„Der Ramadan soll keine Qual sein“

Vor 17 Jahren konvertierte der Dortmunder Christian Bockemühl zum Islam. Nun heißt er Raschid. Gemeinsam mit seiner Frau, der Marokkanerin Maryam Benammi, feiert er im Moment den Ramadan – ein ganz besonderer Monat für die Muslime.

Als er zum Islam konvertierte, änderte Christian Bockemühl seinen Vornamen. Nun heißt er Raschid. Foto: Beyß

Als er zum Islam konvertierte, änderte Christian Bockemühl seinen Vornamen. Nun heißt er Raschid. Foto: Beyß

Schon eine Woche hat er jetzt hinter sich. Ein wenig geschwächt sei er schon, aber nach den ersten zwei bis drei Tagen habe sich der Körper umgestellt. Dann spiele das Hunger- und Durstgefühl nicht mehr so eine große Rolle. Und am Ende sei man fast ein wenig traurig, dass es vorbei ist. Raschid Bockemühl fastet. Der Dortmunder ist seit 1993 Muslim und feiert in diesem Jahr zum 17. Mal den Ramadan. „Es ist eine schöne Erfahrung, wann man das mal gemacht hat“, erzählt er. „Das habe ich direkt beim ersten Mal festgestellt.“

Am 11. August begann der Fastenmonat in diesem Jahr. 30 Tage lang dürfen die Muslime zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang nichts zu sich nehmen. Sie essen nicht, sie trinken nicht und verzichten auf Genüsse wie zum Beispiel Zigaretten und Geschlechtsverkehr. „Die Frauen verwenden auch kein Make-Up oder Parfum“, fügt Raschids Frau Maryam hinzu. Im Moment heißt das für das Ehepaar, ganze 17 Stunden ohne eine Mahlzeit oder ein Getränk auszukommen. „Die Sommertage sind natürlich etwas härter“, gibt Raschid zu. „Im Winter sind es oft nur 10 Stunden.“ Am Abend findet oft in geselliger Runde der „Iftar“ (das Fastenbrechen) statt.

„Man lernt zu verzichten“

Der Ramadan bezeichnet eigentlich einen Monat im islamischen Mondkalender. Er dauert genau 30 Tage. Weil der islamische Kalender aber 11 Tage weniger hat als unser gregorianischer Kalender, verschiebt sich der Ramadan für Muslime in Deutschland jedes Jahr ein wenig. Aus diesem Grund fällt er mitunter auch in unterschiedliche Jahreszeiten.

Der Fastenmonat verbindet für die Muslime gleich drei wichtige Aspekte. Zuallererst spielt natürlich die asketische Lebensweise eine Rolle. „Man lernt, zu verzichten und seine körperlichen Begierden zurückzustellen“, sagt Raschid. Darüber hinaus erinnert der Ramadan an die Offenbarung des Korans, die sich über 23 Jahre erstreckt hat. Die erste Offenbarung an den Propheten Mohammed fand im Monat Ramadan statt. „Der Ramadan ist also auch eine Art Gedenkmonat“, erklärt der Konvertit. „Die Muslime sollen in diesem Monat besonders fromm sein und sich anstrengen, ein vernünftiges Leben zu führen.“ Das bedeutet zum Beispiel, nett zu seinen Mitmenschen zu sein oder regelmäßig in die Moschee zu gehen.

Gleichzeitig beinhaltet der Ramadan auch einen sozialen Aspekt. „Wenn man so hungert und durstet von morgens bis abends, dann lenkt das die Gedanken fast automatisch auf die Menschen, die immer hungern und dursten“, berichtet Raschid aus eigener Erfahrung. Das erhöhe die Bereitschaft, sich zu engagieren, sei es finanziell oder auf andere Weise. „Das Spendenaufkommen bei den Muslimen ist in keinem Monat so hoch wie im Fastenmonat Ramadan.“

„Es kommt keine Religionspolizei, die das kontrolliert“

Der Ramadan gehört neben dem täglichen Gebet, dem Glaubensbekenntnis, der Sozialabgabe und einer Pilgerfahrt nach Mekka zu den fünf Säulen des Islam – und ist somit eigentlich verpflichtend für jeden Muslim. Allerdings gibt es Ausnahmen: So müssen Kinder vor der Pubertät grundsätzlich nicht fasten. Auch Kranke, die körperlich nicht in der Lage sind, den Ramadan zu feiern, sind ausgenommen. Allerdings sollen Menschen, die nicht chronisch oder unheilbar krank sind, die 30 Tage wenn möglich nachholen. Genauso wie Frauen, die während der Schwangerschaft, nach der Geburt und während der Menstruation nicht fasten müssen. Aufgrund der schwierigen Bedingungen in früheren Zeiten sind laut des Korans auch Reisende von der Pflicht entbunden.

„Im Grunde liegt es aber bei jedem Einzelnen, ob er den Ramadan feiert oder nicht“, sagt Raschid. „Es kommt keine Religionspolizei, die das kontrolliert.“ Der Islam spreche den Menschen eine individuelle Schuldverantwortung zu. Das bedeutet, am Ende seines Lebens muss sich jeder selbst vor Allah rechtfertigen und erklären, warum er in seinem Leben wie gehandelt hat. Besonders beim Ramadan solle man also seine Grenzen kennen, so Ehefrau Maryam Benammi.

„Das kann man durchhalten!“

Für Muslimen in europäischen Ländern gibt es inzwischen Ausnahmeregelungen, die auf spezielle Rechtsgutachten zurückgehen. „Es ist Menschen in ganz bestimmten Berufen, die wirklich sehr anstrengend sind, erlaubt, nicht zu fasten“, weiß Raschid. „Schließlich soll vermieden werden, dass das Praktizieren des Ramadans zu einer Qual oder einer Strafe wird.“ Zwar gibt Raschid zu, dass es zum Beispiel für Arbeitnehmer oder Schüler schwierig ist, den Ramadan in den Alltag zu integrieren. Aber der Dortmunder ist trotzdem sicher: „Das kann und muss man durchhalten – mit ein wenig Selbstdisziplin!“.

Raschid Bockemühl selbst war früher aktiver evangelischer Christ. Er begann sogar ein Theologiestudium – damals hieß er noch Christian. „Es ist üblich, beim Eintritt in den Islam auch einen muslimischen Vornamen anzunehmen.“ Aus persönlichen Gründen brach er das Studium ab und entfernte sich auch von der Kirche. Doch das betraf nur die Institution, nicht den Glauben. „Man ist offenbar nie ganz ohne etwas, man sucht immer ein bisschen.“ Bei ihm endete diese Suche beim Islam. Auf zahlreichen Reisen sammelte er persönliche Eindrücke und Erfahrungen. Zu Hause bildete er sich weiter und wurde so „autodidaktisch zu einem kleinen Islamwissenschaftler“. In seinem Arbeitszimmer stehen mehrere hundert Bücher – unter anderen verschiedene Ausgaben des Korans. „Der Koran hat mich sehr beeindruckt“, so Raschid. „Er ist für mich überzeugender als die Bibel.“ Heute gehört Raschid Bockemühl zu schätzungsweise 50.000 bis 60.000 Konvertiten in Deutschland.

Junge Muslime sind oft religiöser als ihre Eltern

Seit er zum Islam übergetreten ist, hat er jedes Jahr gefastet. Das ist nicht bei allen Muslimen üblich. Raschid erklärt: „Die erste Generation der Muslime in Deutschland, die in den 60er Jahren hierherkamen, waren noch relativ streng.“ In der zweiten Generation hingegen sei das Praktizieren des Ramadans sehr unterschiedlich ausgeprägt. Viele seien von der westlichen Lebensweise angesteckt worden und kümmerten sich heute nicht mehr so ums Religiöse – also auch nicht um den Ramadan. Bei den jungen Muslimen hingehen beobachtet Raschid Bockemühl wieder einen stärkeren Bezug zur Religiosität. „Die jungen Muslime fühlen sich in Europa immer noch nicht richtig angekommen und willkommen. Deswegen wenden sie sich wieder stärker dem Islam zu.“

Für Raschid ist der Ramadan eine gute Möglichkeit, die Integration von Muslimen voranzutreiben. „Die Muslime können den Nicht-Muslimen vorführen, was den Islam ausmacht und was der Ramadan bedeutet.“ Viele Menschen hielten den Islam für gewalttätig und militant, der Fastenmonat hingegen sei genau das Gegenteil. „Der Ramadan ist eine gute Öffentlichkeitsmaßnahme, zumal er ganze 30 Tage dauert.“

Noch drei Wochen haben Raschid Bockemühle, Maryam Benammi und alle anderen Muslime vor sich. Bis zum 8. September müssen sie sich in Verzicht üben und tagsüber auf jegliche Genüsse verzichten. Danach feiern sie gemeinsam das dreitägige „Zuckerfest“.

Der Koran hat Raschid Bockemühl tief beeindruckt. Foto: Regine Beyß

Der Koran hat Raschid Bockemühl tief beeindruckt. Foto: Regine Beyß