Gabriel zu Gast

Knapp 400 Studenten und Gasthörer dürften es am Ende gewesen sein, die am Dienstag dem Vortrag des SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel an der Ruhr-Universität Bochum gelauscht haben. Im Rahmen der Vortragsreihe „Wissenschaft und Politik“ der Fakultät für Sozialwissenschaften trat Gabriel als Gastredner auf. Thema seiner Rede: „Herausforderungen der Demokratie im 21. Jahrhundert“. Im Mittelpunkt standen dabei die politische Stimmungslage der Bürger und die Zukunft Europas.

Der Hörsaal HGC 10 war bis auf den letzten Platz gefüllt. Foto: Christopher Ophoven

Der Hörsaal HGC 10 war bis auf den letzten Platz gefüllt. Foto: Christopher Ophoven

„Wenn Sie alle ein Stück zusammenrücken passen auch in die Zwischenräume noch Leute.“ Der gut gemeinte Rat eines Bochumer Professors zeigte wenig Wirkung. Zu eng drängten sich die Leute bereits im Hörsaal als das noch mehr Zuhörer hingepasst hätten. Schon eine halbe Stunde vor Beginn der Veranstaltung waren alle Plätze restlos belegt. Fast entschuldigend erwähnte die Fakultät für Sozialwissenschaften, dass es leider keine Möglichkeit gegeben habe einen größeren Raum zu bekommen.

Vermehrt auf Elemente direkter Demokratie setzen

„Wir freuen uns sehr, dass Sie gekommen sind Herr Gabriel. Ihr Besuch heute dient dem Ziel dieser Veranstaltung. Denn wir wollen den Dialog zwischen Politik und Wissenschaft lebendig halten“, sagte Dekan Jürgen Straub zur Begrüßung. Dann trat Sigmar Gabriel ans Rednerpult und lies es sich nicht nehmen mit einem Witz einzusteigen. „Hören Sie mich? Auch in der letzten Reihe? Ob Sie mich verstehen werden wir ja dann nachher sehen.“ Gabriel zeigte sich erstaunt und begeistert aufgrund des großen Besucherandrangs. Dies spreche eindeutig gegen den vorherrschenden Trend der Politikverdrossenheit. Es stimme ihn zuversichtlich und mache Mut, dass so viele Interessierte anwesend seien, so Gabriel.

Dennoch ging auch Gabriel zu Beginn seiner Rede auf die Stimmungslage in der Bevölkerung ein. Demokratie sei immer von der Akzeptanz der Mehrheitsentscheidung abhängig. Die aktuelle Entwicklung in Deutschland und auch in anderen Demokratien Europas könne die Leute einfach nicht zufriedenstellen. Durch die Finanzkrise und die Querelen zwischen Politik und Wirtschaft sei das Vertrauen in die Demokratie zuletzt verloren gegangen. „Stärkere Partizipation an Entscheidungen die das Leben der Bürger bestimmen sind momentan auf dem Rückmarsch. Das kann niemandem gefallen, der auf die Grundlagen einer westlichen Demokratie vertraut“, sagte Gabriel. Wohl auch deshalb plädierte er anschließend für mehr Elemente direkter Demokratie.

Wieder mehr Demokratie wagen

Sigmar Gabriel (SPD) sprach über die Herausforderungen der Demokratie im 21. Jahrhundert. Foto: Christoper Ophoven

Sigmar Gabriel (SPD) sprach über die Herausforderungen der Demokratie im 21. Jahrhundert. Foto: Christopher Ophoven

Nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Europäischen Union solle vermehrt auf das Prinzip der bürgerlichen Mitbestimmung gesetzt werden. Nur so könne der Verdruss gestoppt und das politische Engagement wieder angetrieben werden. „Wenn klar wäre, dass ein Gesetz von den Bürgern hinterher nochmals angezweifelt werden könnte, werden sich Politiker mehr Gedanken darüber machen, anstatt es schnell und ohne Rücksicht durchzusetzen. Ich glaube da an eine sehr heilsame Wirkung.“ Als Beispiel direkter Mitbestimmung nannte Gabriel die Debatte um die Finanzmarktsteuer. Diese wird vor allem zwischen Politik und Wirtschaft ausgetragen. Dadurch, so Gabriel, bliebe die Meinung der Bürger außen vor. „Dabei lege der Zustimmungsgrad für eine Finanzmarktsteuer europaweit sicherlich bei 80 Prozent. Selbst in England, da bin ich mir sicher. Auch heute gilt noch der Slogan von Willy Brandt. Wir müssen mehr Demokratie wagen.“

Als größte Herausforderung für die entwickelten Demokratien bezeichnete Gabriel das Ohnmachtgefühl der Bürger gegenüber den Dingen die ihr Leben bestimmten und der Vertrauensverlust in die Politik, der nicht mehr zugetraut werde, dass sie die Lebensbedingungen positiv gestallten wolle. „Das Vertrauen, dass sich Engagement lohnt geht verloren. Dies ist eine gigantische Gefahr für eine lebendige Demokratie. Die Menschen müssen ihr leben selbst bestimmen und beeinflussen können“, so Gabriel. Es müsse gezeigt werden, dass die Menschen die Fähigkeit dazu besäßen.

Europa als Chance

Die Herausforderungen lösen? Kein einfaches Unterfangen und sicherlich nicht ohne das Umdenken vieler Politiker zu erreichen. Gabriel wird dies im Hinterkopf gehabt haben als er seine Lösungsansätze präsentierte. Den Kapitalismus müsse man „bändigen“, um ihn sozial und ökologisch neu auszugestalten. Nur dann würden die Leute wieder an die Politik und ihre Einflussnahme als Wähler glauben. Punkt zwei auf Gabriels Liste ist die Eurorettung. Für den SPD-Politiker steht dabei die ganze Europäische Union auf dem Spiel. Scheitert der Euro, scheitert Europa. Und das nicht nur auf finanzieller Ebene. „Menschen brauchen soziale Sicherheit. Ich glaube die Nationalstaaten schaffen das alleine nicht mehr. Sie brauchen eine erweiterte Heimat – und das ist Europa“, sagte Gabriel.

Der Andrang war so groß, dass die Studenten noch bis vor die Tür standen. Foto: Christopher Ophoven

Der Andrang war so groß, dass die Studenten noch bis vor die Tür standen. Foto: Christopher Ophoven

Im Anschluss an seine Rede nahm sich Gabriel noch eine Stunde Zeit. Es folgte eine lebhafte Diskussion zwischen den Studierenden und dem Parteivorsitzenden. Gesprochen wurde dabei vor allem über Europa und die Situation auf dem Arbeitsmarkt ohne Mindestlohn, die viele Studenten zu bewegen schien. Beifall erhielt Gabriel für sein Eintreten für einen gesetzlichen Mindestlohn. „Ich verstehe jeden der sagt wenn der Lohn zu gering ist, gehe ich nicht arbeiten. Wenn ich arbeite gehe, damit ich mir am Monatsende den Rest vom Arbeitsamt holen muss dann ist das absurd und nicht zu akzeptieren. Der Mindestlohn muss unbedingt kommen.“

Diskussion über den Mindestlohn

Für die Fakultät der Sozialwissenschaften war Gabriels Auftritt nicht nur wegen des hohen Besucherandrangs ein erfolgreicher Tag. „Ich fand das sehr anregend heute. Vor allem die Diskussion zwischen Herrn Gabriel und den Studenten fand ich prima und spannend. Gabriel ist auf die wichtigen Sachen eingegangen, hat schön kontrovers, aber auch solidarisch diskutiert. Es war sehr unterhaltsam“, so Politikprofessor Jörg Bogumil.

Der SPD-Politiker wäre auch noch länger geblieben, aber der Hörsaal musste für die nachfolgende Vorlesung geräumt werden. „Ich hätte gerne noch länger hier gemacht, aber der Professor lässt den Laden räumen“, rief er schmunzelnd.