Streit im Studentenwerk

Zwischen belegten Brötchen und BAföG-Anträgen schwelte im Studentenwerk Dortmund seit Jahren ein Streit, von dem wohl kaum ein Student oder Uni-Mitarbeiter etwas ahnte. Mobbing, Personalmangel und Vetternwirtschaft sind die Vorwürfe. In der Kritik steht dabei vor allem einer: Ex-Geschäftsführer Rainer Niebur.

Im Fokus der Vorwürfe: Rainer Niebur ist seit dem 31. Dezember 2010 nicht mehr Geschäftsführer des Studentenwerks. Foto: Archiv

Im Fokus der Vorwürfe: Rainer Niebur. Er ist seit dem 31. Dezember 2010 als Geschäftsführer des Dortmunder Studentenwerks freigestellt. Foto: Archiv

Er ist gegangen. Und das mit vollen Bezügen bis zum Rentenalter. Rainer Niebur war genau 15 Jahre und sieben Monate lang der Geschäftsführer des Studentenwerks Dortmund. Zwei Jahre vor seiner Pensionierung wurde er zum 31. Dezember 2010 vorzeitig freigestellt. Vorläufig übernimmt nun Günther Remmel, Geschäftsführer des Studentenwerks Bielefeld, Nieburs Posten – solange, bis ein Nachfolger gefunden ist. Der Grund für diesen zügigen Wechsel ist ein seit Jahren schwelender Konflikt zwischen Niebur und dem Personalrat, der die Mitarbeiter im Studentenwerk vertritt. Ein Konflikt, zu dessen Hintergründen weder Niebur noch einer der übrigen Beteiligten Stellung nehmen wollte.

Dabei gibt es bei dem Konflikt weit mehr zu wissen, als bisher veröffentlicht wurde. Den Ruhr Nachrichten zufolge sehen die Vorgänge im Dortmunder Studentenwerk so aus: Nachdem der Streit mit dem Personalrat Ende 2010 eskalierte und das Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung als Aufsichtsbehörde des Studentenwerks eingeschaltet wurde, einigte sich Niebur mit dem Verwaltungsrat im Einvernehmen auf seine vorzeitige Freistellung. In einem Schreiben des Verwaltungsratsvorsitzenden Wolfgang Schäfer, der gemeinsam mit Niebur seinen Posten aufgab, heißt es wenig später: „Herr Niebur kann stolz sein auf seine Leistungen. Er beendet seine Tätigkeiten ehrenhaft und ohne Makel.“ Genau daran gibt es inzwischen begründete Zweifel.

Tochterunternehmen im Sonnendeck

Hauptstreitpunkt zwischen Niebur und dem Personalrat war die D+S – Services, Events, Marketing GmbH. Seit 2005 leitete Niebur auch dieses Tochterunternehmen, das mit einem Startkapital von 100 000 Euro gegründet wurde. Eigentlich sollte die D+S keine Geschäfte übernehmen, die „dem Kernbereich des Studentenwerks zuzuordnen sind“. Trotzdem stellt sie inzwischen das Personal für das Sonnendeck, einem Gastronomiebetrieb auf dem Dortmunder Nord-Campus, Personal, das auch vom Studentenwerk kommen könnte. Das wäre allerdings teurer. Denn der Lohn der D+S Mitarbeiter orientiert sich am Tarif der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Die Mitarbeiter des Studentenwerks hingegen werden als Angestellte des öffentlichen Dienstes bezahlt. Das ist ein erheblicher Unterschied: So bekommt beispielsweise ein ausgebildeter Koch im Studentenwerk ein Einstiegsgehalt von rund 2200 Euro, nach NGG-Tarif nur rund 1600 Euro im Monat.

Seit einigen Jahren ist das der Haupteinsatzort der D+S GmbH: das Sonnendeck auf dem Dortmunder Campus. Foto: Regine Beyß

Seit einigen Jahren ist das der Haupteinsatzort der D+S GmbH: das Sonnendeck auf dem Dortmunder Campus. Foto: Regine Beyß

Die Bezahlung ist nicht das einzige Problem. Die Mitarbeiter der D+S hatten große Schwierigkeiten, einen Betriebsrat zu gründen. Vier Jahre lang mussten sie kämpfen, damit überhaupt Wahlen stattfanden. Der Dortmunder NGG-Sekretär Manfred Sträter unterstützte die Mitarbeiter dabei. Die Gewerkschaft schickte zwei Kandidaten ins Rennen, von denen es einer 2008 ins Gremium schaffte. Im Gegensatz zu seinen Kollegen konnte er seinen Posten allerdings nie antreten, denn kurz vor den Wahlen erhielt er gleich vier Kündigungen. Vorgeworfen wurden ihm unter anderem Betrug und Diebstahl. Der Mitarbeiter klagte gegen die Kündigungen. Das Ergebnis war ein Vergleich. Er verließ die D+S. „Dennoch wollte Niebur die Betriebsratswahlen nicht akzeptieren und focht sie an“, erklärt Manfred Sträter. „Meiner Meinung nach wollte er den Betriebsrat auflösen.“

Inzwischen existiert zwar ein Betriebsrat, doch dieser wünscht keinerlei weitere Unterstützung durch die NGG. Und auch gegenüber der pflichtlektüre war man zu keiner Stellungnahme bereit. Dabei lassen die Arbeitsbedingungen in der D+S laut ehemaligen Mitarbeitern zu wünschen übrig. Die Angestellten erfahren oft erst am selben Tag, ob und wann sie arbeiten müssen. Ihre Arbeitszeiten gehen teilweise weit über die Tarifvereinbarung hinaus.

Kein neuer Stellvertreter

Bernd Colditz kennt die Arbeitsatmosphäre im Studentenwerk aus eigener Erfahrung. Er war bis zum Jahr 2000 Nieburs Stellvertreter. Nach Colditz Weggang wurde die Stelle des Stellvertreters nicht mehr neu besetzt. Dabei hat dieser eine Kontrollfunktion gegenüber dem Geschäftsführer. Colditz‘ Frau war lange Zeit Leiterin der Personalabteilung. Zudem hat Colditz bis heute noch Kontakt zu vielen Angestellten. Er beschreibt die Atmosphäre im Studentenwerk als „unerträglich“. Die Mitarbeiter seien teilweise extrem gemobbt worden. „Es wurden Dinge verlangt, die so nicht umzusetzen waren. Es wurde hoher Druck ausgeübt“, sagt Colditz. Die Mitarbeiter seien völlig verängstigt. „Niebur war sehr schnell aufbrausend, man konnte mit ihm nicht diskutieren, denn er hatte vorgefertigte Meinungen“, sagt Colditz. „Außerdem hatte er Schwierigkeiten mit unserer Arbeitseinstellung: Wir haben uns mehr oder weniger als Angestellte der Studierenden gesehen.“ Der Personalrat des Studentenwerks räumte auf Anfrage zwar Konflikte mit dem Geschäftsführer ein, berief sich bei den Details aber auf seine Schweigepflicht.

Hat bis heute noch Kontakt zu Mitarbeitern des Studentenwerks: Bernd Colditz. Foto: Regine Beyß

Hat bis heute noch Kontakt zu Mitarbeitern des Studentenwerks: Der ehemalige stellvertretende Geschäftsführer Bernd Colditz. Foto: Regine Beyß

Nicht nur die Arbeitsbedingungen im Studentenwerk und der D+S waren dem Personalrat nach Recherchen der Redaktion ein Dorn im Auge, sondern auch das gesamte Konstrukt der GmbH. Denn es ist offen, ob die Gewinne der D+S tatsächlich an das Studentenwerk zurückgeführt wurden. Die Bilanzen der D+S sind zwar öffentlich einsehbar, doch diese sind nicht so ausführlich wie ein Wirtschaftsplan. In diesen verlangte der Personalrat mehrfach Einblick. Das lehnte Niebur ab, denn „ein Rechtsanspruch des Personalrats auf den Wirtschaftsplan eines anderen Unternehmens ist nicht gegeben.“ Das ist zwar juristisch korrekt, hätte aber mit der Gründung eines Betriebes gewerblicher Art (BgA) schon im Vorfeld vermieden werden können. Ein BgA wäre kein eigenständiges Unternehmen, sondern Teil des Studentenwerks. Wahrscheinlich wollte man aber genau das nicht. Der Verwaltungsratsvorsitzende Wolfgang Schäfer sagte dazu: „Die Wirtschaftspläne werden jährlich vom Wirtschaftsprüfer geprüft. Die Jahresabschlüsse haben immer das uneingeschränkte Testat des Wirtschaftsprüfers erhalten.“

Persönliche Nähe der leitenden Angestellten

Weiterer Kritikpunkt war die personelle Besetzung der D+S. Der damalige Betriebsleiter im Sonnendeck war der Sohn von Nieburs persönlicher Assistentin. In zahlreichen Schreiben, die der Redaktion vorliegen, machte der Personalrat den Geschäftsführer und den Verwaltungsrat darauf aufmerksam, dass der Betriebsleiter mehrfach alkoholisiert zum Dienst erschienen sei. Bereits 2006 bat der Personalrat den Geschäftsführer, an dieser Situation etwas zu ändern. Es fanden Mediationsgespräche statt, Vereinbarungen wurden getroffen – ohne Erfolg. Auch nach weiteren Vorkommnissen durfte der Betriebsleiter bleiben. Also kontaktierte der Personalrat vor einem Jahr die zuständige Aufsichtsbehörde, das NRW-Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung. In NRW hat das Ministerium das Recht und die Pflicht, den Geschäftsführer von Studentenwerken ein- und abzusetzen.

Das erste Schreiben erreichte das Ministerium im Dezember 2009. Der Personalrat äußerte hier zum ersten Mal den Verdacht der Vetternwirtschaft. Doch das Ministerium sah keinen Handlungsbedarf – Nieburs Ausführungen genügten wohl, um den Verdacht aus der Welt zu räumen. An der Situation änderte sich jedenfalls nichts. Zwei weitere Schreiben des Personalrats im Mai und im Juli 2010 waren nötig, bis die Aufsichtsbehörde wieder das Gespräch mit Niebur suchte. Das Ministerium nimmt gegenüber der pflichtlektüre-Redaktion zu den Vorgängen keinerlei Stellung.

Katastrophale personelle Situation

Rund 360 Mitarbeiter beschäftigt das Studentenwerk Dortmund. Foto: Regine Beyß

Rund 360 Mitarbeiter beschäftigt das Studentenwerk Dortmund. Foto: Regine Beyß

Dabei ging es im letzten Schreiben des Personalrats längst nicht mehr nur um die D+S und die Betriebsleitung des Sonnendecks. Der Personalrat warf Niebur unter anderem vor, jahrelang nichts gegen die katastrophale personelle Situation im Studentenwerk getan zu haben. Das gravierendste Beispiel: die Abteilung Ausbildungsförderung. Hier führte der ständige Personalmangel nach einem Bericht aus 2007 dazu, dass die Bearbeitung von BAföG-Bescheiden bis zu drei Monaten dauerte. Zudem machte der Personalrat darauf aufmerksam, dass Niebur nicht ausreichend mit dem Personalrat kommuniziere. Seit 2003 durften die Vorsitzenden des Personalrats die Räume der Geschäftsführung nicht mehr betreten. Mit einem Schreiben vom Dezember 2008 wollte der Personalrat belegen, dass Niebur einen Abteilungsleiter bedroht habe, weil er im Verwaltungsrat den Verdacht geäußert habe, der Wirtschaftsplan des Studentenwerkes sei nicht korrekt.

„Diese Schilderung ist nur ein Bruchteil dessen, von dem, was uns bekannt ist“, heißt es im Schreiben des Personalrats an das Ministerium vom 30. Juli 2010, das der Redaktion vorliegt. „Wir fragen uns, wie viel wir noch schildern müssen, damit Sie als Ministerium endlich reagieren.“ Der Personalrat berief sich dabei auch auf eine Mitarbeiterin des Ministeriums. Sie soll diesem gegenüber mündlich mitgeteilt haben, dass vier Geschäftsführer von Studentenwerken in NRW bereits wegen Fehlverhaltens hätten gehen müssen; einen fünften Abgang könne man sich nicht erlauben. Auch dazu wollte das Ministerium keine Stellungnahme abgeben.

Kündigung des Personalratsvorsitzenden

Die Schreiben an das Ministerium hatten zunächst nur Folgen für den Personalrat. Rainer Niebur wollte dessen Vorsitzenden, Peter Eberhardt, kündigen, weil dieser Geschäftsgeheimnisse verraten haben soll, sowie sich der üblen Nachrede und Verleumdung schuldig gemacht habe. Dafür zog Niebur sogar vor das Verwaltungsgericht. Mit seiner vorzeitigen Freistellung im Dezember 2010 ließ Niebur das Verfahren gegen Eberhardt allerdings fallen.

„Die Leiden vieler Mitarbeiter haben nun endlich ein gutes Ende gefunden“, sagt Colditz jetzt, wo Geschäftsführer Niebur nicht mehr da ist. „Ihm fehlte es einfach an Führungsqualitäten. Es hat mich gewundert, dass es so viele Jahre gedauert hat.“ Ähnlich kommentierte NGG-Sekretär Sträter Nieburs Freistellung: „Das kann für alle Beteiligten nur positiv sein. Seine Amtsführung war mehr als bemerkenswert.“ Rainer Niebur hat zu den Vorwürfen gegenüber der pflichtlektüre-Redaktion bisher keine Stellung genommen.

Redaktion: Lisa Griesing

6 Comments

  • Andreas sagt:

    Glückwunsch Studentenwerk! Glückwunsch D+S!

  • Insider BY sagt:

    Glaubt nicht, es wäre nur in Dortmund so.
    In Bayern habe ich in Hinsicht Mobbing schlimmeres und in Hinsicht auf interne Intrigen und Machenschaften auch gegenüber dem Personalrat vergleichbares erleben müssen. Das Problem ist in beiden Fällen das versagen der Aufsichtsorgane.
    Das Ministerium ist allein aufgrund der Entfernung in räumlicher aber auch sachlicher Hinsicht gar nicht dazu in der Lage objektiv zu reagieren (auf gut Deutsch: die wollen ihre Ruhe) und das gilt für den Verwaltungsrat noch mehr. Die interessiert definitiv nicht, welche Schlammschlachten intern geführt werden, solange nach außen nur der Schein gewahrt bleibt.

  • Insider sagt:

    Wirklich gut recherchiert.
    Hätte nicht gedacht, dass so viel von internen Informationen an die Presse gelangt ist.

    Ich kenne noch weitere unschöne Details über den Herrn Niebur, die ich hier aber nicht breit treten werde.

    Es ist ganz gut, dass es einen neuen Geschäftsführer geben wird. Der Remmel macht einen guten ersten Eindruck.

  • Martin S.W. sagt:

    Gute Recherche, guter Artikel, weiter so! Die Story is krass!! Ich hab kurze Einblicke in die Arbeitsathmosphäre bekommen als ich mich mit Mitarbeitern der Wohnheimsverwaltung ein paar mal unterhalten hab. Diese hatten über Niebur nicht viel Gutes zu berichten.. aber das es so krass war?

  • Dennis K. sagt:

    Krasse und bittere Geschichte! Ich kann mich Christian – bis auf den Niebur-Verweis, den du bereits brachtest – nur anschließen. Hut ab, richtig gute Arbeit. Weiter so!

  • Christian S. sagt:

    Wow, Hut ab vor so einer umfangreichen und detalireichen Recherche! Super! Ein kleines Detail fehlt mir aber noch: Was sagt denn Herr Niebur zu den schweren Vorwürfen? Das sollte zumindest am Ende noch kurz erwähnt werden. Ansonsten nochmals großes Lob!

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