Hintergrund: Multinationales Konfliktgebiet – multinationales Einsatzgebiet
Afghanistan war lange ein vergessenes Land. Seit dem blutigen, US-unterstützten Kampf gegen die sowjetischen Besatzer, der 1979 begann, kam es nie zur Ruhe. Bürgerkriege folgten. Afghanistan entwickelte sich zu einem staatslosen, gesetzlosen Gebilde. Die in Saudi-Arabien stark verbreitete radikale Form des Islam, der sogenannte „Wahhabismus“, sowie der internationale Dschihadismus, der zum heiligen Kampf gegen den Westen aufruft, unterstützte die Taliban. Besonders das autoritär regierte Saudi-Arabien, aber auch Pakistanis unterstützten diese Bewegung. Extremistische Kräfte verschiedenster Länder sickerten ein. Nach der Machtübernahme 1996 durch die Taliban, wurde das Land mit weiteren und fortwährenden Greul überzogen. Steinigungen von Frauen, Verbot von Musik, Bildern und jedwedem „Unislamischen“, systematische Massaker und ein Schul- und Berufsverbot für Frauen sind nur ein kleiner Teil der begangenen Menschenrechtsverletzungen. Mit den Terroranschlägen des 11. September geriet Afghanistan wieder in den internationalen Fokus. Afghanistan verfügte zu dem Zeitpunkt über ein Netz von Ausbildungscamps der Dschihadisten. Man vermutete Osama bin Laden im Land. 15 der 19 Attentäter des 11. September entstammten indes aus Saudi-Arabien; keiner aus Afghanistan. Die UN stufte die Terroranschläge als Angriff auf die USA, mit daraus resultierendem Recht zur Selbstverteidigung, ein. Die NATO rief als Reaktion erstmalig den Bündnisfall aus. Die multinationale ISAF (International Security Assistance Force) und mit ihr auch die Bundeswehr, ist ausgehend von diesem UN-Beschluss im Einsatz. Mittlerweile dauert der ISAF-Einsatz, bei dem 47 Nationen mitwirken, länger als der erste und zweite Weltkrieg zusammen.
Ein Ausblick nach dem Einsatz
Fast drei Jahre war das Thema Afghanistan durch die Einsätze, aber auch durch deren Vorbereitung und spezielle Lehrgänge bestimmend für Hans. Nun, zu Hause in Deutschland, „muss man sich erst mal ums soziale Umfeld zu kümmern.“ Familie, Freundin und Freunde sind froh, ihn wieder wohlbehalten in die Arme schließen zu können. Schließlich war Hans ein halbes Jahr in weiter Ferne. Das normale Leben in Deutschland hat nun wieder Priorität. Jedoch in Afghanistan selber, betont er, gab es niemals einen Lagerkoller bei ihm. Die viele Arbeit und Soldaten, zu denen sich intensive Freundschaften etwickelten, sorgten dafür. Kontakt zur Heimat konnte er in Kunduz selber via Internet und Telefon halten. Post und Pakete aus der Heimat erreichten ihn im Lager. Generell ist er sogar nicht abgeneigt für einen dritten Einsatz als Sanitäter. Ein dritter Einsatz ist jedoch angesichts des geplanten Truppenabzugs 2014 für Hans mehr als unwahrscheinlich. Dann sollen ausschließlich afghanische Sicherheitskräfte für die Stabilität des Landes sorgen. Doch die Voraussetzungen hierfür sind schlecht.
Kontroversen und Diskussionen
Hans ist sich der hitzigen Kontroversen um den Einsatz und den hochkomplexen Konflikt am Hindukusch bewusst. „Diese Diskussion geht ja auch an uns, als Betroffenen, nicht vorbei!“ In Deutschland werden Auslandseinsätze und militärische Interventionen – aus historischen Gründen – verständlicherweise häufig kritisch gesehen. Befürworter des ISAF-Einsatzes berufen sich auf die deutsche Geschichte und verweisen darauf, dass die nationalsozialistische Diktatur in Deutschland nicht durch Appeasement gestoppt werden konnte. Kritiker berufen sich darauf, dass Afghanistan niemals längerfristig befriedet werden konnte und dass eine Mischung aus Bildungsmangel, ethnischen Konflikten, den Stammestraditionen und religiösen Extremismus den Einsatz im Voraus zum Scheitern verurteilt. Manche Kriegsgegner sprechen von US-Imperialismus, andere lehnen militärische Einsätze generell und kategorisch ab. Doch gibt es keine einfachen Antworten. Kann man Afghanistan und seine im Wachsen begriffene Bevölkerung einfach fallen lassen, den Rücken kehren und ein mögliches Wiederaufleben der Taliban moralisch verantworten, gerade wenn das ebenfalls fragile Pakistan, das zudem über Atomwaffen verfügt, in umliegender Nachbarschaft grenzt? Welches Signal würde ein Auseinanderbrechen des Landes auf die gesamte Region haben? Darf oder soll man mit den Taliban verhandeln?

Hans ist sich der Kontroversen zu seinem Einsatz bewusst. Er freut sich aber, dass der Alltag der Bundeswehrsoldaten in Afghanistan verstärkt von den Medien aufgegriffen wurde.
Welche Rolle und welche Verantwortung soll Deutschland in der internationalen Staatengemeinschaft übernehmen? Ist die ISAF-Mission legitim oder überhaupt erfolgsversprechend und was folgt nach dem Abzug? Empfindet die Mehrheit der Afghanen die ISAF als Befreier oder als Besetzer? Es gibt viele Fragen. Das Thema ist komplex.
Der ungeliebte Einsatz
Hans ist sich bewusst, dass es große Widerstände zum ISAF-Mandat, aber auch große Sorgen um die Truppen hier in Deutschland gibt. Es ist ein unpopulärer Einsatz. Er spricht von einem vom Krieg geprägten „Flickenteppich, in dem jeder gegen jeden Krieg führt“. Seiner Einschätzung nach ist das Land noch nicht in der Lage, eigenständig für Sicherheit zu sorgen. Er glaubt jedoch nicht daran, dass die Vogelstrauß-Taktik des Nichtsehens und des Nichthandelns richtig ist. Er widersetzt sich so der Auffassung, dass ein überhasteter Abzug richtig und im Sinne Afghanistans ist und betont, dass es vorrangig wichtig sei, die richtigen zivilen Strukturen zu schaffen und die afghanischen Sicherheitskräfte weiterhin verstärkt auszubilden. Doch hier sah Hans vor Ort noch enormen Entwicklungsbedarf. Der Sanitäter und Soldat aus Leidenschaft wünscht den Afghanen eine bessere Zukunft. Es sei dem Land zweifellos gegönnt. Doch die Vorzeichen und Strukturen sind – auch bei optimistischem Blick – alles andere als gut.
Rückfall und tödliche Revolten
Die jüngsten Ereignisse nach dem Gespräch mit Hans, die wiederholten Angriffe durch afghanisches Sicherheitspersonal auf ISAF-Kräfte und die tödlichen Revolten, die ausbrachen, nachdem bekannt wurde, dass religiöse Schriften von US-Soldaten verbrannt wurden, sind keine gute Nachrichten. Das Vertrauen in Polizei und Armee Afghanistans ist weiterhin gering bei den NATO-Staaten. Ein komplettes Auseinanderfallen des Landes, die Übernahme des Staates durch Islamisten und ein eskalierender Bürgerkrieg sind nach dem Abzug 2014 kein unrealistisches Szenario. Befürworter und Gegner des Einsatzes werden derzeit lediglich in einem Punkt höchstwahrscheinlich übereinstimmen: Dass kontroverse Thema Afghanistan wird noch auf unabsehbare Zeit seinen Platz in den Medien und Diskussionsrunden finden.
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Hans über…
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pflichtlektüre: Forscher und Politiker beleuchten Afghanistan-Strategie
web: Afghanistan: Banger Blick in die Zukunft | ARD
web: Fausia Kufi – eine Frau für Afghanistan | ZDF
web: Afghanistan einmal anders: SKATEISTAN – To live and skate in Kabul
web: Zwischen Pflicht und Sehnsucht (1/2) | ARD
web: Zwischen Pflicht und Sehnsucht (2/2) | ARD
web: Bundeswehr in Afghanistan: Die gelähmte Armee | ARD
web: Verloren am Hindukusch? | WDR
web: Zahl der getöteten Zivilisten auf Höchststand | SPIEGEL ONLINE