Blinder Professor: Mit Humor gegen Vorurteile

Lässig sitzt er auf seinem Schreibtischstuhl. Die Beine leicht gespreizt, ein Arm entspannt hinter der Stuhllehne baumelnd. Auch seine Kleidung vermittelt einen lockeren Eindruck. Hellgrünes verwaschenes T-Shirt, Bluejeans, braune Trekkingschuhe.  Als es klopft, dreht er den Kopf automatisch in Richtung Tür. Notwendig ist das nicht. Siegfried Saerberg ist blind. Seit er Anfang zwanzig ist, kann der Professor nichts mehr sehen. Zu kämpfen hat er jedoch nicht mit seiner Behinderung.  Es sind die Vorurteile vieler Sehender, die ihn oft stören.

Siegfried Saerberg macht gerne Musik. Alltagsgegenstände können da schnell behilflich sein. (Fotos: Privat)

Siegfried Saerberg macht gerne Musik. Alltagsgegenstände können da schnell behilflich sein. Fotos: privat

„Herein“, ruft Saerberg. Seine blauen Augen fixieren noch immer die Tür seines Büros. Er sieht weder die zwei unordentlichen Schreibtische, die momentan unbenutzt in den Zimmerecken stehen, noch den grauen Boden und das künstliche Licht der Deckenlampe, das den fensterlosen Raum als einzige Lichtquelle erhellt. „Hier im Büro sind nur die Randgruppen untergebracht. Eine Frau, ein Alter und ich, der Behinderte“, sagt Saerberg grinsend und gut gelaunt.  Erst als ein junger Mann hereintritt und auf Saerbergs Schreibtisch zugeht, fällt dem aufmerksamen Beobachter auf, dass der Blick des humorvollen Soziologieprofessors  den Schritten des Besuchers nicht synchron folgt.

Kleine Hilfsmittel machen das Lehren leichter

„Hallo, ich brauche Ihre Unterschrift für meinen Leistungsnachweis“, erklärt der Gast. Schon bei dem ersten Laut hat Saerbergs Blick die Position seines Gegenübers wiedergefunden. „Christian Müller, stimmt’s?“, fragt er. Bestimmtheit klingt in seinen Worten mit. Der Student bestätigt und legt seinem Dozenten das Formular hin. „Einmal in diese Schablone schieben, bitte“, sagt dieser und hält eine Konstruktion aus schwarzer Pappe bereit. „Damit ich die Unterschrift auch an die richtige Stelle setze.“ Früher sei seine Schrift oft schief geworden. „Weil ich mitgekriegt habe, wie Kollegen sich darüber lustig machten, bin ich auf diese Lösung umgestiegen“, rechtfertigt Saerberg seine eigene Erfindung. Christian Müller ist bereits daran gewöhnt, dass sein Dozent manche Eigenheiten hat. „Aber die Vorlesungen sind gut, da merkt man keinen Unterschied zu anderen Dozenten“, findet er.

Kleine Tricks erleichtern den Alltag

Saerberg liebt Spaziergänge in der Natur. Kleine Unfälle nimmt er dafür gerne in Kauf.

Saerberg liebt Spaziergänge in der Natur. Kleine Unfälle nimmt er dafür gerne in Kauf.

Kleine Tricks wie die Unterschriftenschablone sind es, die Saerberg das Alltagsleben erleichtern. Sein Laptop hat neben der Tastatur eine Braillezeile in Blindenschrift. Ein spezielles Programm liest ihm alles vor, was er auf dem Bildschirm nicht sehen kann. Das ungeübte Ohr versteht nur ein Nuscheln, so schnell liest die Computerstimme. „Für Hausarbeiten ist das optimal, die werden mir per E-Mail geschickt und ich kann sie ganz einfach korrigieren. Groß- und Kleinschreibung kann ich zwar nicht überprüfen, aber dafür höre ich viele Fehler, die Sehenden vielleicht nicht auffallen würden.“ Trotz seiner grauen Locken sieht der 47-Jährige jung für sein Alter aus.  „Man entwickelt als Blinder Fähigkeiten, die Sehende nicht haben“, sagt er und deutet auf einen anderen Rechner, der neben einem Stapel Bücher auf seinem Schreibtisch steht. „Dass der Bildschirm nicht funktioniert, stört mich gar nicht“, sagt er grinsend.

Vom ruhigen Fels zum hibbeligen Pavian

Immer hat Saerberg diese unbeschwerte positive Haltung nicht gehabt. Als Kind litt er an einer Netzhauterkrankung, sein Sehvermögen nahm immer weiter ab. Dennoch ging er auf eine Schule mit sehenden Kindern, überzeugte die Lehrer davon, dass mit kleinen Hilfestellungen auch er dem Unterricht folgen konnte. „Wenn etwas an die Tafel geschrieben wurde, mussten es die Lehrer eben vorlesen“, erinnert sich Saerberg, der in Langenfeld im Rheinland groß geworden ist. Mit 20 ging er das erste Mal zu einem Blindenverein, mit der Gewissheit, bald gar nichts mehr sehen zu können. „Zunächst war ich total schockiert. Es war alles so strange“, berichtet Saerberg, lacht herzlich, und erklärt nach kurzem Überlegen: „In der Schule bin ich ein ruhiger Fels gewesen, um den eine Horde aktiver und hibbelliger  Paviane herum sprang. Im Blindenverein war ich plötzlich der Affe. Die anderen kamen mir vor wie eine Steinwüste.“ Genau belegen kann er seinen Eindruck heute nicht mehr, mittlerweile ist der Umgang mit Blinden für ihn normal. „Blinde im Allgemeinen sind wohl überlegter und ruhiger“, resümiert er. Auch wenn der Professor beteuert, dass er sich in Gesellschaft seiner „blinden Kumpels“ anders verhält – im Umgang mit Sehenden ist seine Behinderung nur schwer zu bemerken.

Blindsein fördert die Kreativität

Vielleicht liegt es daran, dass er selbst noch weiß, wie es ist, zu sehen, vielleicht aber auch an seiner Familie. Seiner Frau. Seinen zwei Kindern. Seiner Katze. Gemeinsam leben sie in Wiehl im Oberbergischen Land. Hier kann Saerberg seinen Hobbys nachgehen. Musik machen auf der Flamenco-Gitarre und auf Alltagsgegenständen, Gedichte schreiben, Spazierengehen. „Letztens habe ich mir dabei einen Bänderriss geholt“, erzählt der 47-Jährige mürrisch. Doch schon als er seinen Schuh auszieht und den bandagierten Fuß in möglichst bequemer Position auf seinen Schreibtisch legt, stellt sich wieder der zufriedene Gesichtsausdruck ein, der ihn schon die ganze Zeit begleitet. „Ich bin ein unordentlicher Mensch, zumindest im Vergleich zu anderen Blinden. Wenn ich koche, dann rieche ich einfach an den Zutaten, anders kann ich sie nicht zuordnen.“ Wieder muss er lachen. „Für mich sind alle Gegenstände rohe Objekte, die ich erst gesellschaftsfähig machen muss. Aber ich sehe es positiv: Es fördert die Kreativität.“

Das sagen Dozenten über ihren blinden Kollegen: Weiterlesen auf der nächsten Seite

2 Comments

  • Franziska Weigt sagt:

    Toller, lesenswerter Bericht. Sophie Mono wird noch zum Markenzeichen für interessante dazu noch gut verpackte Themen auf pflichtlektuere-online. Ich bin jedenfalls schon Fan.

    Schade nur, dass im letzten Absatz und vorletzten Absatz gleich zweimal derselbe Abschnitt steht – der zwar getroffen formuliert ist, aber doppelt nicht so gut kommt.

    Bedenklich auch, einen Artikel ganz ohne Fotonachweise online zu stellen…

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