Besetzt die Neunte Stadt!

Die alte Unionsbrauerei und das „U“ als Symbol der Stadt Dortmund haben vermutlich noch nie so schillernde Tage erlebt – von Videoleinwänden gesäumt thront das goldene Wahrzeichen nun auf einem Kreativzentrum. Der Rat der Stadt hat für den Umbau des Gebäudes Ausgaben von bis zu 16 Millionen Euro gebilligt. Gesamtkosten: fast 50 Millionen Euro. Eröffnet ist es schon. Über den Nutzen städtisch geförderter  „Kreativquartiere“ streitet man allerdings abseits der politischen Bühne. In Künstlerkreisen im gesamten Ruhrgebiet regt sich Widerstand gegen die offizielle Kulturhauptstadt. Die „freie Kunstszene“ fordert Raum für ihre Arbeit – zu günstigen Preisen, „ohne Wettbewerb und Verwertungszwang“. Nach Hausbesetzungen stehen die Aktivisten nun im Dialog mit Stadtverwaltungen und Politik, fordern ihr „Recht auf Stadt“. Ihre stärksten Argumente: Brache und Leerstand.

Kultur am Boden? Theater-Protest vor dem Dortmunder Rathaus. Foto: J. Mueller-Töwe

Kultur am Boden? Protest vor dem Dortmunder Rathaus. Foto: J. Mueller-Töwe

Die Kronen-Brauerei an der Märkischen Straße ist ein solcher Leerstand. Ein Überbleibsel der einst strahlenden Erfolgsstory einer Familiendynastie, ein Gegenpol zum schillernden U der Unionsbrauerei. An der “Kronenburg” wurde bis 1996 über hundert Jahre lang das Bier hergestellt, das noch heute in jeder Trinkhalle Dortmunds in den Kühlregalen steht. Nun soll es vermutlich einem RWE-Gebäude weichen.

Dass das Gelände in einigen Jahren einer neuen Nutzung zugeführt werden soll, ist hingegen eher die Ausnahme. Der Projektstudie „Städteregion Ruhr.2030“ der Fakultät Raumplanung an der Technischen Universität Dortmund zufolge existiert in den acht größten Ruhrgebietsstädten brachliegender Raum für eine „Neunte Stadt“. Einige der potenziellen Kreativwirtschaftler zieht es eher in diese Stadt der Brache als in die Leuchtturm-Projekte der Kulturhauptstadt Ruhr.2010. Der Grund: Sie können sich die Miete für ein Atelier oder eine Galerie, einen Proberaum oder ein Theater nicht leisten – und wollen trotzdem unabhängig bleiben, selbstverwaltet. Vorbild ist für viele das Hamburger Gängeviertel, das nun seit über einem Jahr als selbstverwaltetes Kreativzentrum genutzt wird.

Aktivisten besetzen ehemalige Kronen-Brauerei

Mitte August öffnete deswegen die Dortmunder „Initiative für ein Unabhängiges Zentrum” (UZ) die leerstehende Kronen-Brauerei. “Öffnen” – das heißt im Sprech der Aktivisten: ein Gebäude ohne vorherige Absprache mit dem Eigentümer für die Öffentlichkeit nutzbar zu machen, als Kunstatelier, Galerie, Konzertbühne. In der Sprache der Behörden heißt es anders: “Besetzung”. Nur wenige Stunden wurden die Künstler im Gebäude geduldet, das im Besitz eines ehemaligen CDU-Ratsherren ist. Dann räumte die Polizei.

Stadtsoziologe Tino Buchholz vor der Kronen-Brauerei. Foto: J. Mueller-Töwe

Stadtsoziologe Tino Buchholz vor der Kronen-Brauerei. Foto: J. Mueller-Töwe

Stadtsoziologe Tino Buchholz begleitete die Aktion. Seiner Meinung nach gibt es kein griffiges Argument gegen eine Zwischennutzung von Leerstand durch künstlerische Initiativen. „Das macht auch aus ökonomischer Sicht für die Eigentümer Sinn“, sagt Buchholz, der derzeit an der Universität Groningen promoviert. Die „Initiative für ein Unabhängiges Zentrum“ werde einen Leerstand schließlich nicht nur in Stand halten, sondern auch in Wert setzen. „Die Ruhr.2010 hat den Slogan ‚Wandel durch Kultur‘ – wir nehmen das wörtlich.“ Der Werbeeffekt für die Immobilie und das Viertel sei von großem Vorteil auf dem Markt, die Nutzung beuge Vandalismus vor, habe außerdem einen nachbarschaftlichen Effekt. „Die Leute sehen dann doch, dass da etwas passiert – ein Angstraum weniger.“

Anderer Ansicht ist Jörg Stüdemann, Kulturdezernent der Stadt Dortmund. Die „Nutzungsüberlassung“ von Immobilien in städtischem Besitz reduziere die „Vermarktungschancen bzw. den erzielbaren Kaufpreis“ und sei deswegen nicht zu empfehlen, ließ er die CDU-Fraktion im Dortmunder Stadrat auf Anfrage wissen. Die Christdemokraten hatten sich ebenso wie die Grünen für die Idee der Zwischennutzung interessiert.

Stüdemann zur Seite steht an anderer Stelle die Vermögensverwaltungs- und Treuhand-Gesellschaft des Deutschen Gewerkschaftsbundes (VTG). Als Anfang August in Essen die Kunstinitiative „freiraum.2010“ ein ehemaliges Verwaltungsgebäude des DGB besetzte, reagierte die VTG ebenfalls mit Räumung. Die Besetzung war auch ein Hilfeschrei.

Nur zwei Tage dauerte die Besetzung hier in Essen - in Dortmund dauerte die "Raumöffnung" jedoch nur wenige Stunden. Foto: J. Mueller-Töwe

Nur zwei Tage dauerte die Besetzung in Essen. Foto: J. Mueller-Töwe

Viele Künstler haben keine Arbeitsräume

„Wir haben seit Jahren verhandelt – mit der Stadtverwaltung, mit Ruhr.2010, mit Privateigentümern. Entweder war es zu teuer oder hat sich irgendwo im Behörden-Wirrwarr verloren“, sagt der Essener Künstler Joscha Hendricksen. „Wir brauchen aber Arbeitsräume“, ergänzt er. Während der zweitägigen Besetzung wurde das Erdgeschoss als Austellungsfläche und Raum für Jam-Sessions genutzt, in den Geschossen darüber sollten Ateliers und Proberäume, Foto- und Filmstudios entstehen. Nun steht das Gebäude wieder leer. Die Verhandlungen liefen aber weiter, sagt Hendricksen. Bei den Gesprächen zwischen VTG und Künstlern trete Dieter Gorny als Vermittler auf. Er ist künstlerischer Direktor der „Ruhr.2010 – Kulturhauptstadt Europas GmbH“ – der Gesellschaft zur Vorbereitung und Durchführung der Kulturhauptstadt.

Trotz dieses symbolischen Schulterschlusses sind die Künstler der Ruhr.2010 gegenüber skeptisch. Zwar sind viele von ihnen auch in Projekte der Kulturhauptstadt eingebunden – trotzdem bleibt für sie ein fader Beigeschmack. „Manche kann man mit dem Begriff ‚Kreativwirtschaft‘ jagen“, sagt Hendricksen. Kunst müsse unabhängig von „Wettbewerb und Verwertungszwang“ sein. Die Ruhr.2010 hingegen installiere „Leuchtturmprojekte, die Touristen anlocken“. Kunst und Kultur würden somit auf ihren wertsteigernden Standorteffekt reduziert, ergänzt Stadtsoziologe Buchholz.

Die Frage, ob authentische Kunst in „Kreativwirtschaft“ gedeihen kann, hätten Adorno und Horkheimer vermutlich schnell und entschieden beantwortet. Dabei hätten die Marx’schen Begriffe „Gebrauchswert“ und „Tauschwert“ eine entscheidende Rolle gespielt. Die Sozialphilosophen benannten den Gegensatz von Kulturware und authentischen Kunstwerken in der „Dialektik der Aufklärung“.

Also doch alles nur linke Kunst- und Hausbesetzungsromantik?

Es ist insofern mehr, als sich die Initiativen auch auf den linker Umtriebe eigentlich unverdächtigen US-Ökonomen Richard Florida berufen. Er beflügelte mit seinem Buch „The Rise of the Creative Class“ die Phantasien nicht nur der Stadtplaner, sondern auch der Kreativszene selbst. Buchholz zum Beispiel erkennt den ökonomischen Wert kulturellen Schaffens an und wirbt mit ihm für die Initiativen – obwohl er mit der Instrumentalisierung der Kultur ebenso wenig glücklich ist wie Hendricksen.

Gentrifizierung durch Leuchtturm-Projekte der Ruhr.2010? Foto: J. Mueller-Töwe

Umstrukturierung von Stadtvierteln durch Leuchtturm-Projekte der Ruhr.2010? Foto: J. Mueller-Töwe

„Das alles folgt einer knallharten unternehmerischen Logik – die Städte stehen in Konkurrenz zueinander und buhlen um den Faktor Kreativwirtschaft. Dafür sind Leuchtturmprojekte aber geeigneter als kleine Theaterbühnen – das denken viele Planer jedenfalls“, sagt Buchholz. Das „quasi gescheiterte“ Projekt „Brückstraßenviertel“, mit dem der umliegende Teil der Innenstadt umstrukturiert werden sollte, lege den Schluss nahe, dass die Kreativen sich eben nicht bevorzugt an Projekten wie dem Konzerthaus oder dem Dortmunder U orientierten. Das 2002 gebaute und hochsubventionierte Konzerthaus habe für die Entwicklung des Viertels zumindest keinen spürbar positiven Effekt gehabt. Berichte von selbstständigen Unternehmern stützen diese These. Hohe Mieten vertreiben Gastronomien. Es bleiben Billigläden und Imbissbuden.

Kreativwirtschaft als Kommerzialisierungs-Motor

Der wirtschaftliche Druck auf die Kommunen und die daraus resultierende unternehmerische Logik, sagt Buchholz, hätten in der Raumplanung, die sich seit den 60-er Jahren „demokratisiert“ habe, zu einem Rückschritt geführt. Sie orientiere sich heute fast ausschließlich an ökonomischen Faktoren. Die vielfach gelobte „Kreativwirtschaft“ sei deswegen nur ein Weg den Standortfaktor zu verbessern und weitere Flächen zu kommerzialisieren.

Gegen diese Veräußerung öffentlichen Raums protestiert auch die Kunst-Initiative „basta!“ im wirtschaftlich angeschlagenen Witten. Besonderes Augenmerk widmet sie dabei dem Gelände der Villa Lohmann – einem tradtionsreichen Unternehmergebäude, in dem im Moment das Standesamt untergebracht ist. Zu ihr gehört auch ein 3500 Quadratmeter großer Stadtpark. Nach der Villa des ersten Oberbürgermeisters der Stadt, sei die Villa Lohmann „eine weitere Landmarke, ein weiteres Stück Wittener Identität“, sagt Sprecher Knut Unger. Aus der Finanznot der Stadt heraus soll sie aber verkauft werden.

Nur wenige Stunden dauerte die Besetzung für ein "Unabhäniges Zentrum" in der Dortmunder Kronen-Brauerei. Foto: J. Mueller-Töwe

Nur wenige Stunden dauerte die Besetzung für ein "Unabhäniges Zentrum" in der Dortmunder Kronen-Brauerei. Foto: J. Mueller-Töwe

„basta!“ könne sich eine künstlerische Nutzung der Villa Lohmann zwar durchaus vorstellen. Das Geld für mehr als ein symbolisches Gebot fehlt der Initiative aber. Deswegen umzäunte sie das Gelände mit rotem Flatterband. „Um den Wittenern zu zeigen, was künftig für sie nicht mehr nutzbar ist“, erläutert die Aktionskünstlerin Margarethe Eppendorf, die auch die UZ-Initiative in Dortmund besuchte.

Raum ist vorhanden – nur für wen?

Die Initiativen in Dortmund, Essen und Witten arbeiten für die Idee der „Stadt als soziales Gefüge“, sagt Soziologe und Raumplaner Tino Buchholz. Dieser Gedanke lasse sich allerdings mit dem Bild der „Stadt als Unternehmen“ oft nur noch schwer vereinbaren. Dafür sprechen seiner Ansicht nach auch die Veräußerungen im Bereich des sozialen Wohnungsbaus – nicht nur in Dortmund, auch im übrigen Bundesgebiet. Raum sei in den Städten schon vorhanden – nur für wen?

Mitte September, vier Wochen nach der Besetzung der Kronen-Brauerei an der Märkischen Straße, zeigt sich die Dortmunder UZ-Initiative in ihrem Internet-Blog enttäuscht von den Verhandlungen mit der Stadt. Die Blockadehaltung mancher Eigentümer – nicht nur der Initiative, sondern auch der Stadt gegenüber – sowie Kompetenzgerangel in der Verwaltung erschwerten das Vorankommen des Projekts, heißt es.

Weitere Aktionen zur „Öffnung“ von Leerständen behält sich die Initiative ausdrücklich vor. Auch in Essen scheinen die Verhandlungen zu stocken. Bisheriges Ergebnis: keins.

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