Achtung: Brandgefahr

Advent, Advent, ein Lichtlein brennt. Für viele ist die Weihnachtszeit ein Lichtblick. Familie sehen, der Beton-Uni entkommen. Zwangsferien. Vielleicht kann endlich eine dringende Hausarbeit beendet werden. Die drei Bücher, die eben noch zu lesen sind, liegen auch bereit. Selten wird die Zeit als Pause genutzt. Doch das Entschleunigen entfacht immer öfter ein anderes Feuer: Ausgebrannt sein. Fachleute sprechen vom „Burn-Out“.

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Die letzten Wochen war ich wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Ich ging zur Uni, ich arbeitete, ich las Literatur, ich machte Notizen. Jetzt frage ich mich, was ich gearbeitet, gelesen und aufgeschrieben habe. Ich war mit den leichtesten Dingen überfordert und habe mich über jede konkrete Aufgabe gefreut, die ich nicht selbst erstellen, vorstellen und ausführen musste.

Lief ich über den Campus, so sah ich viele Rehe. Alle trotteten über die Klapperplatten und hofften, so wenig Geräusch wie möglich zu verursachen. Die meisten bereuten wahrscheinlich, dass sie in den letzten Tagen vor Weihnachten überhaupt noch anwesend waren. Manche liefen verstört und äußerlich planlos mit vollgepackten Taschen und Armen umher. Als ob sie noch drei Wochen Arbeit mit sich herum schleppten.

Als ich klein war hieß es immer, dass ich Geduld haben soll und „gut Ding Weile“ brauche. Heute ist das irgendwie anders. Höher, schneller, weiter. Bloß bis zur unmenschlich liegenden Abgabefrist fertig werden. Kein Experiment wiederholen, sondern am gleichen Tag noch einen Bericht mit Fehleranalyse an den Chef geben. Am besten VOR 15 Uhr, weil er sonst nicht mehr im Hause ist.

Kann eigentlich irgendwer in meiner Generation noch das Prinzip eines Adventskalenders genießen? Ich habe es nicht geschafft. Entweder habe ich ihn vor Stress vergessen – oder ich habe einfach zu viele Türchen aufgemacht. Ich hatte weder Geduld, noch das Gefühl dafür, welches Datum wir haben. Ich war grundsätzlich schon ein paar Tage weiter. Außer in der letzten Woche. Da war es noch gefühlt November. Vielleicht auch, weil der Kalender eh schon leer war. In besagter Woche ging es nur noch darum, welche Literatur ich mir noch ausdrucke, um diese über Weihnachten zu lesen. Welche Protokolle ich zum Korrigieren mitnehme und was für Texte ich noch verfassen muss, bevor es im Januar weiter geht.

Aber ist es überhaupt gut, dass ich mein Pensum kaum herunterschraube? Darf ich auch einfach mal nichts tun und meinem Chef sagen: „Nein, ich habe es nicht in der vorgegebenen Zeit geschafft, aber ich bin dabei.“? Ist Qualität nicht auch etwas, das Zeit beansprucht? Wer entscheidet, wie viel Zeit ich für das Lesen einer Literaturquelle brauchen darf? Darf ich Schwächen zeigen? Am Tag vor Heiligabend, den ich bis 23 Uhr in der Uni verbracht habe, habe ich entschieden, dass ich ein kleines Fachbuch mit nach Hause nehme. Alles andere muss bis zum Start im neuen Jahr warten. Auf meinem Schreibtisch in der Uni.

Es ist Fakt, dass die Menschheit sich von jeher als überfordert angesehen hat. Mit jeder Neuerung. Das Problem, was ich sehe, ist, dass einfach nie eine Entschleunigung stattgefunden hat. Wir sind überfordert. Alle. Wir müssen Wege finden, eine Balance zwischen Forderungen und Lieferungen zu ermöglichen, damit keine Seite hinten über fällt.

Klar, heutzutage retten sich auch viele in die Diagnose „Burn-Out“. Die Kriegsgeneration belächelt diese sowieso, da sie es nicht kennen, dass es eine Wahl zwischen Knochenarbeit und Krankgeschrieben sein überhaupt gibt. Damals musste man durch die Arbeit, weil es das Überleben sicherte. Diese Generation ist aber auch die, die uns durch Praktika jagt und uns den Bachelor aufgedrückt hat (mit ihrer Folgegeneration). Es wird von uns Perfektion erwartet, gepaart mit einer ausgeklügelten Familienplanung und gleichzeitiger Ansammlung von Berufserfahrung. Das kann auf Dauer einfach nicht gut gehen.

Wir sind akut brandgefährdet!

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Die Suppenküche in Bochum kurz vor diesem Weihnachten. Viele durften sich freuen. Foto: Privat /Teaserfoto: Anne K. Dote

Hier mein Wunsch zu Weihnachten: Entschleunigt! Lasst euch nicht anzünden! Lebt! Wenn ihr überfordert seid, findet eine Lösung, die euch trotzdem noch nachts ruhig schlafen lässt. Schaltet nachts euer Mobiltelefon aus. Beantwortet Emails nur zweimal am Tag. Lasst Facebook links liegen. Plant euch bewusst Pausen ein. Macht mal nur eine Aufgabe, ohne parallel an einer anderen zu arbeiten! Sagt einfach mal „Nein“. Mir ist bewusst, dass das alles leichter gesagt als getan ist. Ein Start ist aber, wenn man sich bewusst wird, dass man eine gewisse Prise gesunden Egoismus in Form von Auszeiten für das eigene Wohl braucht. Auch kann die Teilnahme an karitativen Aktion gut tun. So, wie in Bochum bei „Weihnachten im Karton“. Seit zwei Jahren packen viele Bochumer einen Schuhkarton voll Weihnachten (und, was auch immer eine Freude machen kann), der dann an Hilfsbedürftige verschenkt wird.

Zuletzt wünsche ich mir am meisten, dass keiner von euch über Weihnachten oder irgendeine andere Zwangspause in ein tiefes Loch fällt. Ich hoffe ihr könnt die freie Zeit genießen, denn sie ist rar. Frohe Weihnachten und bis nächstes Jahr!


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Anne K. Dote ist eine Studentin des N-Gebäudes an der Ruhr-Universität Bochum, die sich regelmäßig auch in anderen Buchstaben verirrt. In ihrer Kolumne gibt sie einen persönlichen Einblick in den Kosmos RUB - und das normalerweise monatlich. Grafik: F. Steinborn, Teaserfoto: Anne K. Dote

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