Kommentar: Ein Plädoyer fürs Wählengehen

„Gehe ich wählen oder nicht?“ „Wem soll ich denn meine Stimme geben?“ „Finde ich Merkel nicht viel sympathischer als Steinbrück? Aber eigentlich will ich doch diesen Rösler nicht weiter an der Regierung.“ Diese Fragen stellt sich wohl gerade eine Mehrheit der Wahlberechtigten. Bei der vergangenen Bundestagswahl 2009 waren das immerhin rund 62 Millionen Deutsche. Davon warfen damals nur knappe 70 Prozent ihre Stimme in die Wahlurnen. „Das ist scheiße!“, findet unser Autor Timm Giesbers und plädiert hier für das Wählengehen am 22. September.

Die Wahl ist nur noch eine Woche hin und ich rede mir in den letzten Tagen ständig den Mund fusselig. Meine Eltern, mein Bruder, meine Freunde – alle erzählen sie mir, dass sie eigentlich gar nicht wählen gehen wollen. Und sie versuchen, sich mit den besten Ausreden zu entschuldigen: „Ich bin viel zu uninformiert, um eine vernünftige Antwort zu treffen.“ und „Ich finde keine Partei gut, die wollen alle das gleiche“. Und ich stehe fassungslos da.

Der Kampf um die Demokratie war blutig

Wählen ist eine Bürgerpflicht. Ich selbst trage Verantwortung für Deutschlands zukünftige Entwicklung. Diejenigen, die leichtfertig ihr Recht auf eine Wahl nicht wahrnehmen, sollten sich mal vor Augen führen, was dies bedeutet. Im Kampf gegen den Faschismus haben in Deutschland Menschen ab 1933 ihr Leben geopfert. Sie sind erschossen, vergast, ermordet worden, weil sie Deutschland die Freiheit und Demokratie wiederbringen wollten. Heute, 80 Jahre nach Hitlers Machtergreifung, ist die Politikverdrossenheit wieder auf einem besorgniserregend hohen Niveau. Noch viel schlimmer: Gleichgültigkeit der Politik gegenüber ist salonfähig.

Es ist einfach, den Parteien und Politikern dafür die Schuld zu geben. Ich sehe die Verantwortung aber auch beim Wähler. Bundespräsident Joachim Gauck hat vor kurzem sehr richtig gesagt, es komme auch darauf an, sich selbst zu informieren, selbst tätig zu werden. Genau daran hapert es doch eigentlich: Zu vielen Menschen ist Politik im Großen und Ganzen egal.

Das Reichtstagsgebäude im Herzen Berlins ist heute Symbol der deutschen Demokratie. Der verheerende Brand in der Nacht vom 27. zum 28. Februar 1933 markierte das Ende der Weimarer Republik und gilt bis heute als Schicksalstag. Foto: flickr.com/SwindonG, Teaserbild: flickr.com/franziskript

Das Reichtstagsgebäude im Herzen Berlins ist heute Symbol der deutschen Demokratie. Der verheerende Brand in der Nacht vom 27. zum 28. Februar 1933 markierte das Ende der Weimarer Republik und gilt bis heute als Schicksalstag. Foto: flickr.com/SwindonG, Teaserbild: flickr.com/franziskript

Man muss aus dem Tiefschlaf aufwachen

Wähler sein ist im Grunde genommen ein 24-Stunden-Job. Es reicht nicht, sich eine Woche vor der Wahl die Frage zu stellen, wer denn nun die nächsten vier Jahre regiert, während man selbst wieder in politischen Tiefschlaf verfällt. Es ist für mich keine Ausrede, sich nicht ausreichend auszukennen. „Dann informier dich doch endlich!“, möchte ich euch zurufen.

Ich bin mir ja darüber im Klaren, dass Politik viele Menschen nicht erreicht. Sie interessieren sich halt nicht für Steuerpläne der Grünen oder ob es richtig ist, dass finanzstarke Länder finanzschwache unterstützen. Das mag man schade finden, aber hinnehmen muss man es. Trotzdessen ist es jetzt wichtig, dass auch diese Leute ihre Chance zur Wahl wahrnehmen. Schon alleine, damit sie es sich nicht ständig in der immer gleichen Rhetorik à la „die da oben“ heimisch machen. Wer nicht wählen geht, hat nichts anderes verdient, als dass er sich während der gesamten Legislaturperiode über Politik ärgert. Er hat seine Stimme schließlich nicht genutzt.

Hilfestellungen gibt es zuhauf

Wir haben nur alle vier Jahre die Möglichkeit, direkten Einfluss auf die Bundespolitik zu nehmen. Diese Chance muss man nur nutzen. Schlechtes Wetter ist nun wirklich kein Grund, an diesem Sonntag nicht zum Wahlbüro zu laufen. Verständlicher finde ich dann schon, Schwierigkeiten zu haben, die Parteien zu unterscheiden. Die CDU ist unter Bundeskanzlerin Angela Merkel immer stärker nach links gerutscht, nimmt dem rot-grünen Lager seit längerem deren Ideen weg.

Wo ist nun eigentlich die Mitte, fragt sich der Wähler. Für solche Probleme gibt es aber Entscheidungshilfen, wie den Wahl-O-Mat. Dieses interaktive Instrument hat sich in den vergangenen Jahren immer stärker etabliert. Man kann seine eigene politische Meinung mit denen der Parteien abgleichen. Im Prinzip präsentiert der Wahl-O-Mat, wenn man die Fragen gründlich fundiert ankreuzt und dann den eigenen Fokus durch kluge Gewichtung herausarbeitet, die Partei, der man bei der Wahl die Stimme geben sollte. So einfach, eigentlich.

Den eigenen Standpunkt klären

Meine Freunde haben mir gesagt, sie finden bei jeder Partei irgendetwas, das sie total ablehnen. In Ordnung. Aber kann das als Grund herhalten, gar nicht wählen zu gehen? Ich schlage vor, dass man anders an seine Wahlentscheidung herantritt. Anstatt nach Zielen einer Partei zu suchen, die sie unwählbar machen, sollte man lieber seinen eigenen Standpunkt definieren. Bin ich für die Homo-Ehe? Will ich, dass Deutschland unabhängig vom Atomstrom wird? Sollen wir Griechenland weiter mit Milliardenbürgschaften aus der Krise helfen?

Wenn ich also meine politische Überzeugung kenne, dann kann ich mich auf die Suche machen, nach der Partei, die sich in den mir wichtigen Feldern mit meiner Meinung deckt. Wenn ich nur will, dass man einen Mindestlohn einführt, weil ich davon betroffen bin – gut, dann los, geh ich die Partei wählen, die dafür eintritt. Eine positive Herangehensweise erleichtert einem nicht nur die Entscheidung, sondern erspart einem auch den Frust, keine Partei zu finden, deren Ziele man unterstützen möchte.

Demokratie ist ein kostbares Geschenk

Ich finde es scheiße, dass sich ein größer werdender Teil der Bevölkerung eigenhändig aus der Demokratie ausschließt. Ich finde es scheiße, dass es niemanden mehr interessiert, wer unser Land für die nächsten vier Jahre prägen wird. Und ich finde es scheiße, dass Wählengehen als eine langweilige Pflichtübung angesehen wird. Wählen ist ein Geschenk. Für so eine freie, friedliche Regierungsform hat die Menschheit Jahrtausende gebraucht.

Demokratie gleicht in ihrer Instabilität einer Seifenblase. Diese Erfahrung haben nicht nur die Deutschen im vergangenen Jahrhundert machen müssen. Wenn uns jetzt egal wird, was solange Wunschtraum war, wie können wir dann erwarten, dass uns unsere Demokratie noch in den nächsten hundert Jahren erhalten bleibt?

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