Zurück aus Afghanistan

sanitaeter_bundeswehr_afghanistan1Afghanistan ist seit Jahrzehnten von Krieg, Instabilität, Armut und Gewalt geprägt. Anders als die meisten Menschen in Deutschland kennt Hans die Gegebenheiten vor Ort nicht nur aus den Medien. Er war ein halbes Jahr tausende Kilometer von der Heimat getrennt. Bereits zum zweiten Mal begab sich der Sanitäter der Bundeswehr in den Norden dieses Landes am Hindukusch; in den gefährlichsten Auslandseinsatz der Bundeswehr. Sein voriger, erster Afghanistan-Einsatz führte ihn für 5 Monate nach Faizabad. Er entschied sich erneut bewusst für die ISAF-Mission in diesem instabilen Land, um als Kommandant eines mobilen Rettungstrupps in und um Kunduz zu arbeiten. Wohlbehalten aus Kunduz heimgekommen, kann er nicht nur von den Gefahren des Einsatzes, sondern auch vom Alltag, den Begegnungen und seinen Eindrücken aus diesem kulturell so fremden Staat berichten.

Hans ist erst seit eineinhalb Wochen zurück in Deutschland, im beschaulichen und ruhigen Münsterland. In der Küche des Elternhauses. Zeit zum Ausspannen, Wiedersehen und Zeit für Normalität. Aber auch Zeit mal wieder Auszugehen. Kein Kontrollieren des Medikamentenbestandes, keine Rausfahrten, keine Patrouillen, kein „Präsenz zeigen“ im weitläufigen afghanischen Raum. Er verbringt den Tag mit seiner Freundin bei seiner Familie. Der 26-Jährige ist angekommen. „Das Akklimatisieren geht recht schnell, wie auch nach dem ersten Einsatz. Man kommt recht schnell wieder rein. Dadurch, dass man von Familie und Freunden empfangen wird, ist man sofort wieder im Alltagsgeschehen.“ Doch könnte der Wechsel nicht größer sein. Denn Hin- und Rückreise in das weitestgehend gebirgige, unwirtliche und archaische anmutende Afghanistan stellen auch eine Form der Zeitreise dar. Hans erzählt: „Man ist irgendwie schon dran gewohnt, also ich zumindest. Es ist nichts ungewöhnliches, wenn die Felder noch mit der Hand bestellt werden, wenn der Ochsenkarren an einem vorbeireitet.“ Es ist eine andere Welt: Komplett verschleierte Frauen in der hellblauen Burka, Lehmhütten, Esel als Transportmittel und kärgliche Lebensbedingungen. All dies umgeben von einer imposanten Landschaft und dem landesuntypisch grünen, fruchtbaren Kunduztal. Der Kontrast zum sicheren, wohlhabenden Technologie- und Industriestaat Deutschland mit all seinen Freiheiten könnte nicht größer sein.

Der Frieden ist noch fern

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Hans Weg führte zum zweiten Mal in dieses konfliktreiche, arme Land.

Der Weg zu einem friedlicheren, fortschrittlicheren Afghanistan ist noch weit. 2011 war das blutigste Jahr seit Beginn der ISAF-Mission. Das Ziel der Stabilisierung und Demokratisierung ist alles andere als einfach. Ähnlich der Infrastruktur und der Topographie des Landes, die schnelles Fort- und Weiterkommen behindert, wirken zahlreiche Faktoren negativ auf Afghanistan ein und bremsen das Land. Es ist noch immer nicht zur Ruhe gekommen. Die alte Seidenstraße durch Afghanistan wird aufgrund der Opiumproduktion heute auch als „Heroin-Highway“ bezeichnet. Verschiedenste Gruppen bekämpfen sich immer noch im weitläufig verminten, lange vergessenen, doch geostrategisch wichtig gelegenen Staat. Im Spannungsfeld von Islamismus, schwachen staatlichen Institutionen, rivalisierenden Warlords, ethnischen wie religiösen Spannungen, Drogenanbau, verbreitetem Analphabetismus, Armut, Frauenunterdrückung und grassierender Korruption ist das Erreichen einer friedlichen Zivilgesellschaft und bescheidenem wirtschaftlichem Aufschwung eine schwere Aufgabe. Hans ist sich der Schwierigkeiten bewusst. Er setzte sich intensiv mit Kultur, Gesellschaft, Politik und Geschichte des Landes auseinander. Er weiß um die Gefahren seines Jobs. Doch ein anderer Beruf wäre für ihn trotz aller Widrigkeiten, Gefahren und der Distanz zur Heimat keine Alternative. Er liebt ihn: „Ich bin Sanitäter und möchte auch nichts anderes machen!“ Große Hoffnungen für ein friedlicheres Land setzt er gerade in die jüngste Generation des Landes. Doch ihre Armut bedrückt viele Bundeswehrsoldaten. Hans sah diese Generation Afghanistans in einer Armut, die sich der Vorstellungskraft vieler Europäer entzieht. Viele der Kinder, so erzählt Hans, liefen in nicht mehr als Fetzen gekleidet oder sogar barfuß im Schnee, weil sie schlichtweg nicht mehr besitzen. Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Afghanen liegt noch immer weit unter 50 Jahren.

Die Armut unter den Kindern ist für viele Soldaten erschütternd. Hans glaubt, dass diese Generation, entgegen der häufig kriegsverrohten Eltern, am ehesten ein friedlicheres Afghanistan bewirken kann.

Ein Foto aus dem Einsatz. Die meisten afghanischen Kinder leben in bitterer Armut. Hans glaubt jedoch, dass diese jüngste Generation des Landes, anders als die häufig kriegsverrohten Eltern, ein friedlicheres Afghanistan bewirken kann.

Ein Wechsel aus langsamen Fortschritten und Rückschritten

Die Uhren laufen anders und bedeutend langsamer in Afghanistan. Hans fasst ein schwerwiegendes Problem mit einem Lächeln zusammen: „Man kann keinen Afghanen kaufen. Man kann ihn nur mieten. Das ist aber kein deutsches Sprichwort sondern aus Afghanistan selber und es scheint zu stimmen. Korruption ist enorm weit verbreitet, auf sämtlichen Ebenen.“ Diese erschwert den Aufbau von staatlicher Ordnung, Wirtschaft und Infrastruktur. Transparency International bestätigt seine Aussage und stuft Afghanistan als eines der weltweit korruptesten Länder ein. Lediglich Myanmar, Nordkorea und Somalia wurden schlechter bewertet.

Doch Hans hat auch positive Veränderungen im zweiten Einsatz wahrgenommen: „Wir haben immer wieder Bereiche, zum Beispiel in Kunduz jetzt, da kann man mittlerweile ohne weiteres hin. Vorher war das feindbesetztes Gebiet. Sobald man dieses betreten hat, ist man in ein Feuergefecht geraten, angesprengt worden, was auch immer!“ Einige dieser Bezirke, so Hans, seien spürbar sicherer geworden. Hier konnte er mit der Bundeswehr viel besser und ungefährdeter in Kontakt zur Zivilbevölkerung treten. Er sieht in gewissen Gebieten Besserungen, so dass bereits bestimmte Distrikte komplett an afghanische Sicherheitskräfte übergeben werden konnten. „ISAF-Truppen sind da nur noch zum Passieren des Geländes.“ Infrastrukturen, wie etwa die Wasserversorgung konnten verbessert werden.

Generell ist Nordafghanistan ruhiger als der Süden des Landes, wo sich besonders umkämpfte Regionen wie etwa Helmand befinden; wenn auch nicht stabil. Zeitweise besaß Kunduz denselben Status wie die umkämpfte Region Helmand, erzählt Hans. Bundeswehrsoldaten wurden in und um Kunduz durch Kampfhandlungen und Sprengstoffanschläge getötet oder verletzt. Auch ereignete sich hier der folgenschwere, durch den deutschen Oberst Georg Klein angeordnete Luftschlag auf einen entführten Tanklaster, bei dem bis zu 142 Zivilisten starben. Doch trat 2011 eine deutliche Besserung der Sicherheitslage ein.

Perspektiven gegen die Taliban

Als Sanitäter am anderen Ende der Welt; in einer anderen Welt. Hans entschied sich bewusst hierzu.

Als Sanitäter am anderen Ende der Welt; in einer anderen Welt. Hans entschied sich bewusst dafür.

Auch gelang es bereits vielerorts, im Rahmen humanitärer Arbeit die Lebensbedingungen zu verbessern. Der Fortschrittsbericht zu Afghanistan gab auch zu erkennen, dass die Wasserversorgung, Infrastruktur und der Bildungszugang für Mädchen verbessert wurde. Die Armut ist aber nach wie vor extrem. Hans hat so auch Hochachtung für zivile Aufbauhelfer, die unter hohem Risiko für Leib und Leben im Land arbeiten. Verschiedene Hilfsorganisationen versuchen dem geschundenen Land Impulse zu geben. Hans sieht nur eine Chance und diese motivierte ihn: „Ich denke die Hauptaufgabe ist es, den Afghanen eine Perspektive für die Zukunft zu geben. Und das funktioniert nur, wenn wir Infrastrukturen schaffen, die dann wiederum zu mehr Jobs führen. Es müssen Alternativen, wie etwa zum Drogenanbau geschaffen werden.“ Hans ist sich sicher, dass nur mit einer gewährleisteten Sicherheit, diese Perspektive herzustellen ist. Damit werden es die Taliban seiner Ansicht nach weitaus schwerer haben, wieder in dem Land Fuß zu fassen. Er glaubt, dass die Taliban keinen Rückhalt in der Mehrheit der Bevölkerung haben. Die Zivilbevölkerung Afghanistans hat schließlich besonders unter deren Anschlägen zu leiden. Doch auch die Karzai-Regierung lehnen die meisten Afghanen entschieden ab. Dies realisierte der Sanitäter schnell. Doch eines änderte sich im Verlaufe des ISAF-Mandats nicht: Der Bundeswehreinsatz bleibt, auch angesichts der Opfer, in Deutschland nicht unumstritten. Er ist und war Gegenstand hitziger Diskussionen.

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