An einer Rostocker Schule wird Angela Merkel mit einer unerwarteten Situation konfrontiert. Sie spricht mit einem palästinensischen Mädchen, das in Deutschland nur geduldet ist. Wie sie der Jugendlichen über die Wange streichelt, geht viral durchs Netz. Das sorgt für Wut oder Zustimmung. Und zeigt, wie komplex das Thema Flüchtlingspolitik ist und wie eine Kanzlerin damit umgehen darf.
Mit dem Bürgerdialog „Gut leben“ will die Bundesregierung näher an der Bevölkerung sein. Wie nah das sein kann, hat die Kanzlerin am Donnerstag erlebt. Die 14-jährige Reem ist mit ihrer Familie vor vier Jahren aus dem Libanon geflüchtet. Viele ihrer Verwandten hat sie seitdem nicht gesehen. Mittlerweile spricht sie fließend Deutsch, möchte hier Abitur machen und dann studieren. Sie erzählt Merkel von ihrer drohenden Abschiebung. Die Kanzlerin antwortet mit Fakten: der Libanon gilt nicht als Bürgerkriegsland. „Und wenn wir jetzt sagen: ‚Ihr könnt alle kommen‘, dann können wir das auch nicht schaffen“, versucht sie die Situation zu erklären.
Als das Mädchen anfängt zu weinen, stockt Merkel. Sie murmelt „Och Gott“ und versucht, das Mädchen zu trösten. „Das hast du doch prima gemacht“, sagt sie. „Darum geht es doch nicht“, kritisiert der Moderator, „das ist einfach eine belastende Lage“. Die Kanzlerin wollte das Mädchen trotzdem „mal streicheln.“
Ein Video, hundert Meinungen
Jeder hat das Video gesehen, jeder hat eine Meinung. Das Internet schwankt wie so oft zwischen Extremen, wie Twitter zeigt. Bei mehr als 140 Zeichen sind die Meinungen schon differenzierter. Wie man es besser macht, weiß niemand. Mit einem kühleren Kopf schaut die Politikwissenschaft, was das für die Kanzlerin bedeutet.
Gute Nachrichten für Reem
Mittlerweile hat die Tagesschau mit Reem selbst gesprochen. „Sie hat zugehört und ihre Meinung gesagt, und das finde ich auch in Ordnung. Ich werde mich jetzt erst einmal damit abfinden und hoffen, dass es etwas bringt“, sagt sie im Videointerview. Tatsächlich gibt es gute Nachrichten für die Palästinenserin. Am Tag nach Merkels Besuch an der Rostocker Schule wurde eine geplante Änderung des Bleiberechts bekannt. Dadurch können geduldete, minderjährige Asylbewerber eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten, wenn sie seit vier Jahren ohne Unterbrechung im Bundesgebiet gelebt haben. Die Regelung tritt ab diesem Sommer in kraft. Für Reem stehen die Chancen gut, für immer in Deutschland bleiben zu dürfen.
Titel- und Teaserbild: flickr.com / Thomas Dämmrich
Beitragsbilder: Susanne Romanowski
Richtig informativ und umfassend! Sehr schön geschrieben, habe es gerne gelesen. Und vor allem mal ein wirklich diplomatischer Artikel zu dem Thema!