Schichtarbeit: Gegen die innere Uhr

Draußen ist es noch dunkel, die Vorhänge sind geschlossen. Um viertel vor fünf klingelt der Wecker. Als geübte Frühaufsteherin kommt Vivian Pach schon nach dem ersten Klingeln aus dem Bett. Dann heißt es fertig machen für die Frühschicht: Schnell unter die Dusche und anziehen. Ihre Kleidung hat sie schon am Vortag rausgelegt, damit es jetzt schneller geht.

Zum Frühstück gibt es ein bisschen Müsli und Kaffee zum Wachwerden. Je nachdem, wo Vivian gerade eingesetzt wird in ihrer Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin, kann sie zu Fuß zur Arbeit gehen – und frische Luft macht ja auch wach. Vivian Pachs Frühschicht beginnt meist um sechs Uhr morgens. Die 21-Jährige ist seit 2011 in der Ausbildung. Schichtarbeit gehörte von Anfang an dazu.

Vivian Pach

Vivian Pach macht seit 2011 eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin. Für die Frühschicht will sie möglichst fit sein. Foto: Vivian Pach. Teaserfoto: Karin Jung / pixelio.de

Die Champions-League-Spiele in den vergangenen Wochen hat sie oft nicht gesehen, obwohl sie als Dortmunderin den BVB gerne angefeuert hätte. Bei der Frühschicht versucht sie immer, etwa um 21 Uhr ins Bett zu gehen. „Sieben bis acht Stunden Schlaf brauche ich. Sonst bin ich total geschlaucht“, sagt die 21-Jährige. Auf der Arbeit müde zu sein, das kommt für Vivian nicht in Frage.

Den Ablauf von Wachsein und Schlafen regelt die so genannte circadiane Rhythmik, im Volksmund oft als innere Uhr bezeichnet. Die innere Uhr hat jeder, nicht nur Menschen und andere Säugetiere, sondern auch Pflanzen. Dahinter steckt ein Zellhaufen im Gehirn von etwa 12 bis 14.000 Zellen, der durch elektrische Aktivität unseren Schlaf-Wach-Rhythmus steuert. Die innere Uhr tickt ungefähr in einem Takt von 24 Stunden und ist besonders an Licht und Dunkelheit geknüpft.

„Kurzer Wechsel“: Eine Herausforderung

Ihre innere Uhr bringt Vivian besonders beim „kurzen Wechsel“ durcheinander: Nach einer Spätschicht am Sonntagabend ist es schwieriger, am Montagmorgen zur Frühschicht aus dem Bett zu kommen. „Beim ersten kurzen Wechsel habe ich dreimal verschlafen“, erzählt Vivian. Zum Glück gab es im Krankenhaus keine Probleme damit: „Die Leute dort verstehen, dass wir uns daran erst einmal gewöhnen müssen.“ Mittlerweile klappe das schon besser, sagt sie.

Schwierig sei es noch, nach der Spätschicht früh schlafen zu gehen, vor allem, wenn sie vorher einen Notfall hatte: „Wenn ich abends von der Arbeit komme, muss ich erst einmal runterfahren“, sagt Vivian über ihren Feierabend. Dann sitzt sie oft noch eine Stunde auf dem Sofa und schaut fern, um müde zu werden.

Schlafmediziner Dr. Riccardo Stoohs

Der Schlafmediziner Dr. Riccardo Stoohs leitet die Schlafklinik "Somnolab". Foto: Riccardo Stoohs.

Den kurzen Wechsel kennen auch andere Schichtarbeiter, sei es im Krankenhaus, bei der Bahn oder in Kraftwerken. Nicht nur dieser Wechsel, sondern auch der Wechsel zwischen längeren Perioden von Früh- oder Spätschichten ist anstrengend für den Körper. Denn Schichtarbeiter, aber auch Vielflieger bringen ihre innere Uhr durcheinander, indem sie zwischen verschiedenen Schlafrhythmen wechseln. „Eine Schicht sollte nie länger als zwei bis drei Tage dauern“, empfiehlt Dr. Riccardo Stoohs, der die Schlafklinik „Somnolab“ leitet. Wenn Schichten länger andauerten, gewöhne sich die innere Uhr an den neuen Schlafrhythmus – dann sei es schwieriger, wieder in einen anderen Rhythmus zu gelangen.

Unregelmäßigkeit: „Das gehört zum Beruf dazu“

Diese langen Schichten sind bei Krankenpflegern üblich. Nach einer Woche Frühschicht folgt für Vivian in der Regel eine Woche Spätschicht. Eine Schicht hat somit eine Dauer von einer Woche. Das Problem: Die innere Uhr speichert diesen Rhythmus. Die Umstellung zu einem anderen Rhythmus, also zu einer anderen Schicht, ist jedoch schwierig. „Ein geregelter Ablauf wäre schon schön“, gibt Vivian zu. „Aber das gehört zum Beruf dazu, das nimmt man in Kauf“. Sie wolle nicht jeden Tag meckern.

Respekt hat Vivian vor den Nachtschichten, die im zweiten Ausbildungsjahr auf sie zukommen. Bei einem Nebenjob in einer Disko hat Vivian schon einen kleinen Einblick bekommen, wie ihr Körper auf Nachtarbeit reagiert. „Das wird schon eine harte Sache“, glaubt sie. Bei den Nachtschichten wird es für Vivian besonders wichtig, den Schlafmangel aus der Nacht am Tag nachzuholen.

Schlaf nachholen, das funktioniert tatsächlich, laut Schlafmediziner Stoohs. Je länger wir wach sind, desto mehr Schlaf-Druck entsteht. „Mit einer Stunde Schlaf kaufen wir uns zwei Stunden Wachsein“, erklärt Stoohs vereinfacht den Schlaf-Druck. Deshalb empfiehlt er sieben bis acht Stunden Schlaf.

Für Krankenpfleger ist der Dreischichtbetrieb Alltag: mit Früh-, Spät- und Nachtschicht. Foto: JMG / pixelio.de

Für Krankenpfleger ist der Dreischichtbetrieb Alltag: mit Früh-, Spät- und Nachtschicht. Foto: JMG / pixelio.de

Wer den verlorenen Nachtschlaf tagsüber nachholen will, muss aber auf einiges besonders achten: „Wichtig ist bei Nachtschichten, dass man tagsüber zum Schlafen den Raum komplett abdunkelt und geräuscharm schläft“, sagt Stoohs. Konstant Nachtschichten zu machen, sei für den Körper weniger ein Problem, erklärt er. Man könnte die innere Uhr des Körpers darauf trainieren.

Rotieren im Uhrzeigersinn

Doch Vivian und die meisten anderen Schichtarbeiter arbeiten in einem Dreischichtbetrieb – Früh-, Spät- und Nachtschicht. Um trotzdem die Schichtwechsel so angenehm wie möglich zu gestalten, hat Schlafmediziner Stoohs noch einen Tipp: „Besonders beim kurzen Wechsel sollte man die Schichten mit dem Uhrzeigersinn wechseln.“ Von Früh-, über Spät-, zur Nachtschicht. So fällt es dem Körper leichter, sich auf die verschiedenen Schlafrhythmen einzustellen.

Wichtig ist auch eine gleichmäßige Nahrungsaufnahme. Sie kann die innere Uhr beeinflussen, so dass man bei Nachtschichten den Körper auf einen komplett anderen Tagesrhythmus einstellt: Tagsüber komplett abgedunkelt schlafen und die Nahrungsaufnahme so anpassen, dass man nachts in den selben Abständen wie tagsüber isst.

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