Wenn Lockenwickler wie Geigen behandelt werden

Experimenteller Klang- und Medienkünstler, Trompeter oder Komponist – Rochus Aust ist Vieles und es fällt schwer, das alles in einen Begriff zu stecken. Zurzeit vertont und inszeniert der Kölner sogenannte KunstPicknicks im Rahmen von RUHR2010. Den Emscherlandschaftspark verwandelt er zusammen mit seiner Band „Re-Load Futura“ mal zu einer Unterwasserlandschaft, ein anderes Mal lädt er die Picknickgemeinde ein zu einer Reise quer durch die Jahrtausende. pflichtlektuere.com spricht mit Rochus Aust über Baumrinden als Inspiration, das erste deutsche Stromorchester und die Angst, in Schubladen zu landen.

Rochus, wie bist du auf die Idee gekommen, ein Picknick zu vertonen?

Harfenklänge bekamen die Besucher beim ersten der drei KunstPicknicks im Emscherlandschaftspark unter anderem zu hören.

Eine Harfe bei dem ersten der drei KunstPicknicks. Bild: Rochus Aust

Eigentlich bin ich in diesem Fall gar nicht selbst drauf gekommen, sondern das Picknick kam zu mir. Und zwar die Idee, in Form von einem Picknick irgendetwas zu machen. Erst nach einigem Nachdenken entstanden dann die großen Picknicks für RUHR2010 – die Idee das Konzept „Picknick“ in ganz verschiedenen Facetten aufzublättern: Wirkliche „Essens-Picknicks“, DJ-Picknicks und noch mehr. Meine Aufgabe ist es eben, die Kunst ins Picknick zu bringen. Das Vertonen ist da nur Teil des Prozesses.

Wie sieht dieser Prozess beim Picknick aus?

Ich schreibe oft Musik für eher ungewöhnliche Räume oder Situationen. Erst schaue ich immer, was ich am Ort genau finde. Im Picknickwald ganz klar: viele Nüsse, sehr viele Äste, noch mehr Blätter. Dann schaue ich außerdem auf Strukturen. Ich könnte zum Beispiel die abstrakte Struktur einer Baumrinde als Kompositionsplan nehmen – das geht auch.

Eine Rinde als Kompositionsplan?

Ja. Diese Rinde ist als Basis in sich völlig logisch und sowohl Zuschauer, Spieler als auch der Schreiber können dieser Logik folgen. Je logischer so ein Kompositionsplan ist, desto klarer wird auch die Aufführung.

Das klingt alles sehr experimentell. Dabei hast du mal ganz klassisch angefangen, hast in der Jungen Deutschen Philharmonie gespielt. Warum hast du dich für diesen Wechsel entschieden?

Es gab nie einen wirklichen Wechsel. Beides lief eine ganze Zeit parallel: die Arbeit mit neuen Medien, das Komponieren und das Trompete spielen in der Jungen Deutschen Philharmonie. Ich habe dort viel Schönes kennengelernt. Aber irgendwann merkte ich, dass ich in dem klassischen Betrieb meine neuen Ideen nicht richtig umsetzen konnte, oder nur mit sehr zähem Ringen. Ich habe dann alle Aktivitäten gebündelt und mich auf die experimentellere Schiene konzentriert.

Heute nennst du eure Auftritte oft visuelle Konzerte. Was unterscheidet ein visuelles Konzert von einem herkömmlichen?

Die normale Konzertform ist zutiefst klassisch. Nimm dir die spannendste Rockband und es ist trotzdem immer das Gleiche. Da steht eine Bühne, darauf steht der Interpret und die Zuschauer schauen alle nach vorn – fast wie beim Livefernsehen – auf eine Guckkastenbühne. Natürlich sind manche Konzerte auch visuell, aber eigentlich sind es immer nur Bildchen zur Musik oder Musik zum Bildchen. Bei visuellen Konzerten verzahne ich beides untrennbar ineinander.

Rochus Aust wird auch als visueller Trompeter gelistet (Bild: Claus Langer)

Rochus Aust wird auch als visueller Trompeter gelistet. Bild: Claus Langer

Was heißt das genau?

Wenn bei einem visuellen Konzert die Musik in einem Raum spielt, wird nur diese Musik in nur diesem Raum möglich und zwar nur für den, der diesen Raum betritt. „Visuelle Konzerte“ als Format sind der Versuch, einen Titel für das zu finden, was wir machen. Keiner soll hinterher rausgehen und sagen „Das war ein Konzert“ oder „Das war ein Theaterstück“. Sondern:  „Ups… Was war denn das jetzt?“

Was macht das mit dem Publikum?

Im Ergebnis sollen die Leute die jeweiligen Räume oder Situationen völlig anders sehen als vorher.

Also macht eure Musik im heimischen Wohnzimmer auf CD vermutlich nur wenig Sinn?

Mit einer CD und zwei Lautsprechern ist das Ganze zwar ein etwas anderes Konzept, als das was live war – aber es funktioniert auch für sich selbst. Nur ist es halt nicht das gleiche Produkt.

Würdest du deine Gruppe „Re-Load Futura“ als Band sehen?

Nun, das sind alles klassische Musiker. Einer dirigiert Opernprojekte auf der Münchener Biennale, ein anderer spielt in Bayreuth. Es ist mir ganz wichtig, dass die Leute handwerkliche Qualität besitzen und darin erfolgreich sind. Ich möchte nicht irgendwen in den Garten stellen und sagen der spielt jetzt irgendwas. Das wäre sehr schnell angreifbar. Wenn die Leute das aber richtig gut spielen, dann ist das eine Erfahrung, die das Publikum sonst so nirgends kriegen kann. Jemand, der in Bayreuth spielt, tut das normalerweise nicht im Wald.

Ihr habt auch das „erste deutsche Stromorchester“ gegründet. Steckt da manchmal auch Provokation dahinter?

Hinter dem Stromorchester steckt einfach der Wunsch, bestimmte Dinge vom „normalen Orchester“ mit rüber zu nehmen – vor allem die Disziplin und auch die Konsequenz, mit der Instrumente dort behandelt werden.

Nur spielt ihr, statt mit klassischen Instrumenten, mit elektrischen Haushaltsgeräten.

Ja. Mit genau derselben Akribie und Qualität behandelten wir nun auch Rasierer oder Lockenwickler, um zu sehen: Was geht eigentlich? Und es ist unglaublich, was alles geht. Wir hatten 127 Geräte, darunter 70 Föne, die wir wie Geigen behandeln und auf denen wir symphonische Kompositionen spielen.

Hast du einen Namen für das, was du machst?

Schwer. Also gelistet werde ich als visueller Trompeter. Aber eigentlich gibt es keine wirkliche Schublade – noch nicht. Aber mich gruselt es ein bisschen davor, falls es die mal geben sollte. Dann werden auch automatisch wieder irgendwelche Standards gemacht.

Vielen Dank für das Gespräch.

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