Türkisch für Lehramts-Studenten

Die Themen Bildung und Integration schaffen es häufig in die Schlagzeilen. Die Forderungen reichen von türkischen Gymnasien bis zur Einstellung von mehr Lehrern mit Migrationshintergrund. Eine ganz andere Chance wollen angehende Lehrer an der TU Dortmund nutzen: Sie lernen Türkisch am Sprachenzentrum. Integrationshilfe oder Integrationshindernis?

Der Pfeil zeigt nach oben. Mithilfe des Sprachenzentrums Dortmund soll es mit der Integration aufwärts gehen.

Der Pfeil zeigt nach oben. Mithilfe des Sprachenzentrums Dortmund soll es mit der Integration aufwärts gehen. Fotos: Anne-Kathrin Gerstlauer

Konzentriert beugen sich die Studenten über ihr Blatt. Frage drei im Test lautet: „Lernst du jeden Tag Türkisch?“ In der Theorie gibt es für jede Antwort mit der richtigen Grammatik-und Wortwahl Punkte. In der Praxis gibt es eigentlich nur eine richtige Antwort: Zehn bis 15 Minuten täglich. Im Test heißt das dann: „Günlük on, on bes dakika.“  So empfiehlt es Recep Akin, der Dozent an der TU Dortmund.

Es gibt schließlich so einige Vorteile: „Auf Türkisch ins Kino einladen, das geht wesentlich schneller und einfacher.“ Oder: „Türkisch ist sehr viel umweltfreundlicher, das kann viel Tinte und Papier sparen.“ Eigentlich wird hier aber nicht fürs Leben, sondern für die Schule gelernt. Circa 170 Studenten kämpfen sich in diesem Semester durch Satzstellung, Vokalharmonie, korrekte Apostroph-Setzung und Groß-/Kleinschreibung. Neun von zehn studieren auf Lehramt.

Besser kommunizieren, Kinder fördern, Interesse zeigen

Lena Gransemeyer lernt seit Anfang des Semesters Türkisch.

Nele Granseyer lernt seit Anfang des Semesters Türkisch.

Da ist zum Beispiel Nele Granseyer, Sonderpädagogik: „Ich möchte eine Grundlage, um mit den vielen türkischen Kindern besser zu kommunizieren.“ Lena Rengshausen, Mathe und katholische Religion, zieht den Bezug zum Ruhrgebiet: „Gerade in dieser Region kann mir Türkisch auf jeden Fall weiterhelfen.“ Auch Sabrina Transchel, Mathe und Bio für Primarstufe, will „die Kinder fördern“, und Udo Smidt, Master Grundschule, will bei Gelegenheit „Seid mal ruhig!“ auf Türkisch sagen. „Damit sie sehen, oh, der interessiert sich für mich.“ Zehn bis 15 Minuten täglich für die Integration, kann es so einfach sein? Und wann wird Türkisch tatsächlich angewandt, wann wird Deutsch gesprochen?

Türkisch sprechen, aber nur im richtigen Moment

Lina Hampel weiß genau, was sie will. Nicht jedem gleich verraten, dass sie Türkisch kann. Aber wenns drauf ankommt: "Yeter" - "Genug, es reicht".

Lina Hampel weiß genau, was sie will. Nicht jedem gleich verraten, dass sie Türkisch kann. Aber wenn's drauf ankommt: "Yeter" - "Genug, es reicht".

Lina Hampel, Mathe und Physik im ersten Master-Semester, hat da ganz genaue Vorstellungen: „Beim Elternsprechtag will ich wissen, ob die Schüler ihren Eltern richtig übersetzen. Oder ob sie lügen.“ Und im Klassenzimmer? „Natürlich würde ich mich jetzt nicht offiziell vor die Klasse stellen und sagen ‚Hallo, ich spreche übrigens auch Türkisch.'“ Aber im richtigen Moment, da will sie durchgreifen: „Yeter, das werde ich oft gebrauchen. Das heißt übersetzt: Genug, es reicht.“

Sie will den türkischen Schülern, ihrer Sprache gerecht werden. Sie will die Namen ihrer Schüler richtig aussprechen, für sie gilt: „Integration geht von zwei Seiten aus.“ Aber was ist mit der anderen Seite, den Eltern, die kein oder nur wenig Deutsch sprechen? Was ist mit den Schülern? Ihre Lehrer können Türkisch, gibt’s dann noch einen Anreiz, Deutsch zu lernen?

Schiffe versenken für die Integration?

Bildung und Integration sind brisante Themen. Von der Deutsch-Pflicht auf Schulhöfen, über vermehrte Einstellung von Lehrern mit Migrationshintergrund bis zu türkischsprachigen Gymnasien: Die Palette an Vorschlägen und Projekten ist groß. Im Sprachkurs blättern die Studenten in ihren grünen oder gelben Wörterbüchern, halten Schilder mit Adjektiven in die Höhe, spielen Schiffe versenken auf Türkisch. An welcher Stelle ist diese Initiative der Lehramts-Studenten einzuordnen? Dozent Recep Akin beurteilt das Engagement als „bemerkenswert“. Für ihn zählt: „Wenn Kinder mit Migrationshintergrund eine falsche Schullaufbahn einschlagen, hinterlässt das auch einen Gesamtschaden für die Bevölkerung.“

Ist Türkisch bald im Pott ein Muss?

Im Ruhrgebiet ist der Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund besonders hoch. Keine Viertelstunde vom Sprachenzentrum entfernt liegt die Albrecht-Brinkmann-Grundschule. 2008 tauchte die damalige Klasse 1e in den Schlagzeilen auf: Kein Einziger der 22 Schüler hatte deutsche Eltern.

Holger Klatte

Holger Klatte vom Verein Deutsche Sprache e.V.: "Lehrpersonen müssen von Fall zu Fall unterscheiden, wie sie ihre Fremdsprachenkenntnisse einsetzen."

Türkische Sprachkenntnisse, bald ein Einstellungskriterium für angehende Lehrer im Pott? So weit würde Berthold Paschert von der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) nicht gehen. Er betont aber:  „Wir haben sowieso viel zu wenig Lehrkräfte mit Migrationshintergrund.“ Deshalb gilt für die Lehramts-Studenten: „Sprache ist ein wichtiges Medium zur Integration, und wenn man Türkisch kann, umso besser.“ Auch Holger Klatte vom Verein Deutsche Sprache e.V. sieht Vorteile für die Lehramts-Studenten, stellt aber auch klar: „Natürlich muss klar sein, dass die Unterrichtssprache Deutsch ist, auch in Klassen in denen viele Schüler sitzen mit Türkisch als Muttersprache.

„Die Eltern kommen doch häufig gar nicht mehr zum Elternsprechtag“

Erkan Özdil favorisiert bilingualen Unterricht, und zwar so früh wie möglich. Dafür brauche es statt eines Sprachkurses ein extra Studium.

Erkan Özdil favorisiert bilingualen Unterricht, und zwar so früh wie möglich. Dafür brauche es statt eines Sprachkurses ein extra Studium.

Für Ludwig Wittgenstein bezeichneten die Grenzen der Sprache die Grenze „meiner Welt“. In der Schule kann die Grenze schon mal der Elternsprechtag sein. Laut einer Studie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge spricht jeder fünfte Türke nur mangelhaft oder gar nicht Deutsch. Sind Türkisch sprechende Lehrer dann vielleicht sogar Integrations-Hindernis? Dr. Erkan Özdil, Dozent am Institut für Germanistik an der TU Dortmund, lächelt bei dieser Frage: „Die Eltern kommen doch häufig gar nicht mehr zum Elternsprechtag.“ Deshalb seien die Sprachkenntnisse der Lehrer auch nicht hinderlich, im Gegenteil: „Wenn sie sehen, wie der Lehrer sich bemüht, steigt die Akzeptanz und die Motivation, selber Deutsch zu lernen. Und dann auch zum Elternsprechtag zu gehen.“ Er fügt an: „Nach so einem Sprachkurs kann der Lehrer ja sowieso nicht einfach drauflos kommunizieren.“ Der Fachkoordinator „Deutsch als Zweitsprache“ sieht die Lösung für viele Sprachprobleme in dem zweisprachigen Modell: „Ich wünsche mir bilingualen Unterricht, und nicht Einsprachigkeit, also nur Türkisch. Auch wenn das einige Vertreter des türkischen Staates anders sehen.“

2 Comments

  • Hans sagt:

    uper jetzt lernen alle angehenden Lehrer nebenbei etwas Türkisch und dann noch russisch arabisch

  • Lina Hampel sagt:

    Genau wie Herr Özdil, habe auch ich gesagt, dass ich bilingualen Unterricht am besten finde, so dass die muttersprachlich deutschen Kinder Türkisch und die muttersprachlich türkischen Kinder Deutsch lernen. Eine Win-Win-Situation.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert