Flucht in das Haus Gottes

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Kaum ein Thema polarisiert momentan so stark wie die Flüchtlingsfrage. Für Pastor Werner Hanschmann ist klar: Menschen in Not kann man nicht genug helfen. Seine Gemeinde gewährte einer iranischen Familie „Kirchenasyl“ und bewahrte sie vor der Abschiebung. Ein Zeichen für Menschlichkeit und ein Sieg gegen die Bürokratie.

Das Gotteshaus der Freien Evangelischen Gemeinde in Castrop-Rauxel wirkt auf den ersten Blick verschlafen und unscheinbar. Wie der Rest der umliegenden Nachbarschaft: überall Einfamilienhäuser und brave Vorgärten, kaum hundert Meter weiter: Spaziergänger, die zum Gassi-Gehen in den nahegelegenen Wald schlendern. Eine Insel der Seligen. Die Probleme der großen, weiten Welt, Diktatoren, Todesangst und menschliche Tragödien – all das wähnt man weit, weit weg. Und liegt falsch.

Im Büro des Pfarrhauses der Freien Evangelischen Gemeinde erinnert sich Pastor Werner Hanschmann an die iranische Familie, die drei Monate lang unter dem Dach seiner Kirche Schutz suchte. Das Gotteshaus bewahrte sie nicht etwa vor politischer oder religiöser Verfolgung, sondern vor der Europäischen Bürokratie. Denn: Nach dem Willen der Zentralen Ausländerbehörde sollte die junge Familie nach Italien abgeschoben werden.

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Drei Monate lang lebte die Flüchtlingsfamilie unter dem Dach der Freien Evangelischen Gemeinde. Fotos: Philip Michael

Flucht vor religiöser Verfolgung

Rückblick: Anfang 2013 floh das junge Ehepaar mit ihrem fünfjährigen Sohn aus Teheran. Sie waren vom Islam zum Christentum konvertiert. „Wenn man im Iran dem Islam abschwört, heißt das immer: Lebensgefahr“, erklärt Hanschmann. Ihre Namen können Sie deshalb nicht nennen. Aus Angst, denn die Arme der Ajatollahs sind lang: „Auch in Deutschland gibt es Leute, die heimlich mit dem Regime in Teheran zusammenarbeiten.“ Schon einmal wurden zurückgebliebene Verwandte der Familie im Iran von Mitgliedern des Geheimdienstes traktiert. Vermutlich, weil Informanten aus Deutschland von der Flucht Wind bekommen hatten.

Die Flucht kostete ein kleines Vermögen. Eine Schlepperbande beschaffte ein gefälschtes Visum für Italien und Flugtickets für das erhoffte Zielland: Deutschland. Der Ankunft im Flughafen Hamburg folgte der übliche beschwerliche Weg. Asylantrag, Zuweisung auf ein Erstaufnahmelager und die lange Zeit des Ungewissheit, des Wartens. Eine Zeit in der sich die dreiköpfige Familie komplett in Deutschland einlebte. Über eine iranische Gemeinde in Dortmund kamen das Ehepaar und ihr Sohn mit der Freien Evangelischen Gemeinde in Castrop-Rauxel in Kontakt. „Sie haben sich in unserer Gemeinde integriert, haben Freundschaften geknüpft, Deutsch gelernt“, erinnert sich Pfarrer Hanschmann. „Der Sohn hat Fußball gespielt und den Kindergarten besucht.“

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„Das Prinzip des Kirchenasyls ist ein urchristliches Prinzip“, so Pfarrer Werner Hanschmann

Aufschrei gegen die Bürokratie

Doch die Bürokratie sollte die junge Familie nach einem einiger Zeit einholen: sie erhielten einen Brief des Gerichts, darin schnörkellos: die Ankündigung ihrer Abschiebung. Der Grund: Der Asylantrag muss nach EU-Recht im Land der Erstankunft gestellt werden. Und das ist nach Ansicht der Behörden Italien, wegen des gefälschten Italien-Visums. „Das konnten wir nicht zulassen. Der Aufschrei in der Gemeinde und in ganz Castrop-Rauxel war groß“, erzählt Hanschmann. Die Lösung, der Schutz vor der Abschiebung: Kirchenasyl. Drei Monate lang lebten die Iraner unter dem Dach der Freien Evangelischen Kirche. Kein Novum, denn Kirchenasyl ist ein urchristliches und uraltes Prinzip.

Pastor Hanschmann klärt auf: „Schon der kleine Jesus musste mit seinen Eltern aus seiner Heimat fliehen. Und bereits im Judentum galt: Wer in den Tempel flüchtet, genießt Schutz vor Verfolgung. Daher ist auch die Kirche bis heute ein geschützter Raum.“

Unumstritten ist das bis heute praktizierte, aber kaum bekannte Prinzip nicht. Kritiker werfen der Kirche vor, das Instrument des Kirchenasyls sei quasi eine „Extrawurst“ für die Kirche, eine Art subtiler Machtdemonstration wider den säkularen Staat. Das Kirchenasyl ist außerdem juristisch nicht wirklich anerkannt. Ein Status-Quo, an den sich der Staat trotz aller Fraglichkeit meistens hält. „Stille Übereinkunft“ nennt man das. Dafür sind die Kirchen für ihre Schützlinge voll verantwortlich: Sie müssen den Lebensunterhalt bezahlen, Essen, medizinische Versorgung, Arztkosten. Und die Asylsuchenden dürfen das Kirchengelände nicht verlassen.

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Der klare Appell von Pastor Werner Hanschmann: aus dem Blickwinkel der anderen sehen.

Helfen statt Vorurteile schüren

Im Fall der iranischen Familie in Castrop-Rauxel versetzte das Kirchenasyl Berge. Der Medienrummel und das Mitleid der Bürger war groß, die Behörden rollten den Fall wieder auf. Nach einigem Hin und Her stand schließlich fest: Die Familie darf ihren Asylantrag nun doch in Deutschland stellen. Die drohende Abschiebung – abgewendet durch die Kirche? „Ich habe die Behörden von Anfang als unglaublich menschlich und kooperationsbereit empfunden“, lässt Hanschmann Revue passieren. „Und doch wäre die Familie ohne das Kirchenasyl wohl abgeschoben worden.“ Die Behörden seien schlichtweg zu überlastet, um jeden Fall gründlich zu untersuchen, so Hanschmann. Man sei gezwungen, schnelle Entscheidungen zu treffen. Dass das Menschliche dabei oft auf der Strecke bleibt – ein unangenehmer Nebeneffekt.

„Daher ist es wichtig, dass die Gesellschaft sich nicht auf die überforderte Bürokratie verlässt. Jeder muss die Augen aufmachen für die Schicksale der Flüchtlinge um ihn herum“ Umso trauriger ist Hanschmann dieser Tage deshalb, wenn er die Nachrichten schaut. Pegida und Co. verteidigen vermeintlich das Abendland, treten dabei aber in Wirklichkeit christliche Werte mit Füßen. „Ausländerfeindlichkeit hat nichts mit der Bibel zu tun. Allerhöchstens mit dem Abendland“, so der evangelische Pfarrer. Sein Appell: „Betrachten Sie die Welt mal aus der Sicht der Flüchtlinge. Niemand flüchtet aus Spaß um die halbe Welt und lässt alles zurück. Fragen Sie sich mal: Möchte ich mit denen tauschen? Glaube ich wirklich, dass es diesen Menschen zu gut geht?“ Denn was ist Nächstenliebe schon anderes als mit den Augen des anderen zu sehen?

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