Die SPD im Pott: Rückkehr der roten Dominanz?

Vorsprung ausgebaut, 36 von 38 Wahlkreisen gewonnen – nach blassen Jahren schimmert die SPD-Hochburg Ruhrpott wieder in einem satteren Rot. Profitiert hat sie aber auch von den Verlusten anderer. Ein Sozialdemokrat und ein CDU-Mann verkörpern dabei die Kräfteverhältnisse im Revier.

Der ganze Pott ist von der SPD besetzt? Der ganze Pott? Nein! In Essen und Recklinghausen hatte die CDU die Nase vorn. Quelle: Innenministerium NRW

Der ganze Pott ist von der SPD besetzt. Der ganze Pott? Nein! In Essen und Recklinghausen hatte die CDU die Nase vorn. Quelle: Innenministerium NRW

Das Ruhrgebiet ist rot – über Jahrzehnte hatte sich das Bild von der SPD-Hochburg so sehr in die Köpfe der Menschen eingebrannt, dass ein Besenstiel als Symbol für die Dominanz diente. Eben jenen Besenstiel könne die SPD im Revier nominieren, so die Redensart zwischen Wesel und Hamm, die Sozialdemokraten würden trotzdem gewählt.

Wer erst nach der Jahrtausendwende zum ersten Mal sein Kreuz in NRW machen durfte, kann damit nur noch wenig anfangen. Einen ersten Einschnitt für die SPD gab es bei den Kommunalwahlen 1999, als sie gut acht Prozentpunkte einbüßte, während die CDU sich auf ihre absolute Bestmarke schraubte. 2005 schließlich mussten die Sozialdemokraten nach 39 Jahren sogar das Regierungszepter in Düsseldorf abgeben.

Nach der Landtagswahl 2010 lag die SPD nur 6200 Zweitstimmen hinter der CDU. Sie gewann zwar nicht, fühlte sich abeer dennoch als Sieger. Noch immer herrscht keine Klarheit darüber, wer demnächst in NRW regieren wird. Nach zweistelligen Verlusten der CDU ist Schwarz-Gelb zwar abgewählt, doch auch die SPD ließ noch einmal 2,5 Prozentpunkte liegen. Nach Absagen an „Jamaika“, die „Ampel“ und ein rot-rot-grünes Bündnis läuft alles auf eine große Koalition hinaus – oder gar Neuwahlen.

SPD-Hochburg Duisburg

Mehr Gewissheit brachte die Landtagswahl für Sören Link. Im Revier gehört der 33-jährige Link zu den Sozialdemokraten, die „mit dem guten Gefühl in eine Wahl gehen können, ein gewisses Polster zu haben“. Link ist im Wahlkreis 63 zuhause – Duisburg IV im Norden der Stadt, Bezirke Walsum und Hamborn, dicht besiedelt, seit jeher SPD-Gebiet. Vor fünf Jahren siegte er bereits deutlich. Jetzt hat Link mit 53,2 Prozent das zweitbeste Erststimmenergebnis eines SPD-Kandidaten in ganz Nordrhein-Westfalen eingefahren.

Holte das zweitbeste Erststimmenergebnis eines Sozialdemokraten bei der Landtagswahl: Sören Link aus Duisburg. Foto: Privat

Holte das zweitbeste Erststimmenergebnis eines Sozialdemokraten bei der Landtagswahl: Sören Link aus Duisburg. Foto: Privat

Ob der deutliche Vorsprung vor der CDU seine Arbeit eher erleichtert oder erschwert? „Das vermag ich nicht zu sagen“, meint Link. „Es ist einfach anders.“ In seinem Wahlkreis sei es so, dass sich die Menschen meist dazwischen entscheiden, ob sie ihre Stimme überhaupt abgeben (mehrheitlich für die SPD), oder ob sie zu Hause bleiben. Geschmälert hat die geringe Wahlbeteiligung von 48,5 Prozent – nur Duisburg III blieb darunter – den Erfolg des gebürtigen Hamborners jedoch nicht. Die Partei von Link verlor lediglich bei den Zweitstimmen.

Ganz anders sieht das Abgeordnetendasein für Manfred Kuhmichel aus. Der gebürtige Essener erfüllt zwei Merkmale, die neben ihm nur noch auf einen weiteren Politiker zutreffen: Kuhmichel sitzt für die CDU im Landtag – und er kommt aus dem Ruhrgebiet. In Recklinghausen hatte Josef Hovenjürgen 262 Stimmen Vorsprung. Bei Kuhmichel waren es im Essener Süden etwas mehr als 1.000. So wenige, dass er zugibt, nach der ersten Prognose nicht allzu zuversichtlich gewesen zu sein.

„Die SPD ist da stark, wo die Probleme am größten sind“

Zur Dominanz der SPD im Ruhrgebiet sagt der 67-Jährige, den der WDR in einem Beitrag schon fälschlicherweise als „letzten seiner Art“ vorstellte: „So bin ich groß geworden.“ Von 1956 bis 1999 war das Rathaus seiner Essener Heimat in der Hand der Sozialdemokraten, bevor die CDU es für zehn Jahre eroberte. Kuhmichel sitzt seit zwanzig Jahren im Düsseldorfer Landtag und ist gewohnt, in kleinen Gruppen die Interessen des Ruhrpotts zu vertreten. Zuletzt waren es noch fünf CDU-Direktkandidaten gewesen. „Als Vertreter der Interessen des kleines Mannes ist die SPD da stark, wo die Probleme am größten sind“, sagt Kuhmichel. Das vielzitierte Besenstiel-Phänomen gebe es noch immer, nur längst nicht mehr so stark wie früher.

Manfred Kuhmichel (CDU) warnt: „Die großen Parteien werden an Zuspruch verlieren, wenn sie nicht an sich arbeiten. Wir müssen selbstkritisch bleiben.“ Foto: Privat

Manfred Kuhmichel (CDU) warnt: „Die großen Parteien werden an Zuspruch verlieren, wenn sie nicht an sich arbeiten. Wir müssen selbstkritisch bleiben.“ Foto: Privat

Sören Link sieht das SPD-Ergebnis bei der Landtagswahl als Signal: „Wir haben den Negativtrend der letzten Jahre gebrochen.“ Dass seine Partei dabei auch von den herben Verlusten der CDU profitiert hat, streitet er nicht ab. Schließlich verlor gerade die SPD im Pott noch etwas mehr als im ganzen Land. Letzten Endes galt für die CDU: Wer höher fliegt, kann tiefer fallen. „Berlin hat uns kräftig reingehagelt“, findet Christdemokrat Kuhmichel und meint damit die Arbeit der schwarz-gelben Bundesregierung.

Die SPD habe dagegen aus dem Fehlern gelernt, die verantwortlich waren für die Wahlschlappe 2005, so Link: Kehrtwende bei den Studiengebühren, sozialere Politik, eine Rückkehr zu den Wurzeln. „Wir haben das Vertrauen zurückgewonnen.“ Nach der Europawahl 2009 verkündeten die Ruhrbarone auf ihrem Blog das Ende der SPD-Hochburg im Pott. Die Kommunalwahl brachte wieder kleine Erfolgserlebnisse wie den Sieg in Essen. Bei der Bundestagswahl holten die Sozialdemokraten dann alle Direktmandate im Ruhrgebiet, verloren jedoch – dem bundesweiten Trend entsprechend – überall zweistellig. Die Landtagswahl endete im Ballungsraum Ruhr nun trotz Verlusten mit einem klaren Sieg über die CDU – 43,1 Prozent zu 27,6.

Doch das Fundament der erfolgreichen NRW-Wahl für die SPD ist in vielerlei Hinsicht aus den Fehlern anderer gegossen. Acht der zwölf schwächsten Werte bei der Wahlbeteiligung findet man im Ruhrgebiet. Gehen die Leute nicht zur Urne, trifft das in der Regel die CDU. Bezeichnend: Den landesweiten Bestwert gab es in Essen IV – dort, wo Manfred Kuhmichel gewählt wurde. Nachdem sich die Tiefpunkte für die SPD jahrelang unterboten, genießt sie nun trotzdem die Achtungserfolge. 36 von 38 Direktmandaten im Revier, drei von der CDU erobert, den Vorsprung bei den Zweitstimmen ausgebaut – nachdem es zuletzt eher blass schimmerte, ist das Rot der SPD im Ruhrgebiet wieder kräftiger geworden.

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