Buchtipp: „Den Musil spreng ich in die Luft“

Ein musikalischer Autor gönnt sich ein Saufgelage mit Goethe und ein Gestapobeamter bringt eine alte Jüdin im September 1944 auf seinem Fahrrad zur Deportation. In sechs kreativen und außergewöhnlichen Kurzgeschichten schreitet Autor Dieter Kühn durch die letzten beiden Jahrhunderte. Begegnungen mit alten Bekannten sind dabei vorprogrammiert.

„Den Musil spreng ich in die Luft!“, soll Lawrence von Arabien gesagt haben. Mit Musil meint er aber nicht den berühmten Schriftsteller Robert, sondern den österreichischen „Scheich Musa“ Alois Musil, der ein Vetter Robert Musils ist. Mit diesem leistet sich der Brite Lawrence eine kriegerische Fehde im Orient. Das Zitat des Briten ist auch gleichzeitig der Titel dieses Romans.

Für seine früheren Bücher erhielt Kühn einige Preise. Unter anderem im Jahr 1977, als er mit dem renommierten Hermann-Hesse-Preis ausgezeichnet wurde. Foto:S.Fischer Verlag.

Für seine früheren Bücher erhielt Kühn einige Preise. Unter anderem im Jahr 1977, als er mit dem renommierten Hermann-Hesse-Preis ausgezeichnet wurde. Foto:S.Fischer Verlag.

Ein Tête-à-tête mit der Geschichte

So wie in der vorher beschriebenen Kurzgeschichte, läuft es in den insgesamt sechs Geschichten des neuen Romans von Dieter Kühn ab: Der Leser trifft auf der Reise durch das 19. und 20. Jahrhundert auf viele historische Personen, wie den Propagandaminister des Dritten Reichs Hermann Göring. Die Geschichten werden dabei aus überraschenden Perspektiven erzählt ─ mal als Filmskript oder als Verteidigungsschreiben, wie die Geschichte über den belgischen Kunstfälscher Norbert Verdonck.

Verdonck wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von der belgischen Justiz der Kollaboration mit dem Feind beschuldigt. In seinem Verteidigungsschreiben erzählt dieser nun seine außergewöhnliche Geschichte beim Widerstand gegen die Nazis: Durch Umwege kommt er in Kontakt mit Albert Göring, dem Bruder Hermann Görings. Zusammen schmieden sie einen unglaublichen Plan, der den Krieg beenden soll. Durch geschickte Kunstfälschungen sollen die deutschen Devisenbestände angezapft werden. Ein irrwitziges Unterfangen.

Alles nur gefälscht?

Der Verfasser Kühn entwirft in diesem Buch phantasievolle und originelle Geschichten, die aufgrund ihrer historischen Figuren einen gewissen Wahrheitsanspruch besitzen. So wird der Leser häufig durch Figuren wie Marineoffizier Robert Fitz Roy überrascht, der im 19. Jahrhundert mit Naturforscher Charles Darwin reiste. Dem gemeinen Publikum sind diese Figuren unbekannt, aber historisch verankert sind sie alle. Insofern kann man den Untertitel des Buches „Gefälschte Geschichten?“ mit einem „Jein“ beantworten.

Dieter Kühn, 1935 in Köln geboren, ist ein Tausendsassa. Neben Romanen veröffentlicht er unter anderem Gedichte, Essays und Hörspiele. Zudem übersetzt er mittelhochdeutsche Klassiker. Foto:Jürgen Bauer.

Dieter Kühn, 1935 in Köln geboren, ist ein Tausendsassa. Neben Romanen veröffentlicht er unter anderem Gedichte, Essays und Hörspiele. Zudem übersetzt er mittelhochdeutsche Klassiker. Foto: Jürgen Bauer.

„Den Musil spreng ich in die Luft“: Eindeutig der kreativste Buchtitel dieses Herbstes; und lesenswert allemal. Denn trotz einiger sich hinziehender und öder Passagen im ersten Teil des Romans, überrascht vor allem der zweite Teil des Buches durch ideenreiche und dynamische Kurzgeschichten. Bei der historischen Wahrheit darf dann ruhig mal geschludert werden.

Der Kreis schließt sich

Die letzten Geschichten des Romans bilden schließlich den roten Faden. So verweisen die Figuren aus den letzten Geschichten, auf Helden zu Beginn des Romans. Für den Leser schließt sich damit der Kreis und es bleibt genug Raum, um über die Frage „Gefälschte Geschichten?“ nachzudenken. Eins darf an dieser Stelle jedoch verraten werden: Den Musil hat man nicht in die Luft gesprengt!

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