Power-Napping – Nickerchen fürs Köpfchen

Foto: flickr.com/kate hiscock/Timothy/sdminor81/pedrosimoes7; Montage: Marc Patzwald

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Ein Silent Room gehört nicht zur Standardausstattung eines Unternehmens. Die Firma Tecbytel stellt einen solchen trotzdem zur Verfügung und erhält im Gegenzug ausgeschlafene Mitarbeiter. Von einem Ruheraum für die Mittagspause würde auch so manch ein übermüdeter Student an der Uni profitieren, beweisen Studien zum „Power-Napping“.

Silent Room Firma Tecbytel

Einer der zwei "Silent Rooms" der Firma Tecbytel. Fotos: Mira Fricke

Rund acht Stunden sitzt Thomas Diesner täglich im Großraumbüro eines Gelsenkirchener Call Centers und beantwortet unaufhörlich Anfragen von Kunden, im Hintergrund tun es ihm seine Kollegen gleich. Alle paar Minuten ein neuer Gesprächspartner mit Fragen zu unterschiedlichsten Themen, das erfordert Flexibilität und vollste Konzentration. In der Mitte seiner Schicht, besonders nach dem Essen kommt die Müdigkeit. Dann sehnt Thomas Diesner sich nach einem Moment Ruhe und etwas Privatsphäre, genau dafür gibt es im Call Center den „Silent Room“.

Die Firma Tecbytel in Gelsenkirchen, Service Center für die Heizungs- Klima- und Versorgungsbranche, bietet ihren Mitarbeitern schon seit dem Jahre 2002 diese Möglichkeit in Form eines besonderen Rückzugorts. In Zusammenarbeit mit der Universität Wuppertal richtete das Unternehmen in einem Pilotprojekt einen „Silent Room“ ein. In diesem befinden sich zwei abschließbare Schlafkabinen ausgestattet mit einer bequemen Liege. Die Wissenschaftler der Universität Wuppertal verglichen in einer sechsmonatigen Studie zwei Mitarbeitergruppen mit je 14 Teilnehmern. Die eine nutzte in ihrer Mittagspause regelmäßig den „Silent Room“ für erlernte Entspannungstechniken, die andere ging in dieser Zeit ihrer gewohnten Pausenroutine nach.

Cortisol als Maß für Entspanntheit

Die Kontrolle der Herzfrequenz und des Stresshormons Cortisol im Speichel der Teilnehmer, waren die entscheidenden Parameter zur Feststellung der Wirksamkeit einer Pause im „Silent Room“. Das Ergebnis zeigte eine positive Veränderung dieser Werte in der Gruppe der „Silent Room“-Nutzer, was auf eine erhöhte Stressresistenz hinwies. Daraufhin entschloss Tecbytel den Raum dauerhaft einzurichten, erklärt Verena Saul Leiterin des Service Centers. Die Firma ist damit ein Vorreiter in Deutschland, denn Rückzugsräume und die Überzeugung, dass erholte und ausgeglichene Mitarbeiter bessere Arbeit leisten, ist nicht selbstverständlich. Auch Thomas Diesner ist überzeugt von den Vorteilen einer Pause im „Silent Room“. Er schlafe zwar nicht immer ein, aber einfach mal 15 Minuten die Augen schließen und zu sich kommen, helfe ihm in seinem Arbeitsalltag enorm.

Die positiven Effekte eines Mittagsschlafs oder „Power-Napping“ sind schon seit den 1980er Jahren bekannt, trotzdem scheinen wir noch immer gewisse Vorurteile zu haben. Das „Mittagsnickerchen“ hat den Ruf für Kleinkinder und Senioren gemacht worden zu sein. Dabei ist es für Säugetiere völlig normal während eines 24 Stunden Biorhythmus mindestens zwei Mal zu ruhen. Einzig der Mensch fällt aus der Reihe, indem er sich einen monophasischen Schlaf anerzogen hat. Die Ursachen dafür sind bis jetzt nicht genau geklärt, der jeweilige Kulturkreis scheint jedoch eine Rolle zu spielen.

Kein Mittagsschlaf im Protestantismus

In Deutschland ist der Schlaf am Tag noch weitgehend tabuisiert. Dr. Jörg Walther, Schlafmediziner am Bergmannsheil Krankenhaus Bochum, sieht die Ursache dafür in der Berufsethik des frühen Protestantismus, welche die wesentliche Grundlage einer kapitalistisch handelnden Gesellschaft ist. Nur ein disziplinierter und fleißiger Mensch ist demnach jemand, der soziale Anerkennung erhält. Auch wenn wir heute nicht bewusst an den Lehren des frühen Protestantismus festhalten, so können wir uns nicht frei davon machen, eine Leistungsgesellschaft zu sein, in der Arbeit und Erfolg einen enormen Stellenwert haben. Mit einem täglichen Mittagsschlaf lässt sich diese Denkweise also auf den ersten Blick nicht vereinbaren und so schleppt man sich lieber im halbwachen Zustand, mit dem obligatorischen Kaffeebecher, von Vorlesung zu Vorlesung oder von Meeting zu Meeting.

Mobile Babyraum TU Dortmund

Babydeko im Ruheraum des HG II.

Dabei könnte alles so viel einfacher sein. Medizinische Studien belegen, dass sich schon ein zehnminütiger „Power-Nap“ nachweisbar positiv auf den Körper und die Leistungsfähigkeit, insbesondere auf die Reaktionsgeschwindigkeit, auswirkt. Ein kurzes Nickerchen erzielt damit bessere Wirkungen als eine Tasse Kaffee. Beabsichtigt man eine schnelle Verbesserung der eigenen Leistungsfähigkeit, raten Ärztr davon ab länger als 30 Minuten zu schlafen. Grund dafür ist der natürliche Ablauf des Schlafs. In den ersten zehn bis zwanzig Minuten wird der Körper in zwei aufeinander folgende Einschlafphasen versetzt. In dieser Zeit ist der Schlafende noch sehr leicht wieder auf zu wecken und es erfolgt keine vollständige Muskelerschlaffung. Trotzdem ist das Bewusstsein weitgehend ausgeschaltet, sodass das Gehirn dem Schlafenden später die Nachricht „Du hast geschlafen“, übermittelt.

Nach einer knappen halben Stunde fällt der Schlafende in die dritte und vierte Schlafphase, welche die Tiefschlafperioden sind. Nach einer weiteren halben Stunde geht der Körper erst in einen leichteren, der Einschlafphase ähnlichen Schlaf über, bevor ein Abschnitt des Traumschlafes oder auch „Rapid-Eye-Movement-Schlaf“ (REM) folgt. Ein solcher Schlafzyklus dauert zwischen 90 und 120 Minuten und wiederholt sich während einer Nacht mehrmals.

Power-Napping – so gehts richtig

Für ein erfolgreiches „Power-Napping“ zwischendurch ist es wichtig, nicht in die Phase des Tiefschlafs überzugehen. Anderenfalls empfindet der Mittagsschläfer nach dem Aufwachen die typische für einige Zeit anhaltende Schlaftrunkenheit. Der Körper braucht dann 30 bis 60 Minuten, um wieder zu voller Leistungsfähigkeit zurückzukehren. Oft ist es genau dieses Gefühl, das Menschen von einem Mittagsschlaf abhält. Sie fürchten, anschließend nicht mehr in den Arbeitsmodus zurück zu kommen. Bei einer kürzeren Schlafzeit, von idealer Weise nur zehn Minuten, ist das nicht der Fall. Der Geist ist schon kurz nach dem Aufwachen wieder voll leistungsfähig. Erstaunlicherweise ist der Erholungseffekt nach zehn Minuten und nach einer Stunde Schlaf fast identisch.

Dem ungeübten Mittagsschläfer rät Dr. Jörg Walther während des „Napping“ einen Schlüsselbund in der Hand zu halten. Mit dem Übergang in die Tiefschlafphase erschlafften die Muskeln und man wache durch den fallenden Schlüssel wieder auf. Zu lange schlafen sei damit ausgeschlossen.

Saskia Jaimovic

Saskia Jacimovic während ihres Entspannungsprogramms.

Auch die Wellness-Branche ist auf den Geschmack von Power-Napping und Co. gekommen. Birgit Syring betreibt seit fast neun Jahren ihre „Chil-Out-Lounge“ in der Dortmunder Innenstadt. Massageliegen und Entspannungsmusik sollen ihren gestressten Kunden wieder zu neuer Energie verhelfen. Saskia Jacimovic kommt regelmäßig zur Entspannungskur und bringt auch schon mal ihre Kinder mit. Die seien von den Programmen genauso überzeugt wie sie. Im Angebot der Lounge findet sich auch ein 20 Minuten dauerndes „Power-Napping“. Neben einer Beinvibrationsmassage und Entspannungsmusik, bekommt der Kunde auch eine spezielle Lichtstimulationsbrille aufgesetzt. Und wer noch mehr will, der kann laut Birgit Syring seine Leistungsfähigkeit mit einer Extraportion Sauerstoffatmen steigern.

Extrakick durch Sauerstoff?

Sauerstoffatmen für eine bessere Konzentration, kann das was bringen? Bei Übermüdung rät die allwissende Oma schließlich auch häufig zu „frischer Luft“. Fakt ist, der menschliche Körper kann nur eine sehr begrenzte Menge Sauerstoff aufnehmen, soviel bis eine Sättigung des Bluts, genauer der roten Blutkörperchen erreicht ist. Führt man dem Körper nun über die Maßen Sauerstoff zu, ist er nicht in der Lage diesen aufzunehmen. Schon der in der normalen Atemluft enthaltene Sauerstoff kann nicht vollständig aufgenommen werden. Die Wirksamkeit dieser Methode ist daher eher fraglich.

20 Minuten die Augen schließen bringt hingegen auf jeden Fall etwas, auch ohne Musik oder Lichtstimulation. Wer jedoch an der Uni in Dortmund auf der Suche nach einem stillen Örtchen für sein Nickerchen ist, der wird erst einmal vergeblich suchen. Einzig für Mütter mit Kind gibt es einen Ruheraum im Hörsaalgebäude II. Dieser lässt jedoch mit seiner olivgrünen Krankenpritsche an Gemütlichkeit eine wenig zu wünschen übrig. Aber im Notfall tut es ja auch der Klapptisch im Hörsaal oder ein dicker Wälzer in der Bibliothek auf dem man den Kopf ablegt, wer hätte das nicht selbst schon mal ausprobiert.

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