Blinder Professor: Mit Humor gegen Vorurteile

„Wenn es auf dem Flur kracht, dann weiß ich, dass Siegfried kommt“

Saerberg lacht oft und gerne. Über seine Umwelt, aber auch über sich selbst.

Saerberg lacht oft und gerne. Über seine Umwelt, aber auch über sich selbst.

Auch seine Kollegen wissen, dass Saerbergs Behinderung keine Probleme mit sich bringt. „Man kann und sollte mit ihm ganz normal umgehen. Daran muss man sich erst gewöhnen, aber er hat meine anfängliche Scheu schnell durchbrochen“, erzählt Dr. Arne Niederbacher, der auch am Lehrstuhl für Soziologie angestellt ist. „Wenn ich es auf dem Flur krachen höre, dann weiß ich, dass Siegfried kommt und irgendwo vor gelaufen ist“, sagt er und grinst. Genau wie Saerberg nimmt er die Behinderung locker und zieht vor ihm den Hut. „Er ist ein exzellenter Soziologe und einer von ganz wenig blinden Feldforschern, die ihre Behinderung brillant in ihre wissenschaftlichen Arbeiten umgesetzt haben. Außerdem ist er humorvoll und man kann mit ihm viel Unsinn machen.“

Die Soziologie der Behinderung

Saerbergs weit entfernter Wohnort bedeutet für ihn ganze dreieinhalb Stunden Fahrt zur TU, seit er 2006 seinen ersten Lehrauftrag in Dortmund erhielt. Mittlerweile hat er eine halbe Stelle an der Universität, gibt Seminare zum Thema „Soziologie der Behinderung“, „Abweichendes Verhalten“ und „Soziologie des Körpers und der Sinne“. Wie schon Christian Müller, erkennt er fast alle seiner Studenten an der Stimme. Ein Arbeitsassistent hilft ihm zudem, Literatur einzuscannen und zu besorgen. „Ich könnte das auch alles selber, aber so geht es deutlich schneller“, erklärt Saerberg. Probleme hatte er nur am Anfang, als er neu an seinem Arbeitsplatz war. „Die Unigebäude sind so ähnlich aufgebaut, dass Sehende schon Orientierungsschwierigkeiten haben. Ich brauchte ein paar Monate, um mich zu recht zu finden.“ Hilfreich waren dabei die Schilder, die alles auch in Blindenschrift anzeigen.

„Manche Menschen verstehen nicht, dass ich keine Hilfe brauche“

Promoviert hat Saerberg zum Thema „Alltagskommunikation zwischen Blinden und Sehenden“. Er fragte Menschen auf der Straße nach dem Weg, analysierte ihre Reaktionen. Nicht zuletzt dabei merkte der Akademiker, wie wenig sich viele Leute in ihn hineindenken können. Die Erklärungen waren unpräzise, die Menschen oft hilflos. Auch in seinem Alltag erlebt Saerberg oft die falsche Einschätzung von Sehenden. „Wenn ich am Bahnhof bin, dann gehe ich mit meinem Stock extra nah an den Bahnsteig heran, um die Gefahr zu orten. Viele Menschen kommen dann auf mich zu, wollen mich warnen und verstehen nicht, wenn ich erkläre, dass ich keine Hilfe brauche.“

„Es muss noch viel getan werden“

Hilflos scheint tatsächlich das Wort zu sein, was am wenigsten auf den selbstbewusst und fröhlich wirkenden Mann zutrifft. „Manche Blinde lassen sich zu sehr in ihrer Rolle hängen, lassen sich bedienen und sind unmobil. Dabei muss das gar nicht sein“, kritisiert Saerberg und gestikuliert energisch mit seinem Kugelschreiber. Dass die Gesellschaft sich als emanzipiert gegenüber Blinden sieht, stört ihn am meisten. „Schon die Tatsache, dass es auf den Ämtern die Formulare nur in gedruckter Form gibt, ist ein großes Problem. Es muss noch viel getan werden.“

Nach dem Gespräch macht sich der Professor Saerberg auf den Heimweg. Sein Stock leitet ihn durch die Gänge, über den Park, zur S-Bahn-Station. Saerberg, weiß, wo er lang muss. Und vor allem weiß er, wo er hin will.

Text: Sophie Mono

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2 Comments

  • Franziska Weigt sagt:

    Toller, lesenswerter Bericht. Sophie Mono wird noch zum Markenzeichen für interessante dazu noch gut verpackte Themen auf pflichtlektuere-online. Ich bin jedenfalls schon Fan.

    Schade nur, dass im letzten Absatz und vorletzten Absatz gleich zweimal derselbe Abschnitt steht – der zwar getroffen formuliert ist, aber doppelt nicht so gut kommt.

    Bedenklich auch, einen Artikel ganz ohne Fotonachweise online zu stellen…

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