Homo- und bisexuelle Männer dürfen in Deutschland kein Blut spenden. Ist diese Regelung diskriminierend oder dient sie tatsächlich dem Schutz der Blutspende-Empfänger? Der Europäische Gerichtshof hat das generelle Blutspende-Verbot jetzt präzisiert und bringt damit Schwung in die Debatte.
Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), werden in vielen Ländern der EU kategorisch vom Blutspenden ausgeschlossen. Es heißt, wer dieser Gruppe angehöre, berge aufgrund seines sexuellen Verhaltens ein erhöhtes Risiko, Infektionskrankheiten zu übertragen. Vor allem Sexualpraktiken wie Oral- und Analverkehr oder häufig wechselnde Sexualpartner können eine Ansteckung mit Infektionen wie dem HI-Virus begünstigen.
Gegen dieses generelle Blutspende-Verbot hat ein Franzose beim Europäischen Gerichtshof geklagt. Denn die EU-Grundrechte-Charta verbietet eine Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung. Gleichzeitig sieht eine EU-Verordnung aber den dauerhaften Ausschluss der MSM-Gruppe zum Schutz der Blutspenden-Empfänger vor. Das Gericht urteilte jetzt, dass ein generelles Verbot für MSM unter folgenden Bedingungen rechtens ist:
- Es muss tatsächlich ein höheres Übertragungsrisiko für Infektionskrankheiten bei dieser Gruppe bestehen.
- Es muss überprüft werden, ob es Alternativen zum generellen Verbot gibt, die weiterhin den Schutz für die Empfänger garantieren und gleichzeitig das Blutspenden für die MSM ermöglichen, z.B. bessere Blutuntersuchungen oder veränderte Fragebögen vor der Blutspende.
Warum sind homo- und bisexuelle Männer eine Risikogruppe?
Ein höheres Übertragungsrisiko belegen für Deutschland jedes Jahr Befunde des Robert-Koch-Instituts. Nur drei bis fünf Prozent der Gesamtbevölkerung sind Männer, die mit anderen Männern Sexualverkehr haben oder hatten. Dennoch umfasst diese Gruppe etwa zwei Drittel aller mit HIV Infizierten. Das Risiko, sich als MSM mit dieser Infektionskrankheit zu infizieren, ist fast 100 Mal höher als bei heterosexuellen Männern. Betroffen sind auch vermeintlich monogame homosexuelle Beziehungen. Denn ein Seitensprung ist schnell passiert. Das kann natürlich auch in heterosexuellen Beziehungen geschehen – nur ist hier die Wahrscheinlichkeit, sich bei einem Seitensprung mit HIV zu infizieren, sehr viel geringer.

Auch Schwule in einer festen Beziehung zählen zur Risikogruppe MSM. Quelle: Jose Antonio Naves / flickr.com
Um den bestmöglichen Schutz des Empfängers zu gewährleisten, werden in Deutschland alle Blutspenden vor Freigabe auf zahlreiche Virusinfektionen getestet. Problem ist hierbei das sogenannte diagnostische Fenster. Das gespendete Blut wird innerhalb eines Tages im Labor überprüft. Hat ein Spender sich erst wenige Tage zuvor infiziert, können diese Untersuchungen aber oft noch keinen Nachweis für eine Infektion liefern. „Kein Test der Welt kann dieses diagnostische Fenster ausschließen“, sagt Heinz Kapschak vom DRK-Blutspendedienst-West. Deshalb ist das erhöhte Risiko bei der MSM-Gruppe, Infektionskrankheiten zu übertragen, erneut Ausschlusskriterium für eine mögliche Blutspende.
Worauf kommt es an: Sexuelle Orientierung oder Risikoverhalten?
Der größte Kritikpunkt am Blutspende-Verbot für MSM bezieht sich auf den Fragebogen, der wahrheitsgemäß vor der Blutspende auszufüllen ist. In ihm werden Ausschlusskriterien wie Alter, Gewicht, Vorerkrankungen und Auslandsaufenthalte abgefragt. Ein Punkt darauf ist die Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe. Hier wurden MSM jahrelang in einem Atemzug mit Drogenabhängigen, Prostituierten und Häftlingen genannt. Die sexuelle Orientierung stand so mehr im Vordergrund als sexuelles Risikoverhalten. Anfang 2015 veröffentlichte das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), das zusammen mit der Bundesärztekammer für die Richtlinien bei Blutspenden zuständig ist, einen bundeseinheitlichen Fragebogen. Darin wird deutlicher nach sexuellem Risikoverhalten gefragt und das diagnostische Fenster erklärt. Dennoch reicht weiterhin das Bejahen der Frage „Nur für Männer: Hatten Sie schon einmal Sexualverkehr mit einem anderen Mann?“, um von der Blutspende ausgeschlossen zu werden.
Eine Bewertung der Höhe des Risikos einzelner Spender, wie es zum Beispiel in Spanien praktiziert wird, lehnt Susanne Stöcker vom Paul-Ehrlich-Institut ab: „Jeden Spender explizit nach seinen Sexualpraktiken zu befragen und diese individuell zu bewerten, ist für die Blutspende-Dienste nicht durchführbar.“ Es fehlen Zeit und ein ausreichendes Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. Viele Spender würden sich außerdem darüber beschweren, dass manche Fragen im Fragebogen zu intim seien, so Stöcker. Um homo- und bisexuellen Männern dennoch entgegen zu kommen, diskutiert das Paul-Ehrlich-Institut momentan die Änderung des lebenslangen Verbots. Männer, die schon länger als ein Jahr keinen Sexualkontakt mehr zu anderen Männern hatten, soll das Blutspenden erlaubt werden.
Trotz Überprüfung von Alternativen wiegt für den Europäischen Gerichtshof das Recht des Empfängers auf Schutz seiner Gesundheit höher als das Recht einzelner, freiwillig Blut zu spenden. Für Susanne Stöcker vom PEI ist deshalb das Verständnis der Betroffenen wichtig: „Wir müssen bei der MSM-Gruppe das Bewusstsein wecken, dass die Fakten nun einmal ein viel höheres Infektionsrisiko belegen. Wir wollen die Empfänger schützen und nicht die Spender wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminieren.“
FAQ Blutspende
Teaserfoto: ec-jpr / flickr.com
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