Mit Webcam und Bewegungsmelder gegen die Angst

Der Blick zurück, wenn sie allein unterwegs ist. Ob ihr nicht vielleicht doch jemand folgt? Die Zigarettenkippen unter ihrem Fenster, von wo aus er sie beobachtet hat. Die obszönen Nachrichten, über Dinge, die er mit ihr anstellen würde. Petra Reininghaus weiß, wie sich das anfühlt. Monatelang hatte sie einen Stalker, mit dem sie ihr Leben teilen musste.

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Petra Reininghaus erzählt von ihren Erfahrungen mit dem Stalker. Foto: Niklas Rudolph

Mittlerweile hat sie es hinter sich lassen können. Ganz vergessen wir sie die Zeit, in der sie der Stalker verfolgte, aber nicht. Es hat sie verändert. „Ich bin früher immer allein nach Hause gelaufen. Egal, ob es Nacht war und stockdunkel. Dabei hab ich mir nie was gedacht, ich hatte nie Angst davor.“ Heute kann sie das nicht mehr tun. Petra Reininghaus ist damit nicht alleine.

Im Jahr 2012 wurden 24.592 Fälle von Stalking in Deutschland vom Bundeskriminalamt registriert – die Dunkelziffer ist hoch. Meist fängt alles harmlos an. So auch bei Petra Reininghaus. Schon seit ihrer Ausbildung kannte sie ihren späteren Stalker. Als er in die Nachbarschaft zog, entwickelte sich nach und nach auch eine gute Bekanntschaft. „Mal brachte er mir frisches Gemüse vom Wochenmarkt mit, mal tranken wir einen Kaffee bei uns“, beschreibt die heute 50-Jährige die Beziehung. Der Mann hatte damals eine Freundin und sie war verheiratet, deshalb dachte sie gar nicht daran, dass die Bekanntschaft zu mehr führen könnte.

Weil ihr Mann damals viel unterwegs war, war die Buchhändlerin oft alleine zu Hause. Der spätere Stalker gab sich zu der Zeit sehr hilfsbereit und gastfreundlich. Ein typisches Verhalten, weiß Martina Schmitz, Geschäftsführerin Dachverbandes der Frauenberatungsstellen in Nordrhein-Westfalen: „Der Stalker will die Aufmerksamkeit der geliebten Person um jeden Preis gewinnen.“ Enttäuschte Liebe – meist das Motiv der Stalker, viele sind die Ex-Partner ihres Opfers.

Wenn ich dich nicht haben kann, sollst du keinem Anderen gehören

Bei einem gemütlichen Kaffee in der Küche schlug für Petra Reininghaus die Stimmung um: Die Hilfsbereitschaft ihres Nachbarn gipfelte in einer Liebeserklärung und wurde dann zum Stalking. Der Bekannte forderte sie auf, endlich das Versteckspiel zu beenden. Es ginge ihr doch genauso wie ihm, deshalb könne sie ihrem Mann nun die Wahrheit sagen und die Beziehung zu ihm nun offen zeigen und ausleben. Welche Beziehung, welche Wahrheit er meinte, war Petra Reininghaus im ersten Moment nicht klar. „Als mir bewusst wurde, was er meinte, dass er eine romantische Beziehung im Sinn hatte, dachte ich erst, er sei einfach nur verwirrt. Ich sagte ihm, wir könnten die ganze Sache einfach vergessen, nicht mehr darüber reden und weiter normal miteinander umgehen, wie zwei gute Bekannte eben“, erinnert sich Petra Reininghaus.

Vergessen war aber genau das Gegenteil von dem, was dann folgte. „Er ist völlig durchgedreht. ‚Wenn ich dich nicht haben kann, sollst du auch keinem Anderen gehören!‘, hat er geschrien. Danach konnte ich mich vor anzüglichen Anrufen und SMS kaum noch retten, egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit. Er hat immer geschaut, wo ich hin fahre, wie ich meine Pausen in der Buchhandlung verbringe, wann ich nach Hause komme.“

Persönliche Belästigungen und Verfolgung durch massenweise Anrufe, SMS, Mails oder auch von Angesicht zu Angesicht sind die Mittel, mit denen fast alle Stalker ihr Opfer über einen längeren Zeitraum hinweg verfolgen. „Stalker haben quasi einen Tunnelblick“, sagt Martina Schmitz. Sie verwendeten all ihre Energie darauf, die Aufmerksamkeit des Opfers zu bekommen. Für die Opfer sei diese Art von Verfolgung sehr verunsichernd und löse großen psychischen Stress aus. „Man weiß schließlich nie, was als nächstes passieren könnte. Diese Angst kann auf Dauer Depressionen, Schlaflosigkeit oder Panikattacken auslösen“, erklärt Expertin Martina Schmitz.

 
 
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Petra Reininghaus hat keine dauerhaften psychischen Schäden erlitten. Immer schon hat sie sich als starke Frau gesehen. Wohl auch deshalb konnte sie das Stalking über lange Zeit ertragen – nicht einmal ihre Familie wusste Bescheid. Erst als ihr Nachbar mit einer Waffe vor ihrem Haus stand, war ihr klar, dass sie es ohne ihre Familie und professionelle Hilfe nicht schafft. Petra Reininghaus ging zur Polizei. Nur jedes sechste bis siebte Opfer schafft diesen Schritt. Das ergab eine Befragung des kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Einige Opfer haben Angst, den Stalker durch eine Anzeige zu provozieren, so dass es zu schlimmeren Verfolgungen, Drohungen oder Gewalt kommt. Andere befürchten, von der Polizei nicht ernst genommen zu werden oder selbst als Schuldiger da zu stehen, das Stalking verursacht zu haben.

„Ich kann mich noch genau an das beklemmende Gefühl erinnern. Er hatte mir ja so obszöne Nachrichten geschrieben, dass ich Angst hatte, die Polizisten glaubten, ich hätte das irgendwie provoziert“, erzählt auch Petra Reininghaus. Mit ihrer Entscheidung, zur Polizei zu gehen, erwirkte sie eine Einstweilige Verfügung gegen ihren Stalker: Er sollte die Belästigungen sofort beenden und durfte sich ihr nicht mehr nähern. Gehalten hat er sich daran nicht.

Den Stalker ins Leere laufen lassen

„Er besuchte meine Eltern, gab sich als Arzt aus um Informationen über mich zu sammeln, zerstach meine Autoreifen, warf mir obszöne Nachrichten in den Briefkasten, rief an und mailte mir auch weiterhin aller Art Beschimpfungen.“ Um sich vor dem Mann zu schützen, der unfreiwillig Teil ihres Alltags geworden war, wechselte sie die Telefonnummer, installieret Bewegungsmelder. Ihre Söhne brachten sogar eine Webcam an der Haustür an. Aufgeben und sich auch dem öffentlichen Leben zurückzuziehen, das kam für Petra Reininghaus aber nie in Frage: „Damit hätte er ja noch mehr Macht über mein Leben gehabt.“

Laut Polizei, Beratungsstellen und Psychologen ist das genau die richtige Einstellung. Es sei wichtig, sich eine Strategie zu überlegen, wie man das Stalking beenden kann. „Man sollte sich auf keinen Fall darauf einlassen, sondern den Stalker einfach ins Leere laufen lassen. Und man sollte auch unbedingt zur Polizei gehen, wenn man sich bedroht fühlt“, rät auch Martina Schmitz. Stalking ist per Gesetz eine Straftat. „Das wissen einige Opfer gar nicht, aber sie haben jedes Recht, den Täter anzuzeigen“, erklärt sie.

Meist zeigt eine Anzeige Wirkung. Kurz bevor es bei Petra Reininghaus zur Gerichtsverhandlung kam, endete das Stalking plötzlich. Die Beteiligten schätzten damals, dass der Stalker aus Angst um seine Arbeit eingelenkt hatte. Eine Vorstrafe hätte ihn sein Patent gekostet, ohne das er seinen Job als Kapitän nicht hätte behalten können. Die Verhandlung fand in seiner Abwesenheit statt. Zu einer Verurteilung kam es allerdings nicht. Die Anwälte einigten sich gemeinsam mit Petra Reininghaus auf einen Vergleich. Demnach durfte sich keine der beiden Parteien mehr beim Anderen melden.

Nichts, als ein Schreckgespenst

Danach hörte Petra Reininghaus drei Jahre lang nichts mehr von dem Stalker, bis eines Nachts um 1.30 Uhr das Telefon klingelte. „Ich habe die Stimme sofort wieder erkannt und war schweißgebadet“, erinnert sie sich. Die ganze Geschichte ging wieder von vorne los: Polizei, geheime Telefonnummer, Webcam, Bewegungsmelder. Der Stalker konnte sie dadurch kaum noch erreichen. Nach ein paar Wochen hörte die Buchhändlerin, dass der Stalker schließlich in eine Psychiatrie eingewiesen worden und dann umgezogen war. Danach hörte sie nie wieder etwas von ihm, doch ganz kann sie die Zeit immer noch nicht aus ihren Gedanken verbannen.

Mittlerweile habe sie das alles zwar überwunden, aber es gebe immer wieder Momente, in denen sie sich an die Angst von damals erinnere. „Ich bin zum Beispiel noch nie mit dem Zug durch seinen späteren Wohnort gefahren, ohne zu gucken, ob er nicht doch irgendwo auf dem Bahnsteig steht.“ Verarbeitet hat Petra Reininghaus die Zeit mittlerweile. Vergessen wird sie sie nie. Anderen Stalking-Opfern rät sie, sich sofort anderen Menschen mitzuteilen: „Dadurch nimmt man der ganzen Situation ihren Schrecken, alles erscheint irgendwie lächerlich und völlig unbegründet, wie ein Schreckgespenst.“

 

 
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