Fast jeder zweite Migrant bricht das Studium ab

Ein Studium ist für die meisten alles andere als eine Kleinigkeit. Reichlich Arbeit, lange Stunden in Hörsälen oder Bibliotheken und anspruchsvolle Prüfungen bestimmen den Alltag an deutschen Universitäten und machen den Studenten das Leben schwer. Aber für Studenten mit Migrationshintergrund ist der Hochschulabschluss eine noch viel größere Herausforderung.

Fast jeder zweite Bildungsinländer bricht sein Studium ab. Das ist das vorläufige Ergebnis des Hochschul-Informations-Systems (HIS), dass den Studienverlauf von Migraten untersucht. Etwa 40 bis 50 Prozent von ihnen beenden nach ersten Berechnungen das Studium ohne Abschluss. Damit liegt ihre Abrrecherquote wesentlich höher als im Durchschnitt aller Studenten (24 Prozent).
Duden, deutsche Rechtschreibung. Foto: Anna Hückelheim

Trotz deutschem Abitur können mangelnde Deutschkenntnisse der Grund für Schwierigkeiten im Studium sein. Foto: Anna Hückelheim

Für diesen Unterschied macht Ulrich Heublein, stellvertretender Leiter des Arbeitsbereiches Studierendenforschung des HIS, nennt er drei Ursachen: Die Vorbereitung auf das Studium, die Struktur der deutschen Hochschulen sowie eine mangelnde Integration. „Die Deutschkenntnisse vieler Bildungsinländer sind nicht so gut, wie sie sein sollten. Sie sind nicht ausreichend auf ein Studium vorbereitet – und das obwohl sie eine deutsche Zugangsberechtigung zur Hochschule haben, wie das Abitur oder Fachabitur“, so Heublein. Dabei betont er aber, dass die Schwierigkeiten der Bildungsinländer nicht in der Umgangssprache liegen, sondern vor allem bei wissenschaftlichen Diskursen oder in Hausarbeiten auftreten. Dies stelle ein besonderes Problem dar, da Studenten sich durch ihre Teilnahme am Diskurs, bereits Wissen aneignen sollen. „Doch dafür wird ein hohes sprachliches Vermögen verlangt, das viele nicht haben“, sagt Heublein.

Diese Erfahrung musste vor kurzem auch die Lehramtsstudentin Ebru machen. Ihre Eltern kommen aus der Türkei. Sie ist in Deutschland geboren und hat hier auch ihr Abitur gemacht. Ihr Studium verlief gut, sie hatte alle Klausuren und Prüfungen in Mathe und Chemie gemeistert. Doch dann folgte die Rückgabe der Bachelorarbeit – nicht bestanden. „Schuld waren grammatikalische Probleme“, so Ebru, „mein Professor sagte sogar, ich hätte nicht einmal Abiturniveau.“ Doch Hilfestellung für den zweiten Versuch erhielt sie von ihm keine.

Selbstständigkeit wird voraussgesetzt

Darin vermutet auch Heublein einen weiteren Grund für die vielen Studienabbrecher unter den Migranten: „Die deutschen Hochschulen erwarten einen hohen Grad an Selbstständigkeit bei ihren Studenten.“ Gebe es beispielsweise bestimmte Prüfungen mit einer überdurchschnittlichen Durchfallquote, so bauen deutsche Hochschulen ihre Beratungs- und Betreuungsangebote aus, jedoch bleiben diese weiterhin freiwillig. „Das ist typisch deutsch“, sagt Heublein, „so müssen Studenten ihre Defizite selber erkennen und sie sich auch selbst eingestehen.“ Doch damit sei auch immer eine gewisse Scheu verbunden. Letztendlich komme es auf die Erziehung an, stark Selbstständigkeit und Selbstreflexion gefördert worden seien.

Studenten mit Migrationshintergrund_Tresor Sop. Foto: Anna Hückelheim

Integration pur - Tresor Sop hat viele deutsche Freunde an der TU. Foto: Anna Hückelheim

Eine dritte Erklärung für die höhere Abbrecherquote sieht die Studienforschung HIS auch in einer fehlenden Integration. „Es besteht an den deutschen Hochschulen sehr häufig eine wechselseitige Ignoranz zwischen Studenten mit und ohne Migrationshintergrund“, so Heublein. Es gebe kein selbstverständliches aufeinander zugehen, sodass beide Gruppen jeweils unter sich blieben und sich nicht untereinander austauschen.

Dass dies nicht immer der Fall sein muss, beweist Tresor Sop. Der gebürtige Franzose studiert im neunten Semester Elektrotechnik an der TU und zählt auch viele deutsche Kommilitonen zu seinem Bekanntenkreis. „Ich bin sehr kontaktfreudig und habe gute deutsche Freunde“, so Tresor. Auch Ebru hat schnell Kontakt zu ihren deutschen Kommilitonen geschlossen. „Ich bin in Dortmund geboren und aufgewachsen, da ging das schnell“, sagt sie.

Größere Finanzierungssorgen

Den Ursachen für die hohe Abbrecherquote stimmt auch Stefan Grob vom Deutschen Studentenwerk zu. Grob betont außerdem, dass Migranten es schwerer haben, sich ein Studium zu finanzieren. Mehr als ein Drittel von ihnen muss selber für sich aufkommen. Bei Studenten ohne Migrationshintergrund ist es gerade einmal ein Fünftel, das finanziell komplett auf sich selbst gestellt ist, wie die 19. Sozialerhebung des Deutschen Studentwerks aufzeigt.

Auch die libanesische Bauingenieursstudentin Rayan (Name von der Redaktion geändert) muss neben ihrem Studium arbeiten gehen. Sie bekommt zwar BAföG, aber das reicht nicht aus, um die Studiengebühren und den Lebensunterhalt abzudecken. „Wir müssen häufig sehr zeitaufwendige Zeichnungen für die architektonischen Kurse anfertigen. Wenn das mit meinen Arbeitszeiten kollidiert, leidet das Studium darunter“, sagt die 22-jährige.

Universität Duisburg-Essen, Campus Essen. Foto: UDE

Die Universität Duisburg-Essen bietet viele Projekte zur Förderung von Studenten mit Migartionshintergrund an. Foto: UDE

Diversity Management an der UDE

Die Universität Duisburg-Essen hat sich längst auf diese neuen Ansprüche eingestellt, die sich aus der vielfältige Zusammensetzung der Nationalitäten ihrer Studenten ergeben. Laut der 19. Sozialerhebung hatten im Sommersemester 2009 18 Prozent der Studenten der UDE einen Migrationshintergrund.  Im Vergleich dazu betrug die Größe dieser Gruppe an der TU Dortmund nur 10 Prozent. Um unteranderem diese Studenten auf dem Weg zu ihrem Abschluss zu unterstützen, hat die UDE 2008 das Prorektorat Diversity Management (DiM) eingerichtet. Dadurch möchte die Hochschule auch ihre „kulturelle Vielfalt gezielt unterstützen“. So gehören beispielsweise Angebote wie das Sprachtandem und das Projekt „Chance²“ zum Programm des Prorektorats für DiM.

Beim Sprachtandem lernen und üben zwei Studenten mit unterschiedlicher Muttersprache die Sprache des Tandempartners und dessen Kultur. Das Projekt „Chance²“ richtet sich bereits an Schüler der neunten beziehungsweise zehnten Klassen. Die UDE möchte dadurch „den Anteil von Abiturienten sowie Hochschulabsolventen mit Migrationshintergrund und aus nicht-akademischen Familien erhöhen“. So sollen Schüler durch Sprach- und Lerntraining besser auf das Abitur vorbereitet werden. Entscheiden diese sich anschließend für ein Studium an der UDE, können sie ein Stipendium von 300 Euro pro Monat bekommen.

Leiter der Pressestelle der RUB

Josef König sieht keinen Förderungsbedarf für Migranten. Foto: RUB

Keine speziellen Förderprogramme an der RUB

Während die UDE ein breites Spektrum an Förderungsangeboten für Studenten mit Migrationshintergrund besitzt, herrscht an der Ruhr-Universität Bochum eine vollkommen entgegengesetzte Meinung, obwohl auch dort im Sommersemester 2009 18 Prozent der Studierenden einen Migrationshintergrund besaßen. „An der RUB treten die so genannten Bildungsinländer nicht als ‚homogene‘ Gruppe auf“, so Pressesprecher Josef König. „Daher gibt es auch keine besonderen Programme für sie.“ Sie haben schließlich das deutsche Abitur und damit die gleichen Hürden überwunden, die auch deutsche Studierende zu überwinden gehabt haben. Daher sehe die RUB keinen besonderen Beratungsbedarf. Der sei bislang auch noch nicht thematisiert worden, weshalb es auch keine speziellen Förderprogramm gebe, so König.

Dass diese aber ingesamt nötig sind -egal an welcher Hochschule-, zeigt die Erhebung des HIS. Denn nur durch gezielte Förderprogramme kann die  hohe Abbrecherquote langfrigstig verkleinert werden, damit mehr Studenten mit Migrationshintergrund einen akademischen Grad erlangen.