„Das kann jetzt ein bisschen brennen“, sagt Beate Lehn. „Manche Patienten sind da recht empfindlich“. Sie desinfiziert mit einem länglichen Wattestäbchen den Bereich direkt hinter meinen Ohren ─ es brennt tatsächlich ein wenig ─ und drückt dann eine Elektrode auf die Stelle. Beate Lehn ist Psychologin und bereitet mich auf meine erste Neurofeedbacksitzung in ihrer Dortmunder Praxis vor. Beim Neurofeedback können Patienten die Aktivität ihrer grauen Zellen kontrollieren: Und das habe ich dann mal ausprobiert.
An insgesamt sieben Stellen meines Kopfes bringt Beate Lehn Elektroden an, die dann die Hirnströme in meinem Gehirn in Echtzeit auf einem Bildschirm anzeigen. Jede Regung in meinem Gesicht, das Beißen auf die Backenzähne oder jedes Zwinkern mit den Augen lässt die Hirnströme ausschlagen. Deswegen sei es auch ganz wichtig beim Training ruhig zu sitzen und nur auf den Bildschirm vor einem zu gucken, weist mich Lehn ein.
Neurofeedback ist eine relativ neue Art der Verhaltenstherapie, die zunehmend populärer wird. Geforscht wird dazu zwar schon seit knapp 30 Jahren, praxistauglich ist es erst seit knapp 15 Jahren. Die Hauptanwendungsbereiche sind vielfältig: Zumeist werden damit Kinder und Jugendliche behandelt, die an Epilepsie oder ADHS erkrankt sind. Allerdings kann damit auch Patienten mit Ess- oder Schlafstörungen geholfen werden. „Im Leistungssport wird das zunehmend integriert. So soll zum Beispiel die italienische Fußball-Nationalmannschaft damit arbeiten“, erzählt Lehn. „Aber auch für Künstler und Musiker kann das hilfreich sein, um womöglich beim Vorspielen bessere Leistungen zu bringen und konzentrierter zu sein.“ Hinzu kommen weitere besondere Eigenschaften dieser Therapie: Sie ist schmerzfrei, hat keine Nebenwirkungen und ihr Erfolg wurde bereits in zahlreichen Studien nachgewiesen.
Zurück in der Praxis: Zunächst einmal suche ich mir auf dem Monitor einen Gegenstand aus, mit dem ich nachher die Aufgaben erledige, die mir das Programm dann stellt ─ ich wähle eine Feder. „Sie sehen nun die Feder auf Ihrem Bildschirm und bei jedem Übungsdurchgang kommt diese dann von links ins Bild“, erklärt Lehn langsam und genau. „Die Aufgabe ist es dann, dass das Gehirn entweder wach gemacht oder ruhig gemacht wird. Je nach Aufgabenstellung.“
Und diese Veränderungen werden direkt durch die Feder angezeigt: Wenn ich das Gehirn wachmache, also aktiviere, geht die Feder nach oben. Entspanne ich mein Gehirn, sinkt die Feder zu Boden. Mit Hilfe der Gedanken sollen die Aufgaben dann gelöst werden. Wie ich die Aufgaben dann konkret löse, muss ich ausprobieren ─ Hauptsache ich aktiviere oder entspanne das Gehirn auf Kommando. So soll ich dann lernen, mein Gehirn bewusst zu steuern. Das klingt doch ziemlich einfach, dachte ich mir und Beate Lehn startete das Training.
Leichter gesagt, als getan
Woran muss ich also denken, damit mein Gehirn aktiviert wird und woran, damit es sich entspannt? Ich versuchte es mal ganz simpel mit „Feder bleib oben, oben bleiben, oben, geschafft.“ oder „Feder geh runter, unten bleiben, unten, unten.“ Die ersten Aufgaben klappten ganz gut, dann wurde auf dem Bildschirm eine Sonne angezeigt, das sogenannte Feedback. Allerdings war der Erfolg wohl eher zufällig, denn einige Aufgaben konnte ich so nicht lösen. Und so wie ich probieren die Patienten auch verschiedene Lösungswege aus: Die einen denken an Rechenaufgaben, andere sagen sich in Gedanken ein Gedicht auf oder träumen vom vergangenen Urlaub. Und jeder neue Gedanke beeinflusst das Training, wodurch man eine sofortige Rückmeldung bekommt.
„Welche Prozesse letztlich an den Nervenenden ablaufen, wissen wir nicht genau“, sagt Neurofeedback-Experte Andreas Krombholz. Krombholz betreibt die Therapie- und Trainingsakademie „Neurofit“ in Krefeld, in der die Patienten lernen ihr Gehirn besser zu lenken. „Ich vergleiche das gerne mit dem Fahrradfahren. Da können wir auch nicht bewusst sagen, wie wir das Gleichgewicht halten“, so Krombholz. „Das Gehirn lernt es vielmehr währenddessen und genauso ist das beim Neurofeedback.“ Dem Gehirn wird also die Möglichkeit gegeben, das Aktivieren und Entspannen selbst zu lernen.
Forschungsergebnisse:
Die Wirksamkeit von Neurofeedback wurde bereits in zahlreichen Studien nachgewiesen. Unter anderem auch von der Universität Tübingen, die Kinder im Alter von acht bis dreizehn Jahren mit insgesamt 30 Sitzungen in drei Blöcken getestet haben. Es wurden Verbesserungen in deren Konzentration, Verhalten und Intelligenzquotienten festgestellt.
Zur Kontrolle wurden sechs Monate nach Abschluss der Behandlung weitere Untersuchungen durchgeführt und die positiven Veränderungen bestätigten sich. Die Therapie hatte also langfristige Wirkungen auf die Kinder.
Ähnlich Studienergebnisse erzielten andere renommierte Institutionen wie die Uni Erlangen oder das Klinikum der Uni Frankfurt/Main.
Bewusste Konzentration
In der Zwischenzeit hat sich Beate Lehn in ihr Büro zurückgezogen, ich sitze nun allein vor dem Bildschirm und löse meine Aufgaben. Nun denke ich an ganz hohe Zahlen oder daran, was ich am Wochenende mache. Und es funktioniert, ich bekomme immer häufiger Sonnen ─ das Gehirn bewusst zu steuern funktioniert besser als gedacht. Allerdings merke ich auch, wie konzentriert man arbeiten muss. Deswegen geht eine Sitzung nie länger als eine Stunde, sagt Lehn. So lange könne sich niemand ohne Pause konzentrieren und auch ich fühle mich nach meinem nur 16-minütigen Training leicht erschöpft.
Bisher wird Neurofeedback noch nicht von den Krankenkassen bezahlt: Das liegt zum einen an gesundheitspolitischen Entscheidungen, also dem Beharren auf Medikamenten. Zum anderen, weil Neurofeedback relativ neu ist und viele Ärzte sowie Krankenkassen diese Therapie noch skeptisch betrachten. „Wenn sich die Datenlage bald verbessert, es noch bessere Fallzahlen gibt, wird es irgendwann schwierig für die Krankenkassen“, sagt Lehn. „Warum sollte man dann eine langfristig wirksame, kostengünstigere Therapie nicht bezahlen?“
Interessante Ergebnisse
Mit Beate Lehn sitze ich nun vor dem Bildschirm, wir sprechen über das Training und werten zusammen meine Ergebnisse aus. Es sind zwei Linien zu sehen, eine blaue für die Entspannung und eine rote für die Aktivierung. „Bei Ihnen sind die Kurven genau umgekehrt“, erklärt Lehn. „Sie konnten das Gehirn besser entspannen als aktivieren.“ Das könne beim nächsten Training aber schon anders sein, denn genauso wie bei körperlichen Leistungen hat das Gehirn eine Tagesform.
Um das Neurofeedback-Training auch auf lange Sicht zu festigen, sind regelmäßige Sitzungen nötig. Bei Erwachsenen sind das ungefähr acht bis 15 Sitzungen, bei Kindern zumeist mehr. Allerdings hängt das stark vom individuellen Lernfortschritt ab. Das Training in der Praxis reicht jedoch nicht. „Der Übertrag nach Hause ist sehr wichtig, weil die Situationen in der Praxis immer anders sind als daheim“, betont Krombholz. „Deswegen werden die Trainings auch mit Ablenkung gemacht, damit die Patienten lernen diese auszublenden. “
Keine Wundertherapie
Dennoch, bemerkt Lehn am Ende der Sitzung, dürfe man vom Neurofeedback in Zukunft keine Wunderdinge erwarten. Eine gute Alternative ist es gewiss, aber alles ist damit nicht zu heilen. „Viele Konzentrations- und Leistungsprobleme hängen mit dem ungesunden Lebensstil der Menschen zusammen. Darauf muss einfach auch geachtet werden“, sagt die Psychologin. Und zur Leistungsverbesserung des Gehirns sind noch andere Kompomenten wichtig: Zum Beispiel ein rhythmisierter Alltag, guter Schlaf und natürlich wenig Stress.
Mehr zum Thema
web: Homepage von ADHS-Feedback
web: Homepage Neurofit Akademie
web: Homepage der Deutschen Gesellschaft für Biofeedback (DGBfb)
eldoradio: Radiobeitrag zum Thema Neurofeedback
pflichtlektüre: Brain Painting