Völkermord – Forschung zur Vorsorge in Bochum

Von Nils Bickenbach und Martina Vogt

Wir tun so, als sei der Holocaust der einzige Genozid, aber es passiert auf der ganzen Welt immer wieder – auch heute noch. Deshalb ist es wichtig, das Thema Genozid in das öffentliche Bewusstsein zu rufen.
Der Name Darfur steht seit fünf Jahren für Krieg, Zerstörung, Vertreibung, Ausrottung und Vernichtung einer ganzen Kultur – er steht sinnbildlich für den ersten Völkermord des 21. Jahrhunderts.

Fernab von europäischer Sicherheit wird gemordet und vertrieben. Grafik: Skalli

Fernab von europäischer Sicherheit wird gemordet und vertrieben. Grafik: Skalli

Eine Szenerie, die Wissenschaftler seit langem wahrnehmen. Am Bochumer Institut für Diaspora- und Genozidforschung befasst man sich mit den Ursachen von Völkermord. Die Bochumer untersuchen nicht nur die Tat selbst, sondern geben auch Diagnosen und Prognosen ab. Sie hinterfragen die Selbstbilder der Täter und decken Gefährdungen für Minderheiten in der Gesellschaft auf.

Analyse der Gewalt

In seiner Forschungsarbeit untersucht Prof. Mihran Dabag, Leiter des Instituts für Diaspora- und Genozidforschung, das Wissen, vor dem ein Genozid machbar und denkbar erscheint. Verschiedene Fachbereiche analysieren in seinem Institut die Struktur der Gewalt und ihre Folgeerscheinungen. Ideologisch legitimiert wird der Genozid in den meisten Fällen mit der Gestaltung der zukünftigen Gesellschaft. Denn die Vision die verfolgt wird, ist die einer neuen, homogenen und territorial abgegrenzten Nation. Und diese soll im Genozid möglichst schnell realisiert werden. „Das Gewaltpotential dieser Visionen muss offen gelegt werden“, so Dabag. „Genozid gestaltet Gesellschaft durch Gewalt“. Es sei, laut Dabag, ein Prozess, in dem Opfer, Täter und Zuschauer unmittelbar zusammenhängen.

Doch fernab von Forschung und europäischer Sicherheit machen zeitgleich arabische Milizen gemeinsam mit Regierungstruppen im Westen des Sudans Jagd auf Schwarz-Afrikaner. Eine Jagd, bei der bis dato mindestens 200.000 Menschen starben und mehr als 2,5 Millionen Menschen vertrieben wurden.

Die EU-Länder berichten mittlerweile kaum noch über diese humanitäre Katastrophe. „Gegenüber Afrika sind wir sorglos“, beschreibt Dabag das Verhalten der Deutschen, die nur für manche Sachen auf die Straße gehen. Internationale Institutionen versagen und vertagen Entscheidungen betreffend eines Einschreitens im Darfur-Konflikt, während das Morden weitergeht.

Interessenpolitik

Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Es sind die Wirtschaftsbeziehungen zum Sudan. „China ist bedeutendster Abnehmer des sudanesischen Erdöls und gleichzeitig Waffenlieferant im Darfur-Konflikt”, bestätigt Tilman Zülch, Menschenrechtler und Gründer der internationalen Menschenrechtsorganisation, der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). Im Sudan seien Frankreich, Großbritannien, Russland, China, Malaysia und die Vereinigten Arabischen Emirate am Erdölgeschäft beteiligt. China als mächtiges „Täterland“ in der Darfur-Krise ist laut Zülch auch ein Grund, warum Medien als Wirtschaftsunternehmen kaum über Völkermorde (Genozide) berichten und Weltorganisationen wie gelähmt erscheinen.

Darfur: Interessenpolitik gegen Menschenrechte.

Darfur: Interessenpolitik gegen Menschenrechte.

Eine weitere Begründung für fehlendes Einschreiten sei die Angst vor vermeintlichem Terror von Islamisten. Genozid müsse deswegen, so Dabag, eine feste politische Kategorie sein, die zum Handeln auffordert. „Die EU könnte helfen den Genozid zu beenden, doch finden die einzelnen Staaten keinen gemeinsamen Konsens in der Sache”, sagt Zülch.
Einen gemeinsamen Konsens finden dafür Banken und Finanzinstitute. Sie finanzieren den Genozid in Darfur direkt oder indirekt mit, indem sie Firmen unterstützen, die Geschäfts-beziehungen mit der sudanesischen Regierung knüpfen. Technologiekonzerne wie Siemens (Deutschland) und ABB (Schweiz) sind durch Menschenrechtskampagnen unter anderem von der GfbV, hellhörig geworden und haben 2007 ihre Geschäfte mit dem Sudan eingestellt.

„Alles was passiert, muss dokumentiert und bekannt gemacht werden“, mahnt Zülch. Forschung ist daher sehr wichtig. In den USA fing es an und in Deutschland wird erst seit gut 15 Jahren auf dem Gebiet geforscht. „Es ist keine Selbstverständlichkeit, in Deutschland über dieses Thema zu reden“, sagt Dabag und verweist auf die deutsche Geschichte und den Holocaust. Heute gibt es jedoch weit mehr Genozidforscher und mehr Akzeptanz als noch vor 15 Jahren. „Es ist wichtig, das Thema Genozid in das öffentliche Bewusstsein zu rufen“, sagt Zülch. „Du kapierst erst was Menschenrechte sind, wenn du siehst wie Menschen unterdrückt werden!“

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