Rosenmontagszug auf dem Sofa

 

Ein Beitrag von Annika Koenig

Jedes Jahr zu Karneval bleibt die Zeit in Köln und Düsseldorf stehen. Im Büro ist keiner mehr zu erreichen, alle zieht es hinaus auf die Straße. Besonders der Rosenmontagszug ist Ehrensache. Dann sind auch meine Kommilitonen ausgeflogen. Nur mich, eine echte Dortmunderin, verwirrt alles rund um Kamelle, Helau und Alaaf. Da habe ich mir so schön vorgenommen, dem Ganzen live auf den Grund zu gehen. Und dann das: Zehen gebrochen, Zuhause bleiben, Fernseher einschalten. Eine Geschichte von Schmerzgrenzen, Schunkeln und jeder Menge Karneval vom Sofa aus.

 

9:00 Uhr: Nur widerwillig wälze ich mich aus dem Bett. Müde humple ich mit meinem komischen Zehen-Schutz-Schuh in Richtung Fernseher und schalte ihn ein. Der Moderator des WDR begrüßt mich zum Karneval in Kölle mit dem Motto: „Jedem Jeck sing Pappnas“. Er dankt den Zuschauern in den Altenheimen für ihr Einschalten. Das ist also das Zielprogramm. Tausende kölsche Rentner, die ihre Hörgeräte auf Höchstleistung stellen – und ich. Aber ich habe es ja so gewollt. Der erste musikalische Beitrag kann mich direkt nicht überzeugen. Der „Karneval in Kölle“ wird mit Vollplayback besungen. Dann wird verkündet: Der Zug kommt um 10.30 Uhr! Also doch genug Zeit, um einen Kaffee aus der Küche zu holen. Auf dem Weg aus meinem Zimmer klingt die Stimme einer Passantin aus dem Fernseher nach: „Das ist so toll hier, wie Psychotherapie!“

Gummibärchen statt Kamelle

9:20 Uhr: Fünfhundert Euro zahlt eine Person, die zu Fuß mit einer Gruppe bei dem Zug mitläuft. Und das gilt nur für die Vor-Gruppen, also die, die am Anfang laufen. Dafür könnte ich auch eine Woche nach Mallorca fahren. Oder mein Auto in die Reparatur geben. Aber die Vereine lassen sich ihren Auftritt einiges kosten. Das liege auch daran, dass traditionelle Kamelle gar nicht mehr so viel geworfen werde, sondern eher qualitative Ware, wie Gummibärchen in der Tüte, erklärt ein Vereinsleiter. Ortswechsel: Die absoluten Newcomer der Session sind jetzt dran. Bis das Akkordeon der Band Kasalla einsetzt, hört sich „Pirate“ ganz stark nach einem Depeche-Mode-Personal-Jesus-Cover an.

9:44 Uhr: Die chinesische Prinzessin sagt: „Das hat mir total gefallen – mein schönstes Erlebnis!“ Die Moderatorin reagiert mit einem knappen „Okay“, dann dreht sie sich zu dem anderen Interviewpartner um. Haha. Ich schmeiße die Google-Maschine an und muss feststellen: Das ist keine echte Prinzessin, sondern eine ausgewählte Repräsentantin, die in Peking in der Touristikbranche arbeitet. Eine echte Mogel-Packung also, aber darum geht es beim Karneval.

10:15 Uhr: „Können diese Augen lügen? Weeeenn sie dich so treuuu anseeehn?“ – der Fernseh-Garten ist nichts dagegen. In lustigem Szenen-Wechsel zwischen den verschiedenen Standorten und Moderatoren werden besonders wichtige Leute vorgestellt – Funkenmariechen, Veranstalter, Organisatoren. Als Nicht-Kölner bleibt man definitiv außen vor. Jetzt wird auch das erste Mal auf Düsseldorf geschimpft. Diese Hass-Liebe habe ich zwar noch nie richtig verstanden, dazu fällt mir dann aber doch der Vergleich Borussia-Schalke ein.

„D’r Zoch kütt“

 

10:30 Uhr: Die Kölner Ratsbläser legen los und damit wird der Rosenmontagszug auf den Weg geschickt. „D’r Zoch kütt“ – Jetzt wird’s spannend. Da entdecke ich in der Menge eine Frau, die als Hühnchen verkleidet ist. Daneben steht eine Gruppe Clowns. Irgendwie machen mir Clowns Angst, besonders die traurigen. Noch schlimmer sind diese Clown-Puppen aus Porzellan. Man sollte einfach keine Horror-Filme zu Halloween gucken.

10:50 Uhr: Der erste Teil des Zugs besteht nur aus den „Blauen Funken“. Ihr Kostüm erinnert mich an preußische Soldaten mit einer Spur Napoleon-Dekadenz. Sie wechseln sich ab mit den Matrosen. Und dann kommen die „Roten Funken“. Die Hüte sehen anders aus, die Kostüm-Basis ist ähnlich. Hoffentlich handele ich mir mit so einer Aussage keinen Ärger ein. Das Geschwätz der Moderatoren Marita Köllner und Wicky Junggeburt im Hintergrund wird allmählich anstrengend. Sie sind selbst Urgesteine des Karneval und etwas übermotiviert.

11:25 Uhr: Was genau steckt eigentlich unter den Wagen? Ein Trecker? Ich helfe meiner Karnevals-Stimmung mit einem Kostüm auf die Sprünge und setze meine selbst-gebastelten Bienen-Fühler auf. Herrlich, schon besser.

11:50 Uhr: „Ganz früher wurde das Mariechen durch Männer dargestellt. Das hat man aber in der braunen Zeit abgeschafft“, bemerkt der lustige Kommentator. Plötzlich höre ich wieder richtig hin. Irgendwie ist die konstante Marschmusik ineinander übergegangen. Große Witze bleiben bisher aus und da es sich allein nicht ganz so gut schunkelt, langweile ich mich langsam. Ich verschreibe mir selber einen Berliner als Trost.

Freizügige Pappmache-Dame

12:12 Uhr: Kaum verlasse ich mal mein Zimmer, verpasse ich auch schon beinah das Beste. „Er gehört zu mir“, tönt in Trompeten-Form durch die Wohnung. Endlich ein Lied, das auch ich kenne. Huch! Die nächste Überraschung. Auf dem Wagen der Köln-Rio-Partnerschaft sitzt eine äußerst freizügige Pappmache-Dame. Das ist auch den Kommentatoren aufgefallen. Und dann sind wieder „urkölsche Melodien“ zu hören: ABBA – Dancing Queen.

12:36 Uhr: Wo bleibt eigentlich der Wulff-Wagen? Der Abgang des Bundespräsidenten enthält doch genug Satire-Potenzial.

12:48 Uhr: Hilfe! Diese Xylophone in der Marsch-Musik machen mich wahnsinnig. Das höre ich bestimmt noch tagelang in meinem Hinterkopf. Ebenso den Kölner Dialekt. Das absolute Highlight folgt aber sofort: Ein Zwei-Mann-Rad. Der eine schnappt sich den anderen, schmeißt sich ihn über die Schulter – und dann werden die Beine des einen zu den Armen des anderen. Ist doch ganz logisch.

13:38 Uhr: Facebook als gelbe Spinne, die ihre Opfer einwickelt. Toller Wagen, aber meine Aufmerksamkeit schwächelt merklich. Ich humple zum Fernseher und drück den Aus-Knopf. Stille. Endlich. Nach knappen fünf Stunden Köln reicht’s. Zwei weitere Stunden Köln und dann noch der Düsseldorfer Zug sind für mich einfach zu viel.

Fazit: Wer den Karneval nicht im Blut hat, der hat schlechte Karten. Als Dortmunderin finde ich die Feierei zwar nett und lustig, so richtig nachempfinden kann ich sie aber doch nicht. Letztes Jahr war ich am Rosenmontag in Düsseldorf und siehe da, ich habe mich von der Atmosphäre und den grölenden Passanten mitreißen lassen. Aber vor dem Fernseher ist Karneval einfach nur doof und die Übertragung des Rosenmontagszuges nur streckenweise zu ertragen.