Text 2.0 – Er weiß, was du liest

Ein Text, der auf den Leser reagiert? Klingt wie eine Zukunftsvision, ist es aber nicht. Forscher des Deutschen Forschungsinstituts für künstliche Intelligenz in Kaiserslautern basteln zur Zeit an einem Text, der mitdenkt – Text 2.0.

Während ein normales Buch höchstens Eselsohren bekommt, wenn jemand es liest, reagiert Text 2.0 auf die Augen des Lesers. Der digitale Text weiß, in welcher Zeile, bei welchem Satz und welchem Wort die Person ist. So kann der Text dem Leser an den richtigen Stellen Mehrwerte bieten – etwa Musik oder Erklärungen.

Der Eye-Tracker zeigt, welche Bücher verfügbar sind. Foto: Marc Patzwald

Der Eye-Tracker zeigt, welche Bücher verfügbar sind. Foto: Marc Patzwald

Forscher am Deutschen Forschungsinstitut für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Kaiserslautern haben zwei Formen dieses klugen Texts entwickelt – das „Augmented Reading“ und das „Eye-Book“. „Augmented Reading“ heißt so viel, wie angereichertes Lesen. „Das geht ein bisschen mehr auf diesen Wissensmanagementaspekt“, erläutert Forscher Ralf Biedert vom DFKI. „Wenn Sie an irgendeinem Wort stecken bleiben würden und nicht wüssten, was das bedeutet, bekämen Sie eine Übersetzung oder intelligente Fußnoten, die Ihnen Konzepte weiter erläutern.“ Dieses „Steckenbleiben“ erkenne der Computer daran, dass die Augen länger an einem Wort hängen blieben.

Kein Karl Klammer

Ralf Biedert vom DFKI; Foto: Marc Patzwald

Ralf Biedert vom DFKI. Foto: Marc Patzwald

Dadurch kann der Text dann die passende Hilfestellung bieten – aber auch nur solch eine, welche die Forscher einprogrammiert haben – und das ist ein ganz grundsätzliches Problem, sagt Biedert: „Sie wissen nicht immer, was genau gerade benötigt wird. Augenbewegungen sind so vielschichtig und es gibt so viele Gründe für Augenbewegungen.“ Dadurch bleibe es manchmal ein Ratespiel, ob besser eine Fußnote oder etwas anderes erscheinen solle. Deswegen müssten sie nicht nur nach der passenden Lösung gucken, sondern auch schauen, „wie ich diese Hilfe anbiete, dass sie nicht stört, selbst, wenn sie falsch ist“. Wichtig sei, dass eine nicht benötigte Hilfestellung nicht zur Verärgerung des Benutzers führe. Ein Gegenbeispiel sei da Karl Klammer von Microsoft Office, der vielen auf die Nerven ginge.

Zusätzlich bietet das „Augmented Reading“ auch Lesezeichen an, wenn der Leser einmal pausiert. Ein roter Pfeil zeigt dann an, wo er aufgehört hat. Text 2.0 ermöglicht auch einen Text zu überfliegen. Sobald der Computer registriert, dass die Augen schnell über die Buchstaben fliegen, werden unwichtige Wörter ausgeblendet und nur noch wichtige hervorgehoben. Auch kann der Leser den Text fragen, wie er ein Wort aussprechen muss und der Computer gibt die passende Antwort.

Ein hollywoodmäßiges Buch

Das „Eye-Book“ ist die andere Variante des Text 2.0. Biedert nennt es auch „Hollywood-Buch“: „Wenn Sie Dracula lesen und Sie lesen, dass Wind heult, dass Wölfe irgendwo heulen, dass Blätter rascheln – dann würden Sie genau passend zu dem Moment, wo Sie es gelesen haben, auch die entsprechenden Effekte hören.“ Das können dann Musik oder einzelne Soundeffekte sein. Außerdem zeigt der Text Bilder oder der Bildschirm verdunkelt sich etwas, wenn es beispielweise Nacht ist.

Für das Eye-Book haben Ralf Biedert und seine Kollegen bisher Auszüge aus dem kleinen Prinzen und Dracula umgesetzt. Denn nicht alle Bücher oder Texte eignen sich für eine Umsetzung: „Als wir damit angefangen haben, hatten wir uns ein bisschen umgeschaut, beispielsweise Edgar Allan Poe und andere. Viele von denen haben sehr viele innere Monologe, irgendwelche philosophischen Erläuterungen, die kann man nur sehr schwer annotieren.“ Bei Dracula passiere sehr viel Handlung, der Leser sei viel draußen und deswegen gebe es dafür auch viele Umgebungsgeräusche.

Ein „Eye-Tracker“ beobachtet die Augen

Damit der Computer die Augenbewegungen erkennt, sind die richtige Soft- und Hardware nötig – ein so genannter Eye-Tracker und die Software für die jeweilige Textsorte. „Der Eye-Tracker ist ein Bildschirm, der unten dran Infrarot-Lichter hat, die für Sie nicht sichtbare Reflexionen auf Ihrem Auge erzeugen“, erklärt Ralf Biedert. Im Eye-Tracker ist eine Kamera eingebaut, die diese Reflexionen beobachte. „Wir ermitteln dann mit OCR-Methoden, welche Textteile Sie auf dem Bildschirm gelesen haben“, führt DFKI-Kollege Georg Buscher aus. OCR heiße „Optical Character Recognition“ erklärt er: „Das heißt, der Computer versucht selbst herauszufinden, welcher Text da stand und was er bedeutet und ordnet Ihre Augenbewegungen diesem Text zu.“

Ständige Weiterentwicklung

Georg Buscher vom DFKI; Foto: Marc Patzwald

Georg Buscher vom DFKI. Foto: Marc Patzwald

Sie müssen Eye-Tracking ständig weiterentwickeln, erklärt Georg Buscher: „Eye-Tracking ist bisher noch nicht hundertprozentig genau. Hier gibt’s bestimmte Off-Sets, das heißt Ungenauigkeiten. Die Punkte, die Eye-Tracking erkannt hat, sind nicht genau dort, wo sie hingeguckt haben.“ Das liege daran, dass die Augenbewegungen aus sogenannten Fixierungen und Sakkaden beständen. „Während des Lesens ist es nämlich so, dass man mit dem Auge nicht kontinuierlich über den Text fließt, sondern das Auge springt in ganz charakteristischer Weise“, führt er weiter aus.

Seit 2007 entwickeln sie Text 2.0. Die Idee kam durch einen Wettbewerb der COGAIN, dem Netzwerk „Communication by Gaze Interaction“, also Kommunikation durch Blickinteraktion. Bei der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2009 haben sie Text 2.0 zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt. Heute sind sie drei feste Forscher, die die Forschungsprototypen ständig weiterentwickeln. Dazu kommen dann noch zwei Hiwis und immer wieder mal Studenten und Praktikanten. Momentan suchen sie beispielsweise welche für „Text 2.0 auf dem iPhone“.

Ein Einführungssvideo des DFKI zeigt, wie Text 2.0 genau funktioniert (englisch):

[youtube 8QocWsWd7fc nolink]

Text 2.0 funktioniert bisher schon gut und zeigt, was in Zukunft alles möglich sein kann. Ralf Biedert glaubt nicht, dass Text 2.0 Bücher ersetzen kann, aber er hat schon eine Vorstellung, wo es zum Einsatz kommen könnte: „Eye-Tracker entwickeln sich rasant weiter. Ich könnte mir schon gut vorstellen, dass digitale Lesegeräte Eye-Tracker bekommen werden.“ Somit wäre Text 2.0 ergänzend zu „normalen“ Büchern. Bis die externen Eye-Tracker für jeden verfügbar sind, kann es allerdings noch etwas dauern – die, mit denen die Forscher im DFKI arbeiten, kosten zur Zeit zwischen 17.000 und 27.000 Euro.

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