„Bauer werden?
Warum nicht?“

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Die niedrigen Milchpreise beherrschten in den letzten Wochen die Schlagzeilen vieler Medien. Die Landwirtschaft steckt in einer Krise: von „Höfesterben“ und „Bauernarmut“ ist immer wieder die Rede. Wer heute noch Landwirt*in werden will, muss verrückt sein? Oder? In Nordrhein-Westfalen sind es noch immer jährlich 1600 Jugendliche, die eine Ausbildung zum/r Landwirt*in beginnen. Und das in Zeiten von Existenznöten. Was können die jungen Menschen von einer Zukunft in der Landwirtschaft also noch erwarten?

Leon Stadtmann steht im Melkstand. Zehn Kühe rechts, zehn Kühe links.  Er setzt die Milchschläuche an die Zitzen der Kühe. Ist das Euter leer, lösen sich die Schläuche automatisch. Die Kühe laufen raus, es wird Platz für die nächsten zwanzig. Jeden morgen und jeden abend führt er die Tiere aus dem Kuhstall in den Melkstand. Er fährt mit dem Trecker über Felder, sät, erntet, füttert. Im Juli schließt der 21-Jährige seine Ausbildung ab. Dann darf er sich Landwirt nennen. 

 

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Das ist der Hof, auf dem Leon Stadtmann sein drittes Ausbildungsjahr absolviert.

Schaut man sich die aktuellen Entwicklungen in der Landwirtschaft an, dann mag man meinen: Die jungen Menschen unterschreiben ihr Armutszeugnis  noch vor der Ausbildung. Besonders dramatisch ist es beim Milchpreis: Er lag im März 2014 noch bei rund 40 Cent. Im März 2016 nur noch bei 21 Cent.  Und auch die Zahl der Bauernhöfe sinkt von Jahr zu Jahr: Waren es 2010  noch 35.800 landwirtschaftliche Betriebe in Nordrhein-Westfalen, sind es 2015 nur noch 33.900.“Man kann die Milch bei so niedrigen Preisen auch genauso gut in den Abfluss kippen. Gewinn macht in solchen Zeiten kaum jemand mit der Milch“, sagt Leon Stadtmann. Und doch bleiben ihm und seinen Kolleg*innen erst einmal nicht viel anderes übrig als weiter zu melken. Die Kühe werden ihre Produktion nicht pausieren, das Angebot wird weiter steigen und der Milchpreis wird weiter sinken. Bis weitere Höfe aufgeben müssen. 

Weiter arbeiten – das heißt auch bei ungewisser Zukunft zwölf Stunden Schichten zu absolvieren. Egal ob bei Minusgraden oder bei 30 Grad im Schatten. „Ich arbeite oft am Wochenende. Die Tiere kennen kein Wochenende“, so Stadtmann. Wenn seine Freunde freitagsabends oft in die Disko fahren, bleibt er zu Hause. Er muss schließlich am Samstag um 6:30 Uhr bei der Arbeit sein. Und für den vergleichsweise großen Aufwand, lässt die Bezahlung zu wünschen übrig: Im dritten Ausbildungsjahr erhalten die Azubis rund 713 Euro. Zum Vergleich: Ein Maurer erhält 1374 Euro, ein Bürokaufmann bei vier Stunden weniger Arbeit am Tag 824 Euro brutto im Monat.

Das verdient ein*e Landwirt*in während der Ausbildung
1.Ausbildungsjahr: 530-630 Euro (Brutto)

2.Ausbildungsjahr: 570-680 Euro

3. Ausbildungsjahr: 640-730 Euro

(Quelle: www.ausbildung.de)

Und dennoch: Entgegen dem deutschlandweiten Trend steigt die Zahl der Auszubildenden in der Landwirtschaft in Nordrhein-Westfalen jährlich um rund 0,6 Prozent. Das sind 1600 Jugendliche in NRW, die  eine Ausbildung zum/r Landwirt*in beginnen.   

Erstaunlich dabei: Es sind nicht nur Jugendliche, die auf einem Hof ausgewachsen sind und sich der Tradition der Familie verpflichtet fühlen. Nein, in manchen Regionen wie dem Ruhrgebiet kommen sogar mehr als 50 Prozent nicht von einem Bauernhof. Auch Leon nicht: Sein Vater arbeitet als Maschinenbauer, seine Mutter ist gelernte Technische Zeichnerin. Zur Landwirtschaft kam er zuerst durch seinen Opa. Dieser besitzt einen Pferdehof. Während der Schulzeit half er oft auf dem Milchviehbetrieb des Onkels eines guten Freundes. Die Schüler lernten die Maschinen zu bedienen, Pflanzen zu erkennen, Kühe zu melken und zu füttern. Aus diesem Hobby entwickelte sich Leons Wunsch Landwirt zu werden.“Die Vielseitigkeit ist das, was mir am besten gefällt. Ich kann mir nicht vorstellen fünf Tage in der Woche an einem Schreibtisch zu sitzen“, so der angehende Landwirt.

Wenig Lohn, viel Arbeit und düstere Entwicklungen – wie kann es da eine  Zukunft für Leon und die vielen anderen Landwirt*innen geben? 

Freie Marktwirtschaft birgt Chancen

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Bernhard Rüb ist Pressesprecher der Landwirtschaftskammer NRW. Er arbeitete selbst in der Landwirtschaft und später als Lehrer an Berufsschulen. Foto: Privat

Bernhard Rüb ist Sprecher der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen (NRW). Auch er glaubt: Viele Höfe werden in den nächsten Jahren aufgeben müssen. „Die Entwicklung hat das Bäckerhandwerk und der Gartenbau aber auch schon durchgemacht. Das bringt die freie Marktwirtschaft mit sich.“ Seit 1984 hätten 80 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe aufgegeben. Am Ende überlebe derjenige, der am effizientesten wirtschaftet. Teure Maschinen rentieren sich erst dann, wenn viele Tiere und große Flächen damit bedient werden. So würden einige große Höfe überleben und weiter wachsen können.

Und das biete auch Chancen für die jungen Landwirt*innen. Der zukünftige Arbeitsplatz der jetzigen Auszubildenden werde vermutlich ein viel größerer und technisierterer Betrieb sein als vor zehn Jahren. Das verlange ihnen wiederum großes Engagement ab. „Wer sich nicht weiterbildet, bleibt auf der Strecke“, sagt Rüb. „Für junge Menschen, die ihre Zukunft in der Landwirtschaft sehen, heißt das:“Viel Praxis und Wissen sind das A und O.“ Und der Einsatz werde sich finanziell lohnen, meint der Sprecher der Landwirtschaftskammer NRW: „Die Ausbildungstarife werden sich anpassen müssen, um mit anderen Branchen mitzuhalten.“

Auszubildende profitieren vom Wettbewerbsvorteil der großen Betriebe

Zukunft hat die Landwirtschaft als Arbeitgeber seiner Meinung nach, weil „die Menschen immer mehr werden und immer mehr Menschen besser essen wollen.“Besser essen heiße in vielen Regionen der Welt auch mehr Fleisch und tierische Produkte zu verzehren. Dieses Bedürfnis steigere die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten zusätzlich zum Bevölkerungswachstum. Zu den aktuellen Entwicklungen, wie dem Überangebot von Milch, meint er:“Diese Entwicklungen erhöhen den Wettbewerbsdruck und beschleunigen den Strukturwandel. Die Betriebe, die übrig bleiben, haben auf dem Markt dann wieder gute Chancen.“ Die aktuellen Auszubildenden werden von dem Wettbewerbsvorteil der großen Betriebe profitieren.

Nicht immer muss es die Arbeit auf dem Hof sein, der die jungen Menschen nach ihrer Ausbildung nachgehen. Die Landwirtschaftskammer, aber auch Firmen, die Futter-und Düngemittel oder Maschinen liefern, bräuchten immer mehr Fachkräfte, um die immer weniger werdenden Landwirt*innen zu bedienen. Die Mitarbeiter*innen müssten wissen, wie es auf einem Hof läuft, um die Kundschaft gut zu Futter-und Düngemitteln beraten zu können. „Sich als Landwirt*in ohne großes Kapital selbstständig zu machen, ist heute sehr schwer“, sagt Bernhard Rüb. Bei Zuliefer*innen von Agrarprodukten gutes Geld zu verdienen, sei dagegen gut möglich.

Vom Schweinestall in die Fachhochschule

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Josie Hagemeier studiert Agrarwirtschaft in Soest.

Auch Josie Hagemeier versucht  sich in der Landwirtschaft eine Zukunft aufzubauen. Doch wie ein Hof zu wirtschaften ist, lernt sie nicht auf einem Bauernhof, sondern in der Fachhochhule Südwestfalen in Soest. Dort studiert die 18-Jährige Agrarwirtschaft. „Ich möchte fachlich so qualifiziert sein, dass mir alle Türen offen stehen. Ich kann mir vorstellen, in die Düngemittel-Forschung zu gehen“, sagt sie.

Als Josie ein Kind war, hatten ihre Eltern Schweine und Rinder im Stall neben ihrem Haus. Heute verpachten sie nur noch Landflächen. Zu dem Studiengang kam sie über einen Ausbildungsberater der Landwirtschaftskammer NRW. „Er informierte auf einer Berufsmesse über die Vielfältigkeit der Landwirtschaft. Ich könnte theoretisch sogar später bei einer Versicherung anfangen für den Fachbereich Landwirtschaft.“ Weitere Möglichkeiten sind Verwaltungsaufgaben bei Unternehmen oder der Landwirtschaftskammer.

Während ihres Fachabiturs im Bereich Agrarwirtschaft absolvierte sie ein Praxisjahr auf einem Schweinemast-Betrieb. „Meine Praxiserfahrung hilft mir im Studium sehr. Wir lernen alles von BWL bis Tierverhalten. Wir untersuchen sogar Schweinefüße vom Metzger, um die Klauenpflege zu lernen“, erzählt die Studentin. Neben dem Studium arbeitet sie auf dem Schweinehof ihres Nachbarn. „Hätten meine Eltern einen Hof, von dem man leben könnte, würde ich diesen später übernehmen. Die Arbeit macht mir Spaß, aber aufgrund der wirtschaftlichen Lage müssen junge Menschen auch Alternativen im Auge behalten.“

Melken, Futtermittel vertreten, Herden managen 

Auch für Leon Stadtmann wären Aufgaben wie diese eine Option. Doch besonders viel Spaß hat er an der Arbeit auf dem Land. „Mich interessiert der Umgang mit Tieren und die Planung der Ernteerträge. Ich mache mir gerne die Hände dreckig.“ 

Er sieht viele beruflichen Möglichkeiten: „Ich beginne im Sommer 2017 meine Weiterbildung zum Agrarbetriebswirt. Damit könnte ich Futtermittel verkaufen oder für einen großen Betrieb die Tierherden managen.“Als Herdenmanager erstellt er die optimale Futterzusammensetzung und behält die Gesundheit der Tiere im Auge. Man merkt ihm an, dass er gerne in engem Kontakt mit Tieren und Landwirt*innen arbeiten möchte. Und er ist bereit, sich so viel Wissen anzueignen, dass er genau das tun kann. Für eine angemessene Bezahlung. Der künftige Agrarbetriebswirt, wird nach seinem Abschluss für die freie Marktwirtschaft gewappnet sein.

Was kann ich als Verbraucher*in gegen den sinkenden Milchpreis tun?

Möchten die Konsument*innen die kleinen Landwirt*innen unterstützen, können sie nur vom Hof direkt kaufen oder Fleisch in der Metzgerei des Vertrauens. Da sind sich Josie Hagemeier und Leon Stadtmann einig. Es sei egal, ob man im Supermarkt die Milch für 30 oder für 80 Cent kaufe. Der/die Landwirt*in bekomme von der Molkerei einen festen Betrag pro Liter Milch ausgezahlt. Wer nicht vom Hof kaufen möchte, könne zumindest lokale Milch kaufen. „Es bringt weder den Bauern, noch der Umwelt irgendetwas, wenn Käufer die Milch aus Bayern kaufen. Die muss erst einmal hier hoch gefahren werden“, so der bald ausgelernte Landwirt. 

Landwirt*innen, die schon lange in ihrem Beruf sind und in den Hof investiert haben, können nur kämpfen. Durchhalten ist angesagt. Es sei wichtig, die Finanzen im Blick zu haben. „Die Balance zwischen dem Nutzen von Maschinen und Düngemitteln und den damit verbundenen Kosten muss rentabel bleiben. Wer nur noch Schulden macht, gibt auf“, sagt Leon Stadtmann.

Beitragsbilder: Wenke Wensing

2 Comments

  • Tasja Demel sagt:

    Gut aufgepasst! Da wir aber in diesem Fall Leon zitieren und er in seiner Sprache nicht gegendert hat, mussten wir das Zitat so übernehmen. Sonst versuchen wir aber natürlich, an den gegebenen Stellen zu gendern! LG Tasja von der Pflichtlektüre

  • Jana sagt:

    „Bauer“ werden im Titel – wolltet ihr nicht gendern?

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