„Tisch-Theater“: Speed-Dates mit Schauspielern

21 Tische, 21 Darsteller: Beim „Tisch-Theater“ am Musischen Zentrum der RUB wechseln die Schauspieler alle dreieinhalb Minuten die Bühne. Sie konfrontieren ihr Publikum mit mehr oder weniger auffälligen Charakteren. Und scheuen dabei weder Blick-, noch Körperkontakt.

Instinktiv zieht sich der Zuschauer zurück, kein seltenes Bild. Bild: A. Gerstlauer

Instinktiv zieht sich der Zuschauer zurück, kein seltenes Bild beim RUB "Tisch-Theater". Bild: A. Gerstlauer

Plötzlich dreht sich der Mann in dem weißen Hemd um und blickt den Jungen mit den krausen schwarzen Haaren an. Er beugt sich runter, bis die Gesichter auf Augenhöhe sind und fragt in aggressivem Tonfall: „Was ist hier so witzig?“

Beim Bochumer „Tisch-Theater“ sind die Zuschauer ein Teil des Stückes – ob sie wollen oder nicht. Zu viert sitzen sie an einem der viereckigen, braunen Tische und warten auf den nächsten Darsteller. Wie beim Speed-Dating wird jeder von den Schauspielern nur genau dreieinhalb Minuten verweilen: Die einen auf einem kleinen Hocker, die anderen stehend, und die Nächsten setzen sich auch schonmal im Schneidersitz auf den Tisch. Es wirkt, wie eine Extremsituation für den Schauspieler. Die Grenze zum Zuschauer verschwindet, keine Scheinwerfer, keine höher gesetzte Bühne trennen den Darsteller von seinem Publikum.

Nicht mit jedem möchte der Zuschauer an einem Tisch sitzen

Die vier Zuschauer am Tisch können sich dem Schicksal der Protagonisten nicht entziehen. Bild: A. Gerstlauer

Die vier Zuschauer am Tisch können sich dem Schicksal des Protagonisten nicht entziehen. Bild: A. Gerstlauer

Und es ist tatsächlich eine Extremsituation, doch mehr für den Zuschauer, als für den Darsteller, der seinen Monolog ein Semester lang geübt hat. Denn die Schauspieler verkörpern im „Tisch-Theater“ jene Menschen, mit denen man eigentlich gerade nicht an einem Tisch sitzen möchte, und die jetzt so nahe kommen, mit festem Blick jedem Augenkontakt standhalten und das Wort auch schonmal frontal an den Zuschauer richten.

Am Tisch sechs erscheint zunächst „Der Suizidgefährdete“. Ein guter Darsteller zum Reinkommen, denn er fuchtelt zwar ein wenig mit seiner kleinen, schwarzen Pistole am Kopf herum, aber der Zuschauer kann passiv bleiben, beobachten. Die kleine Frau mit dem grünen Schal und dem braunen Mantel wird da schon gefährlicher, wenn sie mit dem Finger auf den Zuschauer zeigt und leise spricht: „Sie schieben ihr Leben vor sich her wie ein Kartoffelsack.“ Es ist eine Konfrontation, der man sich nicht entziehen kann, der Tisch wird zur Bühne, an die man gefesselt ist. Nicht alle können in dieser beklemmenden Situation den Blickkontakt halten, eine Frau senkt beschämt den Blick zum Boden, aus dem Hintergrund ist ein hysterisches Kichern zu hören.

Sylvie, eine Standby-Kraft, ein Weltverbesserer und eine glückliche Hausfrau

Sylvie hat einen teuren Mantel, gewachste Brust-Haare und einen aufgespritzten Hintern. Und doch vergisst jeder ihren Namen. Bild: A.Gerstlauer

Sylvie hat einen teuren Mantel, gewachste Brust-Haare und einen aufgespritzten Hintern. Und doch vergisst jeder ihren Namen. Bild: A. Gerstlauer

Doch wenn der Zuschauer sich auf die Reise in die Welt derer, mit denen er nicht an einem Tisch sitzen möchte, einlässt, dann können gar witzige Dialoge entstehen. Zum Beispiel mit Sylvie, deren roter Nagellack zur gleichfarbigen Handtasche und zum ebenfalls roten Lippenstift passt, die sich ihre Achsel-Haare, die Augenbrauen und gar die Brust-Haare wachsen lässt, deren Pelzmantel tausend Euro gekostet hat – und deren Namen doch alle vergessen. „Was glauben Sie, hat meine Unterhose gekostet?“, fragt sie in die kleine Zuschauerrunde. 30 Euro sagt der Mann an der Ecke, 50 Euro sagt seine Frau. „Wahnsinn, Sie müssen in den gleichen Dessousladen gehen, wie ich“, sagt Sylvie.  Die Frau lacht. „Und wieviel kostet mein BH, Sie müssen es ja wissen.“

Es folgen noch eine „Standby-Kraft“, die in drei Monaten 27 verschiedene Jobs ausgeführt hat, ein Weltverbesserer, der den Schmerz seiner verbrühten Hand nicht gemerkt hat, weil er gleichzeitig über die amerikanische Außenpolitik nachdachte, und eine „glückliche Hausfrau“, die nicht verstehen kann, wie ihre Schwester in einem „renommierten Krankenhaus“ arbeiten kann. Wie kann denn ein Krankenhaus renommierter sein, als das andere?

Für viele Darsteller ist es ihre Theater-Premiere

Die "glückliche Hausfrau" wischt Staub auf dem Tisch, unterm Tisch und am Stuhl der Zuschauer. Bild: A. Gerstlauer

Die "glückliche Hausfrau" wischt Staub auf dem Tisch, unterm Tisch und am Stuhl der Zuschauer. Bild: A. Gerstlauer

Und so hat sich jeder Zuschauer am Ende mit zehn Schicksalen auseinandergesetzt, in einer für das Theater doch eher ungewöhnlichen Intimität. Insgesamt spielen 21 Darsteller, die im Takt die Tische wechseln und dazwischen durch die Gänge schlendern. Die meisten von ihnen machen zum ersten Mal Theater, aber die Unsicherheit ist nur wenigen anzumerken. Am Musischen Zentrum haben sie unter der Leitung von Sarah Meyer-Dietrich, Karin Freymeyer, Christoph Todt und Erika Wickel ein Semester lang geprobt.

Die Problematik, so viele Studenten und meist Theater-Anfänger aus den verschiedensten Fakultäten unter einen Hut zu bekommen, war Karin Freymeyer bekannt. Aus der Not hatte sie dann die Idee zum „Tisch-Theater“. In den vergangenen Jahren waren ihr oft gegen Ende des Semesters Studenten abgesprungen, deshalb plante sie ein Stück, bei dem sie Ausfälle verkraften konnte. Und so übte jeder Student seit Beginn des Semesters einmal die Woche seinen dreieinhalbminütigen Dialog.

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