Wenn die Nacht zum Alptraum wird

Foto: flickr.com/kate hiscock/Timothy/sdminor81/pedrosimoes7; Montage: Marc Patzwald

Foto: flickr.com/kate hiscock/Timothy/sdminor81/pedrosimoes7; Montage: Marc Patzwald

Ich stehe am Rheinufer und schaue aufs Wasser. Alles ist ruhig, bis plötzlich der Wasserpegel steigt. Unaufhaltsam verschluckt der graue Fluss die Wiesen und erreicht den Damm, auf dem ich stehe. Ich weiß, ich muss meine Familie finden,  also spurte ich los. Laar – meine Heimat –  sieht auf einmal ganz anders aus. Ich irre durch völlig unbekannte Straßenzüge, laufe durch ganze Häuser und lasse jegliche Grenzen der Physik hinter mir. Ich weiß, dass ich die anderen nicht finden werde und verfalle immer weiter in Panik…

Alpträume - Horrorfilme in unseren Köpfen foto: pixelio/ lutz stallknecht

Alpträume - Horrorfilme in unseren Köpfen, Foto: pixelio.de/ lutz stallknecht. Teaserbild: pixelio.de/ Christina Körner

Solche oder ähnliche Alpträume kennt jeder. Oft wacht man mitten in der Nacht auf und muss sich kurz vergewissern, dass alles nur ein Traum war. Vielleicht bleibt ein Schatten der Erinnerung am nächsten Morgen zurück, doch ansonsten ist alles in Ordnung. Für etwa fünf Prozent der  Erwachsenen Bevölkerung gilt das nicht. Sie leiden an so schlimmen oder so häufigen Alpträumen, dass diese therapiert werden müssen. Bei Kindern treten Alpträume noch viel häufiger auf, werden unter normalen Umständen aber nicht als Krankheit betrachtet.

Wer leidet ist krank

„Es gibt keine Richtwerte, ab wann Alpträume behandelt werden sollten, entscheidend ist, wie hoch der Leidensdruck des Patienten ist“, erklärt Dr. Christine Norra. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie am LWL Klinikum Bochum behandelt Menschen, die im Rahmen einer psychischen Erkrankung Alpträume haben. Das ist vor allem bei einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), also nach einem schweren Unfall oder einem anderen schlimmen Erlebnis der Fall. Aber auch bei Depressionen und Angsterkrankungen kann es zu Alpträumen kommen. „Wir raten den Patienten erst einmal zu einer besseren Schlafhygiene, das heißt kein Alkohol am Abend, kein schweres Essen und dafür regelmäßige Schlafzeiten“, so Norra. Außerdem gäbe es Medikamente, die die Phase in der wir am häufigsten Träumen – den REM–Schlaf- unterdrücken. Setze man die Medikamente ab, könne es zum sogenannten REM-rebound-Effekt kommen, bei dem vermehrt Alpträume auftreten, erklärt die Psychiaterin. Ein REM-Traum ist zwischen 30 und 90 Minuten lang, die erlebte Traumzeit kann allerdings deutlich länger sein.

Regisseur im eigenen Traum

foto: pixelio/ rb by jmg

Auch freudige Ereignisse können Alpträume auslösen. Foto: pixelio.de/ rb by jmg

Neben der medikamentösen Therapie haben Dr. Johanna Thünker und  Prof. Dr. Reinhard Pietrowsky  vom Institut für Experimentelle Psychologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf einen weiteren Ansatz entwickelt. Ihre Alptraumtherapie geht auf ein amerikanisches Vorbild zurück und richtet sich sowohl an Menschen mit einer psychischen Erkrankung, als auch an gesunde Menschen. „Für psychisch gesunde Menschen mit Alpträumen haben wir keinen richtigen Begriff, wir nennen sie einfach häufige Träumer“, sagt Johanna Thünker. Ihre Alptraumtherapie besteht aus acht ambulanten Therapiesitzungen. „Die Patienten lernen bei uns nicht mehr Darsteller, sondern Regisseur in ihrem eigenen Alptraumfilm zu sein“, erklärt die Diplompsychologin. Bei der Therapie lernen die Patienten eine Entstpannungstechnik, dann folgen Imaginationsübungen. „Wir unternehmen Phantasiereisen, um auszuloten mit welchen Sinnen sie in ihrer Vorstellung arbeiten. Das ist bei jedem anders: viele sehen und hören, andere riechen oder tasten aber auch mehr“, so Thünker.

Der Vorstellung sind keine Grenzen gesetzt

Anschließend sucht sich der Patient einen besonders schlimmen Alptraum heraus und versucht diesen in seinen Gedanken zu verändern. „Wir schreiben sozusagen ein neues Traumskript. Dazu suchen wir uns die Elemente des Traums heraus, die ihn zum Alptraum machen und überlegen, wie wir diese verändern könnten“, erklärt Thünker weiter. Bei diesem Teil der Arbeit sei es besonders wichtig, dass der Patient verstehe, dass der Phantasie keine Grenzen gesetzt seien, sagt sie. „Oft ist es in den Träumen sehr dunkel, natürlich könnten wir uns einfach einen Lichtschalter vorstellen, um die Dunkelheit zu vertreiben.“ Aber manchmal passe das gar nicht zum Traum. „Vielleicht braucht man viel eher eine Fackel, weil man in einer Höhle ist.“

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Ein viertel der Patienten werden im Traum selbst zum Täter. Foto: pixelio.de/ oliver-haja

Träume –  Spiegel der Seele?

Zur Alptraumtherapie kommen deutlich mehr Frauen als Männer. „Wir glauben, bei Frauen ist die Bereitschaft sich den Träumen zu stellen größer, bei Männern liegt außerdem die Schamgrenze höher“, berichtet die Psychologin.  Die Themen der Alpträume sind laut Thünker häufig die gleichen: „Meist geht es um Bedrohung des eigenen Lebens, Versagensängste oder zwischenmenschliche Konflikte. Oft würden solche Träume in Phasen psychischen Stresses auftreten. Aber auch freudige Ereignisse wie eine Hochzeit oder Schwangerschaft können zu Alpträumen führen, erklärt Johanna Thünker. „Einige unserer Patienten träumen aber auch davon, selbst zum Täter zu werden.“ Gerade für solche Leute sei es wichtig, zu verstehen, dass Alpträume nicht zwangsläufig unsere geheimen Wünsche und Träume abbildenten. „Die Psychoanalytiker nach Freud glauben wir Träumen unsere inneren Triebe, Biopsychologen meinen unsere Träume hätten überhaupt keine Bedeutung –  die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen“, sagt Thünker.

Die Behandlung hilft – nicht nur gegen Träume

Foto: flickr/ 18c5d19c7f

Alpträume vom freien Fall kommen meist kurz vor dem Aufwachen vor. Foto: flickr.de/ 18c5d19c7f

Wichtig ist, dass die Patienten auch zuhause immer weiter üben. Sie müssen sich das neue Traumskript immer wieder mit möglichst vielen Details vorstellen, um es zu verinnerlichen. Johanna Thünker erklärt: „Nur wenige der Patienten träumen die neue Version des Traums wirklich, oft werden die Alpträume einfach langsam weniger intensiv oder der Patient wacht nicht mehr so häufig davon auf.“ Die Therapie zeigte also die gewünschte Wirkung. Sowohl die Diplompsychologin, als auch die Psychiaterin berichten von einem weiteren positiven Effekt. „Werden Alpträume richtig behandelt, kann das den Therapieerfolg für psychische Erkrankungen erhöhen. Die Patienten sind ausgeruhter, wacher und können sich besser auf ihre weitere Therapie konzentrieren“, sagt Norra. Johanna Thünker hat eine andere Hypothese zu dem Phänomen: „Unsere Alptraumtherapie gibt den Menschen ein Stück Selbstkontrolle zurück. Oft fühlen sie sich gegen ihre Erkrankung machtlos, wenn sie selbst etwas gegen die Alpträume tun können, gibt ihnen das neuen Mut.“ Werden Alpträume dagegen nicht richtig therapiert kann sich daraus eine Angststörung entwickeln. „Es ist in beide Richtungen vorstellbar: zum einen dass eine Angsterkrankung Alpträume macht, aber auch dass Alpträume zur Angst vor dem Einschlafen führen, die krankhaft werden kann“, erklärt Norra.