Das Duell: Röntgen zur Altersbestimmung

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Wer hat das Recht auf Asyl in Deutschland und wer nicht? Minderjährige genießen in dieser Frage einen besonderen Schutz: Sie dürfen nicht abgeschoben werden, werden in speziellen Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht und man stellt ihnen einen Vormund zur Seite. Schwierig ist aber oft, festzustellen, welcher Asylbewerber tatsächlich minderjährig ist. Mehrfach mussten deshalb schon Streitigkeiten vor Gericht ausgetragen werden. Ein neues Urteil des Oberlandesgerichtes in Hamm besagt nun, dass Asylbewerber in bestimmten Fällen zur Altersbestimmung geröntgt werden dürfen. Und das, obwohl Röntgen-Verfahren eigentlich nur angewendet werden dürfen um Patienten zu helfen. 

„Die am wenigsten belastende Methode wählen!“,

fordert Johanna Mack.

Sie kommen, um zu bleiben, um einen Ausweg aus ausweglosen Situationen zu finden und, wenn möglich, eine neue Heimat. Aber Länder wie Deutschland machen es Flüchtlingen und Asylbewerbern nicht unbedingt einfach, anzukommen und das Aufenthaltsrecht zu erwerben. Wer darf bleiben, wer muss zurück – in eine ungewisse, oder in eine nur zu gewisse Zukunft? Diese Entscheidung wird tagtäglich getroffen und man möchte dabei weder in der Haut des Bewerbers noch in der des Entscheiders stecken. „Entscheider“ – diesen leicht zynischen Namen tragen tatsächlich die Menschen, die das Urteil über Asyl oder Abschiebung treffen.

Streitigkeiten um das Alter von Flüchtlingen

Besonders heikel ist die Frage, wenn es um minderjährige Flüchtlinge geht. Sie genießen gemäß der UN-Kinderrechtskonvention einen speziellen Schutz: „Bei allen staatlichen Maßnahmen muss das Wohl des Kindes vorrangig berücksichtigt werden“. Konkret heißt das: Minderjährige Asylbewerber haben eine bessere rechtliche Situation als volljährige. Diese Vorteile der Minderjährigen schaffen für volljährige Flüchtlinge einen Anreiz, ein falsches Alter anzugeben. Derartige Fälle landeten in der Vergangenheit mehrfach vor Gericht. Andererseits schätzten aber sicher auch die pädagogischen oder psychologischen Gutachter des Jugendamtes Asylbewerber als zu alt ein und nahmen damit Menschen die Möglichkeit des legalen Aufenthaltes an einem sicheren Ort.

Verfahren zur Altersbestimmung ungenau

Die Ungenauigkeit dieser Gutachten ist also ein Problem – sie erschwert das Fällen von gerechten Entscheidungen. Falls es so etwas wie Gerechtigkeit bei diesem Thema überhaupt gibt. Momentan wird in NRW meist eine Methode der Altersfeststellung genutzt, bei der Gutachter des Jugendamtes die Bewerber zu Fluchtweg, Familiengeschichte und Biographie befragen. Das kann wohl höchstens Anhaltspunkte liefern, aber keine Klarheit, zumal, falls der Befragte die Wahrheit möglicherweise bewusst verschleiern will.

In einigen Bundesländern greift man daher schon längst auf medizinische Alterstests zurück: Röntgenuntersuchen der Hand, Computertomographien im Schlüsselbeinbereich oder auf zahnärztliche Untersuchungen des Kiefers. All diese Methoden können zwar wegen der unterschiedlichen Entwicklungen menschlicher Körper ebenfalls keine hundertprozentigen Sicherheiten liefern, aber sie sind zumindest auf biologische Fakten gestützt.

Das aktuelle Urteil bestätigt außerdem, dass die Röntgenuntersuchung nur bei Zustimmung des Asylbewerbers erfolgen darf. Es erfolgt also keine Bestrahlung gegen den Willen des betroffenen Menschen.

Röntgenuntersuchungen derzeit die beste Methode

Das größere Problem sehe ich darin, dass unsere Kapazitäten für Menschen in Not scheinbar so gering sind, dass eine Altersbestimmung notwendig ist. Weil man im Moment um die Altersbestimmung nicht herum kommt, sollte die Methode genutzt werden, die den Asylbewerber am wenigsten belastet. Röntgenuntersuchungen können auf jeden Fall schneller durchgeführt werden als eine ohnehin unsichere Befragung. Diese setzen den Bewerber, der gezwungen wird, seinen Leidensweg zu rekapitulieren, eventuell unter eine psychologische Belastung, die schwerer wiegt als die Bestrahlung der Hand. Dennoch bleibt auch die medizinische Untersuchung problematisch. Eine ideale Lösung gibt es scheinbar nicht – eine zu vertretende muss noch gefunden werden – und bis dahin muss eben weiter befragt und geröntgt werden.

 

„Die Untersuchung widerspricht dem ärztlichen Berufsethos!“,

sagt Xenia El Mourabit.

Jugendliche die ohne Eltern nach Deutschland flüchten sind unpraktisch. Unpraktisch, weil sie zusätzliche Arbeit darstellen. Sie gelten als besonders  schutzbedürftig, deshalb steht ihnen eine zusätzliche Behandlung durch das Jugendamt  zu, die andere Flüchtlinge nicht bekommen. Außerdem dürfen sie nicht abgeschoben werden. Für überlastete Behörden ist es also viel bequemer, wenn alle Flüchtlinge volljährig sind.

Keine unabhängige Entscheidung

Darum muss eine Methode zur Alterseinschätzung her. Eine Art der Altersbestimmung ist das Röntgen des Handwurzelknochens. Diese Form der Altersbestimmung findet natürlich nur nach Einwilligung der Betroffenen statt. Kritisch ist dabei aber: Der Betroffene steht unter Obhut des Jugendamtes. Dieses, ständig überlastet, hat ein berechtigtes Interesse daran, möglichst wenige jugendliche Flüchtlinge zu betreuen. Ob ein womöglich minderjähriger Flüchtling so in der Lage ist eine selbstständige und unabhängige Entscheidung zu fällen ist äußerst fraglich.

Verstoß gegen den Ärztekodex

Außerdem besagt der Ehrenkodex der Ärzte, die Deklaration von Genf: „Die Gesundheit meines Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein.“ Beim Röntgen werden Patienten Strahlen ausgesetzt. Das darf normalerweise nur nach einer sorgfältigen Abwägung zwischen den möglichen Schäden durch die Strahlenexposition auf der einen und den positiven Folgen für die Gesundheit der Patienten auf der anderen Seite geschehen. Einen gesundheitlichen Nutzen gibt es aber bei der Altersbestimmung faktisch nicht. Die Strahlenbelastung dagegen ist vorhanden.

Staatsinteresse über Gesundheit

An welcher Stelle also steht die Gesundheit, wenn Ärzte im Auftrag von städtischen Ämtern Jugendliche röntgen, um deren Alter zu ermitteln? Bestimmt nicht an Oberster! Hier wird ganz klar das Interesse des Staates über die Gesundheit, über das Wohl der Patienten gestellt. Patienten? Nein, eigentlich nicht. Die Flüchtlinge werden ja nicht geröntgt, weil sie krank sind, es soll lediglich ihr genaues Alter bestimmt werden.

Röntgenaufnahmen sind nicht aussagekräftig

Ob das durch Röntgenaufnahmen möglich ist, ist zweifelhaft. Um ein, zwei Jahre kann man sich dabei durchaus verschätzen. Komisch! Es geht doch genau darum ob ein Flüchtling schon 18 oder vielleicht doch erst 16 oder 17 Jahre alt ist. Die Methode zur Altersbestimmung verstößt ganz erheblich gegen den selbst auferlegten Kodex der Ärzte und wird deshalb auch von der Bundesärztekammer deutlich abgelehnt. Es kann nicht angehen, dass es trotzdem Ärzte gibt, die sie durchführen!

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Foto: stockxchng/bizior, S. Hofschlaeger/pixelio.de. Montage: Fehling/Schweigmann.
Teaserfoto: Foto: Markus Tacker / flickr.com

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