Frei von Sünde?

Wenn die Worte Homosexualität und Kirche fallen, sind Konflikte vorprogrammiert. Aber denken Priester im 21. Jahrhundert wirklich noch, Schwule und Lesben lebten in Sünde, bloß weil sie ihre Liebe frei ausleben? Das wollte ich herausfinden und habe mich deshalb in Beichtstühlen geoutet. Ich wollte wissen, was die Priester wirklich über einen jungen schwulen Mann wie mich denken. Die drei Gespräche sind als Erinnerungsprotokolle verfasst. Sie zeigen, dass mit dem Generalurteil „Die Kirche hasst Schwule“ vielen Priestern Unrecht getan wird, die in ihrer Gemeinde keinen Freiraum für Intoleranz dulden.

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Ist es eine Sünde, schwul zu sein? Oder macht erst der Sex die Homosexualität zur Sünde? Oder kann ich doch guten Gewissens mein Schwulsein ausleben? Diese Fragen will ich den Beichtvätern stellen.
Mein erstes Gespräch führe ich in einer großen Kirche einer westfälischen Großstadt.

Und Du willst also beichten?
Naja, eigentlich will ich nur wissen, was Gott über mich denkt.
Wo liegt denn das Problem?
Ich habe gemerkt, dass ich mich zu Männern hingezogen fühle.
Nun…diese Neigung ist erst einmal nichts Schlimmes. Es gibt einige Männer, die diese Neigung in sich tragen. Sie darf nur nicht ausgelebt werden.
Warum nicht?
Weil das in der Bibel steht. Dort steht geschrieben, dass Männer nicht miteinander ins Bett gehen dürfen. Normale Zuneigung unter Männern ist okay, aber nur freundschaftlich.
Aber warum fühlt es sich dann gut an, wenn ich mit einem Mann zusammen bin, wenn Gott das eigentlich gar nicht will.
Nun…gut und schlecht liegen da nah beieinander. Aber gut ist alleine die freundschaftliche Zuneigung.
Siehst Du, in der Bibel hat es auch viel engen Kontakt unter Männern gegeben. Zwischen Jesus und Johannes zum Beispiel. Es gibt in der Bibel viele solcher engen Beziehungen. Aber sie waren alle bloß freundschaftlich.
Wenn Du also jemanden hast, den Du gern hast, ist das vollkommen okay, solange ihr eben nicht zusammen ins Bett geht.
Und wenn ich es doch tue?
Dann ist das eine sehr schwere Sünde..
Von der ich aber befreit werden kann?
Nun, natürlich kann die Reinwaschung durch die Beichte die Last dieser Sünde von Dir nehmen. Aber Gott will ja auch nicht, dass Du nun jedes Mal mit einem Mann intim wirst und dann diese Sünde in der Beichte von dir nehmen lässt…
Ist es denn schon mal dazu gekommen?
Ja, es gab diese Situationen.
Darf ich fragen, wie alt Du bist?
Ich bin 20.
Nun, es ist aber auch nicht ungewöhnlich, dass ein junger Mann noch nicht so ganz weiß, wie
seine Neigungen sind und verwirrt ist, was diese Dinge angeht. Gerade wenn man noch nicht so viele Erfahrungen mit Frauen gemacht hat… Ich meine, es ist ja gut, wenn Du Dir das aufhebst und nicht wie viele in deinem Alter, die da sehr viel aktiver sind…
Wissen Sie, ich bin mir ziemlich sicher, dass ich Frauen sexuell nichts abgewinnen kann.
Hm, verstehe. Nun, dann kann es sein, dass Gott dir wirklich diese Herausforderung gestellt hat, damit du sie bekämpfst.
Bekämpfen? Sie meinen, er hat einen Plan mit mir?!
Er hat mit uns allen einen Plan. Sowohl mit den Menschen, die für die Ehe zwischen Mann und Frau und Familie gemacht sind, aber natürlich auch mit denen, die für ein eheloses Leben bestimmt sind. Wie zum Beispiel Priester oder eben Männer wie Dich, die so eine Neigung besitzen. Wobei ich jetzt nicht sagen will, dass das eine mit dem anderen zusammengehört.
Aber wenn Gott mich nun vor so eine große Herausforderung gestellt hat, meine Liebe zu bekämpfen, hat er dann einen besonderen Plan?
Das weiß der liebe Gott nur ganz allein. Aber ich würde hier nicht vom Kampf gegen eine Liebe sprechen. Es ist eher eine Neigung, die nun mal nicht dem Plan von Gottes Schöpfung entspricht.
Aha. Aber wenn ich mich dieser Herausforderung nun stellen möchte, wie kann ich das anstellen?
Nun, Du musst der Neigung widerstehen. Wie ich schon sagte, die Neigung ist nicht sündhaft. Nur sie auszuleben ist eine schwere Sünde.
Betest Du viel?
Ja, ich bete.
Dann bist du auf einem guten Weg. Suche den Kontakt mit Gott und Christus. Bete viel, kommuniziere mit Gott und der heiligen Gottesmutter Maria. Empfange die Sakramente.
Und Sie meinen, wenn ich den engen Kontakt mit Christus suche, kann ich von der Neigung loskommen?
Davon bin ich überzeugt.
Und das kann dann auch heterosexuelle Neigungen in mir wecken?
Das weiß ich nicht, aber ich glaube schon. Siehst du, der Herr gibt uns manchmal Laster auf, denen wir uns stellen müssen. Er wird Dir aber auch immer dabei helfen, diese zu überwinden. Er liebt uns schließlich alle.
Das heißt: Gott liebt mich genauso wie meine heterosexuellen Mitmenschen?
Ja, das tut er ganz sicher. Er liebt uns alle gleich.
Das ist ja beruhigend.
Ja…Möchtest Du denn auch beichten oder war es das von Dir aus?
Ich denke, ich wollte nur diesen Rat.
Okay. Ich werde für dich beten. Alles Gute!

Ich gehe mit gemischten Gefühlen aus dieser ersten Begegnung. Dass ich bei meinem ersten Besuch direkt auf einen Hardliner treffe, der Homosexualität für heilbar hält, solange ich nur viel bete, hätte ich nicht gedacht.
Allerdings scheint es mir so, als wollte der Beichtvater eigentlich nur das Beste für mich. Während des Gespräches lächelte er sehr viel und schien sich Mühe zu geben, die richtigen Worte zu finden.
Das Urteil ist für ihn jedoch klar: Sollte ich jemals meine „Neigung“, wie er es nennt, ausleben, begehe ich eine schwere Sünde. Eine richtige Begründung konnte er mir dafür nicht geben, aber: in der Bibel steht es so.

Ganz anders sieht das ein Beichtvater, den ich in einer kleinen Gemeindekirche im Ruhrgebiet aufsuche.

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Homosexualität und Kirche – ein heikles Thema? Foto: Marie Cabianca/flickr.com

Ich habe folgendes Problem: Ich habe gemerkt, dass ich schwul bin und ich weiß nicht so ganz, wie ich damit umgehen soll und wie Gott das Ganze sieht.
Oh, nun mal langsam. Fangen wir mal mit dem zweiten Punkt an. Erst einmal: Die Tatsache, dass Sie homosexuell sind, hat nichts mit Schuld und Sünde zu tun. Da müssen Sie sich keine Sorgen machen.
Aber die Kirche findet es doch nicht gut, wenn ich meine Sexualität auslebe?
Nun, ich kann Ihnen einmal sagen, was die Römische Lehre über Homosexualität sagt und was ich darüber denke.
Wenn ich es richtig verstanden habe, steht Rom der Homosexualität kritisch gegenüber?
Das stimmt nicht ganz. Sie haben Recht, dass die allgemeine Römische Lehre Menschen mit einer homosexuellen Veranlagung in der schicksalshaften Pflicht sieht, ein enthaltsames Leben zu führen. Aber die Kirche sieht den Homosexuellen nicht grundsätzlich als sündig oder gar schuldig an.
Kürzlich hat beispielsweise Papst Franziskus in einem Interview gesagt: „Wer bin ich, dass ich über diese Menschen urteile“ und er sagte, dass Homosexuelle nicht ausgegrenzt werden dürfen.
Selbst die deutschen Bischöfe haben in der Würzburger Synode in den 1970er Jahren in einem Arbeitspapier zur menschlichen Sexualität festgestellt, dass Sexualität nicht nur zum Kinder kriegen da ist, womit ja auch das weit verbreitete Argument ausgeräumt wäre, Homosexualität sei nicht gut, weil zwei Männer sich nicht fortpflanzen können.
Sie sehen: Die Kirche ist da sehr unsicher. Schließlich hat man sich nie getraut, dieses Arbeitspapier zu einem offiziellen Dokument zu machen.
Ich habe mitbekommen, wie sich der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck in einer Talkshow bei Anne Will einmal sehr negativ über Homosexuelle geäußert hat und sagte, dass Homosexuelle grundsätzlich sündig lebten.
Ich erinnere mich daran. Ich habe den Eindruck, dass die Kirche im Umgang mit dieser Sache auf einem Weg ist wie bei der Frage ob Priester heiraten dürfen.
Ich persönlich denke, wenn Gott Sie mit der Fähigkeit ausgestattet hat, so zu lieben, dann sollen Sie auch so lieben!
Die Frage ist dann nur, wie Sie ihr Leben gestalten wollen, was wiederum mit Ihrer Anfangsfrage  zu tun hat, wie Sie mit Ihrer Homosexualität umgehen wollen.
Haben Sie denn schon mal Kontakt zu anderen Schwulen gesucht?
Ja, ich habe mich da schon mal, sagen wir umgeschaut.
Nun, in diesem Bereich kann ich Ihnen auch leider nicht helfen. Die homosexuelle Szene hat ja häufig einen anrüchigen Ruf, besonders schnelllebig zu sein. Und außerhalb davon verstecken viele Homosexuelle ihre Neigung. Es ist sicherlich schwierig, jemanden zu finden, der erstens offen dazu steht und den sie dann auch noch interessant finden, damit meine ich nicht nur körperlich interessant, sondern auch geistig. Und der Sie drittens dann auch noch lieb hat.
Nun ich dachte mir wohl, dass Sie mir diesbezüglich eher nicht helfen können.
Aber ich wollte noch einmal darauf zu sprechen kommen, wie das mit der Kirche ist…
Er unterbricht: Sie sollten sich von niemandem einreden lassen, Ihre Liebe zu unterdrücken. Wie gesagt: Gott hat Sie nicht umsonst so geschaffen.
Ich denke, Jugendliche, ganz gleich ob homo- oder heterosexuell, sollten in die Sexualität hineinwachsen, wenngleich ich denke, dass der bloße Fokus auf Sex, Pornographie und auf schnellen Partnerwechsel keine Erfüllung bringt.
Bei der Sexualität geht es ja nicht nur ums Fortpflanzen oder bloße Triebbefriedigung, sondern auch vor allem darum, sich für einen Partner zu öffnen und gemeinsam seine Sexualität zu entdecken.
Ich weiß ja nicht, ob Sie mit Ihren Eltern darüber reden können, aber ich glaube für Ihren eigenen Umgang mit der Sache ist es gut, wenn Sie sich jemandem öffnen können.
Die Frage ist dabei immer, wie so ein Outing aufgenommen wird…
Nun, wie gesagt, ich weiß nicht, wie das mit Ihren Eltern ist, aber generell denke ich, dass die Gesellschaft, wie auch unsere Gemeinde hier, Schwule im Großen und Ganzen akzeptiert. Ich kann da natürlich nicht für alle sprechen, aber das ist so mein Eindruck. Ich habe auch in meinem Freundeskreis schwule Freunde und selbst meine Mutter hat mir immer gesagt: „Wenn du schwul wärst, ich hätte dich trotzdem lieb, du bleibst ja mein Sohn.“
Haben Sie Mut, ich weiß, es ist nicht einfach.

Auch in einer kleinen Klosterkirche in einer westdeutschen Großstadt versucht man mir meine „Sorgen“ zu nehmen. In einem kleinen Beichtzimmer sitze ich mit dem Beichtvater am Tisch. Als ich mich oute, lächelt er.

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Kann Liebe Sünde sein? – Aufnahme vom CSD in Köln. Foto: mickebear/flickr.com

Und Du bist ein gläubiger Katholik?
Ja, so würde ich mich schon bezeichnen.
Naja, dann muss ich Dir ja nicht erklären, was die Kirche offiziell dazu sagt.
Nein, das ist mir ungefähr bekannt.
Die Frage ist ja jetzt viel mehr, wie Du damit umgehst. Sagst Du es deinen Eltern oder lieber nicht, sollen es Freunde wissen oder lieber nicht. Oft haben ja junge Männer wie Du dann Sorgen, was das Umfeld über sie denkt.
Hast Du es denn schon jemandem erzählt?
Ja, einem guten Freund.
Und wie hat er reagiert?
Alles in allem sehr gut.
Na das ist doch schon mal ein guter Anfang. Ich glaube, es ist gut, wenn Du Dich Leuten anvertraust. Ob jetzt in der Familie, bei Freunden, Im Job oder sonst wo. Wie ist denn Dein Umgang damit?
Nun ja, ich habe damit eigentlich für mich kein Problem. Es ist nur so wie Sie sagen: Ich habe natürlich Sorgen, wie mein Umfeld darauf reagiert.
Das ist verständlich. Aber wenn Du selbst mit Dir diesbezüglich im Reinen bist, ist das schon einmal wichtig. Und ich denke, das macht es auch einfacher, sich anderen Menschen anzuvertrauen.
…Aber ich weiß noch nicht so ganz wie ich das mit meinem Glauben vereinbare.
Wie gesagt: Was in der Bibel dazu steht, muss ich Dir wohl nicht erklären. Die Kirche war da bis jetzt immer sehr extrem eingestellt, aber Gott sei Dank haben wir ja jetzt Papst Franziskus, der der katholischen Kirche mal wieder ein bisschen Barmherzigkeit verleiht.
Vielleicht hast du mitbekommen, was er zuletzt in einem Interview dazu gesagt hat. Er sagte „Wer bin ich, dass ich über so einen Menschen urteile“. Und so würde ich es auch zu Dir sagen. Schließlich kannst Du ja auch nichts dafür, Du bist ja nunmal so geschaffen. Allein deshalb erlaube ich mir da kein Urteil.
Man hört ja immer von allen Seiten in der Kirche etwas anderes. Ich selbst kann mir nicht vorstellen, dass Gott mich dafür verurteilt. Schließlich tue ich damit ja niemandem etwas Schlechtes, wenn ich mit einem Partner zusammen bin, der mich liebt und den ich auch liebe. Aber wenn die Kirche das anders sieht, glauben wir dann an denselben Gott?
Noch einmal: In der Bibel gibt es viele Stellen, die Homosexualität verurteilen. Diese Stellen müssen aber auch zum Teil historisch hinterfragt werden. Die Kirche stützt sich natürlich immer wieder auf das Argument, dass Sexualität rein der Fortpflanzung dient und da dies bei Homosexuellen nicht möglich ist, steht sie dem kritisch gegenüber.
Ich persönlich glaube nicht, dass Gott etwas dagegen hat, wenn sich zwei Menschen lieben. Auch nicht, wenn es zwei Männer oder zwei Frauen sind. Ich könnte mir auch nicht theologisch herleiten, warum Gott das schlecht heißen würde. Schließlich sehen wir in Gott selbst ja die Liebe.
Von daher denke ich schon, dass wir an denselben Gott glauben.
Wenn es eigentlich keine theologische Herleitung dafür gibt, warum fährt die Kirche dann so eine harte Linie?
Nun, ich glaube, vieles hängt auch mit der Außenwahrnehmung zusammen. Schwule haben ja überall in der Gesellschaft häufig mit dem Vorurteil zu kämpfen, sie würden ein sehr ausschweifendes Sexualleben haben, in dem Liebe überhaupt nicht im Vordergrund steht, sondern die bloße Triebbefriedigung.
So etwas verurteilt die Kirche, aber so etwas verurteilt sie auch bei den Heterosexuellen. Wir sind in der ganzen Sache noch auf einem langen Weg. Wie gesagt: Ich glaube, dass es nicht zu verurteilen ist, wenn zwei Menschen aus Liebe miteinander schlafen.
Nun, ich gebe zu, dass die schwulen Szenen meist nicht so wirken als würden sie sich die Mühe geben, das anders darzustellen.
Ja, da magst Du Recht haben. Aber das soll im Moment, wie ich finde, nicht Deine Sorge sein.
Du solltest gucken, dass Du glücklich mit deinem Leben wirst und Deinen Weg findest. Und dabei wird Gott Dich nicht verurteilen, da bin ich sicher.
Das hoffe ich!
Nun, da ich keine Sünde bei Dir sehe, von der ich Dich freisprechen könnte, denke ich, war es das auch. Aber ich würde Dir noch gerne einen Segen mit auf den Weg geben.

Ich kann also erleichtert sein. Auch dieser nette Beichtvater sieht mich „frei von Sünden“; zumindest, was mein Sexualleben betrifft.
Natürlich liefern drei Beichtgespräche mit Priestern keine wissenschaftliche Aussage darüber, wie tolerant die katholische Kirche ist.
Aber ich habe den Eindruck, dass es mehr Geistliche gibt, die Liebe von Schwulen und Lesben respektieren, als es scheint.
Das Problem ist aber offensichtlich: Mit solch toleranten Statements, die Priester im privaten Gespräch äußern, geraten sie mit der bis dato offiziellen Lehre der Kirche in Konflikt. Oder doch nicht?
Wie positioniert sich die katholische Kirche heute eigentlich offiziell zur Homosexualität? Verurteilt sie Schwule und Lesben generell? Oder gibt es Annäherungen?
Um das herauszufinden, habe ich Monsignore Dr. Michael Dörnemann, Leiter des Dezernates Pastoral im Bistum Essen, interviewt.

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Dass Schwule und Lesben eines Tages kirchlich heiraten dürfen, ist unwahrscheinlich. Foto: itsabitblurry/flickr.com

Herr Dörnemann, was hält die katholische Kirche von Schwulen und Lesben?
Das kann man nicht so kurz und knapp beantworten. Da müssen wir schon etwas weiter ausholen.
Nur zu.
Erst einmal: Die Kirche respektiert jeden Menschen, egal wie er veranlagt ist. Schließlich ist jeder Mensch laut der biblischen Botschaft ein Abbild Gottes und hat eine unantastbare Würde.
Deshalb hat sich die Kirche im Katechismus dazu bekannt, Menschen mit einer homosexuellen Veranlagung zu respektieren und einer Diskriminierung eine Absage erteilt.
So viel zur Veranlagung. Wie sieht es aber nun aus, wenn zwei Männer oder zwei Frauen Sex haben?
Wenn es um homosexuelle Handlungen geht, müssen wir differenzieren. Wenn zwei Menschen, auch zwei Männer oder zwei Frauen, in einer verantwortungsvollen Partnerschaft in Treue leben, hat das einen anderen Charakter als wenn jemand seine Sexualität promiskuitiv auslebt. Letzteres sieht die Kirche sehr problematisch. Da macht es allerdings auch keinen Unterschied, ob derjenige homo- oder heterosexuell ist.
Sie sagten, solch eine Partnerschaft habe einen anderen Charakter. Das klingt nicht gerade begeistert.
Wir müssen eine homosexuelle Partnerschaft klar von der christlichen Ehe zwischen Mann und Frau unterscheiden. Eine homosexuelle Partnerschaft kann nie den gleichen Wert wie eine Ehe erreichen.
Warum nicht? Es geht doch bei beiden Beziehungsformen um Liebe.
Ein Kern der christlichen Botschaft ist, dass Mann und Frau füreinander geschaffen sind. Aus ihrer Liebe und Sexualität kann neues Leben entstehen. Sie ist unabdingbar für den Erhalt der Gesellschaft. Das unterscheidet sie grundlegend zur Homosexualität.
Wie kommt die Kirche zu diesem Urteil?
Fundamental für die christliche Botschaft sind natürlich die Bibel als Heilige Schrift und die Tradition. Bereits in den ersten Büchern des Alten Testamentes wird die Beziehung zwischen Mann und Frau gewürdigt. Auch im Markusevangelium betont Jesus, dass eine sexuelle Beziehung nur zwischen Mann und Frau in einer Ehe möglich sei.
In der Bibel steht aber auch „Auge um Auge, Zahn um Zahn“…
Gegen diesen Satz aus dem Alten Testament hat sich Jesus gewehrt. Ich weiß aber, worauf Sie hinaus wollen. Natürlich ist die Bibel ein zeitliches Dokument, das nicht „wörtlich“ buchstabengetreu genommen werden kann, sondern im Blick auf die jeweilige, also auch unsere heutige Gesellschaft gedeutet werden muss.
Human- und Naturwissenschaften stufen Homosexualität nicht mehr als Krankheit ein. Früher gab es diese Ansicht ja; und das nicht nur in der Kirche.
Die Kirche muss die Konsequenzen dieser Erkenntnisse natürlich in ihrer Lehre zur Kenntnis nehmen. Da ist die Kirche dran.
Das heißt konkret?
Die Kirche will Homosexuelle auf keinen Fall diskriminieren. Es geht ihr immer um das Wohl der Menschen. Homosexuelle Partnerschaften werden deshalb von der Kirche auch nicht mehr per se verurteilt. Schließlich ist das Bedürfnis nach Liebe und menschlicher Nähe auch für das seelische Wohl von Homosexuellen wichtig. Gleichzeitig muss ich nochmals betonen, dass eine solche Partnerschaft nie gleichwertig zur Ehe sein wird.
Sie haben anklingen lassen, dass die Kirche ihre Sicht auf Homosexualität also auch verändert hat. Ihre Lehre wandelt sich. Aber wie sieht Gott das eigentlich? Ändert er seine Meinung auch? Was hält er von Schwulen und Lesben?
(lacht) Gott schaut liebevoll auf jeden Menschen und reduziert den Menschen nicht allein auf seine sexuelle Veranlagung. Er schaut auf das gesamte Handeln des Menschen. Dies sollte auch der Blick der Kirche in der heutigen Zeit sein.
Wie meinen Sie das?
Die Kirche muss anfangen, ihren Fokus aus den Schlafzimmern zu nehmen und in die Wohnzimmer der Menschen zu schauen. Ob ein Mensch im Sinne der katholischen Lehre lebt, ist nicht primär davon abhängig wie er sexuell veranlagt ist und ob er seine Veranlagung auslebt, sondern ob er im Sinne christlicher Werte wie Nächstenliebe, Gottsuche und Verantwortung lebt. Und das hat erst mal nichts mit Sexualität zu tun.
Dennoch scheint aus Sicht der Kirche Homosexualität ja nicht den gleichen Wert wie Heterosexualität zu haben. Leben Schwule und Lesben dann nicht sogar in Sünde?
Nein, zumindest nicht aufgrund ihrer Veranlagung. Ob ein Mensch in Sünde lebt oder nicht, kann man aber auch nicht pauschal allein anhand seines Sexuallebens festmachen. Erst einmal: Als Sünde definieren wir eine Tat, die eine Beziehung zwischen den Menschen oder zwischen Gott und Mensch zerstört. So eine Tat hat jeder Mensch schon einmal begangen, egal ob in kleiner oder größerer Dimension. Somit ist kein Mensch frei von Sünde. Die sexuelle Veranlagung ist aber keine Sünde, egal ob Homo- oder Heterosexualität. Deswegen kann man so etwas auch nicht beichten.
Eine promiskuitive Auslebung von Sexualität besitzt natürlich sündhafte Züge, wenn der Mensch keine Rücksicht mehr auf seine Sexualpartner nimmt. Wenn zwei Menschen aber in Liebe und Treue miteinander leben, ist das keine Sünde. Inwiefern die Kirche solche Partnerschaften letztendlich würdigen kann, diskutiert sie zur Zeit.
Zusammengefasst: Die Kirche weiß noch gar nicht so richtig, was sie von Schwulen und Lesben hält?
Das kann man so nicht sagen. Es stimmt, dass die Kirche momentan mitten in einer Diskussion darüber ist, welchen Wert Partnerschaften in Treue und Verantwortung außerhalb der Ehe haben. Da gibt es natürlich auch unterschiedliche Ansichten zwischen den Kulturen und Bischöfe aus aller Welt müssen sich letztendlich auf eine Position einigen. So etwas dauert.
Was die Kirche von Homosexuellen hält, kann ich Ihnen aber an dieser Stelle nochmal klar sagen: Sie verurteilt die Menschen niemals aufgrund ihrer Veranlagung. Homosexualität ist keine Sünde, solange ein Mensch verantwortungsvoll mit ihr umgeht.
Danke für dieses Gespräch, Herr Dörnemann!

Teaserbild: KurtFML/flickr.com

Medienprojekt: Frei! (Teichmann)

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