Flucht aus der DDR: „Wieso hassen die uns so?“

Das letzte Ausweisdokument von Thomas Drescher (geb. Fiedler) aus der DDR.

Thomas Drescher (geb. Fiedler) wollte im Januar 1989 aus der DDR in den Westen fliehen – und scheiterte. Kurz vor dem Mauerfall wurde er als einer der letzten politischen Häftlinge freigekauft. Der pflichtlektüre erzählte er von seinem dramatischen Fluchtversuch.

„Wat macht’n ihr da für `ne Scheiße?“ Ein Grenzsoldat schreit. Er hält eine Kalaschnikow in der Hand, richtet sie auf Thomas Drescher und seinen Freund Dirk. Die beiden Männer wollen flüchten. Ihre Leiter haben sie schon an der Berliner Mauer angelegt, als ein Suchscheinwerfer die beiden so sehr blendet, dass sie nichts mehr sehen. Grenzhunde haben sie entdeckt.

Thomas Drescher nach der Wende an der Berliner Mauer.

Thomas Drescher nach der Wende an der Berliner Mauer.

Das war am 24. Januar 1989. Der damals 21-jährige Thomas Drescher und sein Freund hatten den riskanten Versuch gewagt, nach Westberlin zu fliehen.

Haftzeit bleibt ewig in Erinnerung

Die Volkspolizei übernahm die Flüchtlinge. „Die Polizisten haben uns im Auto abwechselnd die Pistole ins Gesicht gehalten. ‚Ihr habt schon mehrere Minuspunkte und wenn ihr nur zuckt, knalle ich euch ab’, sagte einer von ihnen. ‚Das glaube ich aufs Wort’, war meine Antwort. Innerlich habe ich mich gefragt: ‚Wieso hassen die uns so?’ Es lief mir kalt den Rücken herunter“, sagt Thomas Drescher 26 Jahre nach dem Fluchtversuch, der sein Leben veränderte.

Er kam in Untersuchungshaft, drei Monate später verurteilte ihn die DDR-Justiz zu 15 Monaten Haft. Einen Teil verbrachte Thomas Drescher als Strafarbeiter im Stahlwerk Riesa. Monate, die ihm für immer in schlimmer Erinnerung bleiben: „Wir hatten einen Postenführer, der sich meist jemanden ausgesucht hat, den er dann mit in sein Büro genommen und geschlagen hat. Das Wimmern und Schreien werde ich wahrscheinlich nie vergessen.“

Freigekauft durch die BRD

Von den Protesten in der DDR bekam er nichts mit. Und hätte seine Mutter ihn nicht im Westen als inhaftiert gemeldet, hätte er die Wende als Häftling erlebt. Ende Oktober 1989 wurde er als einer der letzten DDR-Bürger von der Bundesregierung freigekauft. Zwischen 40.000 und 60.000 Westmark soll sie für ihn gezahlt haben. Thomas Drescher weinte, als er am 24. Oktober 1989 endlich in den Zug steigen und die DDR Richtung West-Berlin verlassen durfte.

Thomas Dreschers Entlassungsurkunde - damit durfte er die DDR offiziell verlassen.

Thomas Dreschers Entlassungsurkunde – damit durfte er die DDR offiziell verlassen.

Noch immer kann er nicht fassen, dass sich zumindest für ihn die Grenzen zum Westen öffneten: „Keiner von uns hatte gedacht, jemals legal von der DDR nach West-Berlin fahren zu können. Meine Freunde und ich hatten viele Träume von unserem zukünftigen Leben. Wir konnten damals einfach nicht verstehen, dass die Welt für uns nicht offen stand.“

Die Vergangenheit ist aufgearbeitet

Eigentlich wollte er in West-Berlin bleiben. Doch schon drei Wochen später, am Morgen nach dem Mauerfall, brach er in der Morgendämmerung wieder auf. Er wollte den „Umarmern“, den Menschen, die nun aus der DDR in den Westen kamen, nicht begegnen. „Ich habe einfach zu viele Menschen in der DDR kennenlernen müssen, die das System mitgetragen und uns Andersdenkende kriminalisiert haben. Ich konnte mich an diesem 9. November nicht für alle Menschen freuen“, sagt Thomas Drescher.

Lange habe er für die Aufarbeitung seiner Fluchtgeschichte und der SED-Diktatur gebraucht.
Über zwei Jahrzehnte hat er bei jedem Fernsehbericht über die DDR weggeschaltet und nichts von seiner Flucht erzählt. Erst seit einem Besuch in einem früheren Stasi-Knast, der ihn an seine Haft erinnerte, spricht er über seine Erlebnisse.
Inzwischen ist Thomas Drescher wieder nach Schildow bei Berlin gezogen. Genau dorthin, wo vor 26 Jahren die Geschichte seiner gescheiterten Republikflucht begann.

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