Zurück aus Afghanistan

Nord-Afghanistan-Patrouille

Patrouille im Norden Afghanistans: Fern der Heimat, in einer gefährlichen Region.

Das ursprüngliche Bild des Brunnenbauers mit Waffe ist seit mehreren Jahren nicht mehr aufrechtzuerhalten. Wie in keinem anderen Einsatzort zuvor, waren und sind Bundeswehrsoldaten in Afghanistan dem Risiko von Anschlägen, Beschuss und Kampfhandlungen ausgesetzt. Der deutschen Öffentlichkeit wurde lange nicht bewusst gemacht, dass deutsche Soldaten dort auch schießen müssen. Gerade die Region Kunduz erwies sich immer wieder – obgleich im ruhigeren Norden gelegen – als hoch brisant. Doch Hans wurde lange und intensiv auf Land, Leute und mögliche Gefahrenszenarien vorbereitet. Angst dürfen die Soldaten durchaus haben, so sagt er. „Nur in eine Angststarre darf man nicht fallen! Wenn dem nicht so ist, arbeitet man die Punkte ab, die man immer wieder gelernt hat.“

Die Gefahren im Einsatz lauern in der sogenannten asymmetrischen Kriegsführung, bei der feindliche Kräfte keine Uniformen tragen. Zur asymmetrischen Kriegsform gehören Sprengfallen, Selbstmordanschläge und Attacken aus dem Hinterhalt. Die Aufständischen bedienen sich einer Taktik der Nadelstiche, des schnellen Rückzugs und der Zermürbung. „Die asymmetrische Kriegsführung. Das ist das Problem. Man hat keinen Feind den man greifen kann. Man hat die Zivilbevölkerung und aus der heraus wird man angegriffen. In einem Moment haben sie noch eine Hacke in der Hand, weil sie auf dem Feld arbeiten, im anderen die Kalaschnikow. Das ist das Problem. Man kann nicht feststellen, wer der Feind ist. Alles ist potentiell gefährlich und bedrohlich.“, sagt Hans. Die langanhaltende Zermürbungstaktik der Taliban, die auch wesentlich durch Terrorisierung der Zivilbevölkerung gekennzeichent ist, lässt sich treffend mit dem Zitat „Ihr habt die Uhren. Wir haben die Zeit!“ zusammenfassen.

Die unsichtbare Gefahr

Große Sorge bereiten insbesondere sogenannte IED’s (Improvised Explosive Device), selbstgebastelte Sprengfallen, die auch häufig im Raum Kunduz eingesetzt wurden. Die Aufständischen in Afghanistan können sich hierzu an einem großen Fundus aus Blindgängern und Explosivmaterial aus dem jahrzehntelangen Kriegen bedienen, oder stellen die IEDs selber, z.B. aus legalen Produkten wie Düngemitteln, her. Wenn ein Fahrzeug die Stelle der versteckten IED passiert, werden diese zumeist ferngesteuert durchs Handy gezündet. Stete Konzentration ist daher gefordert. Dazu zählen Auffälligkeiten auf und neben der Strasse. Doch es gibt keine Sicherheit gegen IEDs.

Kriegsschäden in Afghanistan. Foto von: Yan Boechat

Ein Land mit vielen Narben. Am derzeitigen Kampf gegen die ISAF-Truppen sind Aufständische verschiedenster Nationalitäten beteiligt. Foto: Yan Boechat

Wachsamkeit ist generell oberstes Gebot. Man müsse auf sämtliche potentiellen Gefahren achten. „Das Fahrzeug, was drängelt, ist vielleicht auch bis oben hin mit Sprengstoff gefüllt. Das haben wir immer wieder, dass gerade Selbstmordattentäter Fahrzeuge komplett vollräumen mit Sprengstoff. Das ist dann ja eine Menge, die auch unseren gepanzerten Fahrzeugen gefährlich wird.“ Hans musste darauf vorbereitet sein, schwerverletzten Soldaten erste Hilfe zu leisten, sie zu bergen und dabei selber großen Gefahren ausgesetzt zu sein. Er erkennt einen hohen Organisationsgrad bei den Aufständischen. Koordinierende Anrufe und Befehle aus Pakistan zu Anschlägen wurden regelmäßig aufgeklärt. „Wir haben eher wenig lokale Aufständische aus Afghanistan. Viele sind aus Pakistan hinübergegangen um den heiligen Krieg gegen ISAF zu führen. Wir haben allerdings auch viele Söldner, angeheuerte Truppen, die dann zum Beispiel aus Tadschikistan kommen. Da sind dann also auch Leute dabei, die damals von der russischen Armee ausgebildet wurden. Das sind natürlich Leute, die wissen was sie tun und da ist es natürlich echt gefährlich, wenn man sich mit denen anlegen muss.“ Die faktisch nicht vorhandene Grenze zwischen Pakistan und Afghanistan stellt ein Kernproblem im Konflikt dar. In diesem nahezu unkontrollierbaren, gebirgigen Zipfel des Landes gründeten sich die Taliban. Aus dem Volk der Paschtunen, welches in dieser Grenzregion vorherrscht und die größte ethnische Gruppe Afghanistans darstellt, werden auch die meisten Taliban-Kämpfer rekrutiert.

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Die landesuntypisch grüne Landschaft in Kunduz

Extreme Bedingungen umgeben von Schönheit

Doch abseits der Bedrohung durch die Aufständischen sind auch die klimatischen Bedingungen nicht einfach. Während seines Einsatzes stieg das Thermometer auf weit über 50 Grad. Wenn man mitsamt der Ausrüstung, zu denen auch Schutzweste und Waffen gehören, dann bei ca. 140 Kilogramm landet, die über afghanischen Boden bewegt werden müssen, kann man sich unschwer die Strapazen vorstellen. Ein täglicher Wasserverbrauch von 8 bis 12 Litern war unter diesen Voraussetzungen nicht ungewöhnlich. Wie widerstandsfähig die Afghanen in diesem kriegsgeschundenen Land sind, das sowohl tiefste Kälte und Schneemassen, als auch brütende Hitze und Sandstürme vorweist, imponiert Hans. Bei der Behandlung von verletzten Afghanen, aber auch in der Zusammenarbeit mit afghanischen Soldaten versetzte dem Sanitäter die Robustheit der Landsleute in Erstaunen. Genauso beeindruckte ihn die häufig unberührte Natur des Landes. Er traf zum zweiten Mal auf ein ursprüngliches Land, das seit dem Afghanistan-Hype von drogenaffinen Rucksackreisenden in den Sechzigern und Siebzigern von Touristen heute verständlicherweise gemieden wird. Hans entdeckte ein Land, das für die meisten Menschen ein grauer Fleck auf der Karte ist und es auch bleiben wird.

Der junge Sanitäter sieht das gesehene und erfühlte Afghanistan keinesfalls in einem kategorisch schlechten, krisenbehafteten Licht: „Gerade Faizabad, wenn man gerne im Gebirge unterwegs ist, ist beeindruckend. Das sind Panoramen die sich da einem eröffnen.“ Auch das Kunduztal sei reizvoll: „Kunduz liegt im sogenannten Zweistromland. Drumherum ist Steppe oder Wüste und mittendrin sind zwei Flüsse. Wie in einer Oase ist alles aufgeblüht und grün. Das sieht echt schon stark aus, wenn man das mal aus dem Hubschrauber sieht!“ Auch skurrile und witzige Erlebnisse und gewachsene Freundschaften, „die weit über den Einsatz Bestand haben werden“ verbindet er mit seinem Einsatz. Ein Aufenthalt in einem Krisengebiet muss sich nicht nur durch Krisensituationen definieren. Er kann auch auf schöne Begegnungen zurückblicken.

Gastfreundschaft und Ablehnung

Er arbeitete zusammengerechnet nahezu ein ganzes Jahr in Gebieten, in die sich kein Pauschaltourist verirren wird und lernte dabei die afghanische Kultur intensiv kennen. Afghanistan, das traditionell sehr deutschlandfreundlich und bereits seit 1919 eng mit Deutschland verbunden ist, zeigte sich ihm auch von seiner herzlichen Seite. „Gerade auch in Gebieten, die außerhalb der Städte etwas ab vom Schuss liegen, sind die Leute sehr aufgeschlossen.“ Er hatte schöne Erlebnisse mit der Zivilbevölkerung und afghanischen Sicherheitskräften. Hans lernte die afghanische Gastfreundschaft kennen: „Das ist echt beeindruckend! Die Menschen leben von der Hand in den Mund und teilen dennoch mit dir!“ Andere Dörfer waren indes verschlossener und feindlicher. Stellenweise flogen Steine.

Foto: Yan Boechat

Die Burka ist auch im Jahr 2012 allgegenwärtig in Afghanistan. Frauen werden im streng islamischen Staat nur wenig Rechte zugesprochen. Foto: Yan Boechat

Das weibliche Afghanistan indes ist ein rotes Tuch. Die Nichtöffentlichkeit von Frauen, die allesbedeckende Burka und die allgemeine Entrechtung der Frauen, führen zu wichtigen Regeln im Umgang mit ihnen. Einer afghanischen Frau die Hand zu geben, mit ihr zu reden, wäre ein absolutes „No-go“. Selbstverständlichkeiten in Deutschland sind Unmöglichkeiten in Afghanistan. Gespräche mit Frauen, selbst das Angucken der ganzkörperverschleierten Frauen gilt es zu vermeiden,  berichtet Hans. Die Situation der weiblichen Bevölkerung ist auch nach mehr als 10 Jahren ISAF-Einsatz beklagenswert. Doch war die Lage unter den Taliban noch weitaus erschreckender: Öffentliche Steinigungen von Frauen die des Ehebruchs bezichtig wurden, Schul- und Berufsverbote für Frauen, Auspeitschungen und Zwangsprostitution stellen nur eine Auswahl der begangenen Menschenrechtsverletzungen dar. Besserungen erfolgten nach dem gewaltsamen Sturz des Regimes. Doch der weiblichen Bevölkerung des Landes werden immer noch elementare Menschenrechte vorenthalten. Hans erlebte die Nichtöffentlichkeit der afghanischen Frauen. Wenn er überhaupt Frauen sah, trugen sie die Burka.

Mutige Frauen wie die Politikerin Fausia Kufi, die sogar das afghanische Präsidentenamt anstrebt, machen Hoffnung und stehen für eine Revolution und langsamen Aufbruch in der Stellung der Frau. Gewalt und Unterdrückung sind indes noch weit verbreitet.

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