Bulgarien zu verkaufen. An dieser Stelle war eine Lüge einfach nötig. Also sagte ich, unser Bus käme in 30 Minuten und wir müssten uns beeilen. Lustigerweise dachte ich, bevor ich log, erst darüber nach, ob es sich lohnt zu lügen.

Foto: Christian Burg

So kam es, dass ich mal wieder einige Joker gebraucht habe. Für die ganzen Motivationslügen hab ich insgesamt zwei Joker markiert.

Fun Fact am Schluss. Ich bin seit ein paar Monaten ein totaler Fan von koreanischer Popmusik und habe erst vor Kurzem ein Lied entdeckt, in dem es ums Lügen geht und darum, nicht mehr aus dem Teufelskreis der Lügen heraus zu finden. Das Lied heißt „LIE“ und ist von Jimin aus der Boy Band BTS. Das neuste Album von BTS wird wahrscheinlich auch der Soundtrack werden, der mich immer an dieses Experiment erinnern wird.

 

Beitragsbild: Lia Rodehorst und Christian Burg, Collage mit Canva.com. Fotomontagen: Lia Rodehorst unter Verwendung von pixabay.com, lizenziert nach Creative Commons 

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