Lasst es funken!

Oh oh, da liegen sie: Zettel-Teppiche mit wichtigen Hinweisen zur Hausarbeit und Prüfung, der Laptop ist voll mit Folien-Stoff, das in deine Birne muss und die Zeit drängt. Jeder hat da seine Methode: Durch die Bude spazieren und die geschmierten Notizen laut vorlesen, Bettlektüre und eine Nacht drüber pennen oder engagierte Kärtchen mit bunten Filzern designen. Boris Nikolai Konrad ist Gedächtnis-Weltmeister – und hat uns seine verraten.

Londons Taxifahrer haben den Plan im Kopf. Foto: pixelio.de/Uwe Duwald, Teaserfoto: flickr.de/poniblog

Londons Taxifahrer haben den Plan im Kopf. Foto: pixelio.de/Uwe Duwald, Teaserfoto: flickr.de/poniblog

Wer in London Taxifahrer werden möchte, muss vorher den verzweigten Stadtplan der Stadt auswendig lernen – mit zig tausenden Straßen und Sehenswürdigkeiten. Nach diesem Batzen Stoff ist der Hippocampus bei den Taxifahrern größer als bei anderen Menschen. Der Hippocampus sieht aus wie ein Seepferdchen und sortiert die eintrudelnden Informationen. Wichtiges wandert weiter zum zuständigen Hirnbereich, Unwichtiges verpufft. Mit dem Stadtplan im Kopf haben sich nicht nur neue Nervenzellen gebildet, auch die Verbindungen zwischen den älteren Zellen sind fester. Und Londons Taxifahrer sind keine Superhirne, auch unser Köpfchen ist allzeit bereit zur Höchstleistung.

„Ein schlechtes Gedächtnis gibt es nicht“, sagt Boris Nikolai Konrad. Er selbst ist Weltmeister im Namen- und Gesichter-Merken. Seine Finger wirbeln über das Kartenspiel, in einem Affenzahn schiebt er jede Karte wieder unter den Stapel. Boris Nikolai Konrad spielt kein Mau-Mau, er prägt sich nacheinander jede einzelne Karte ein. „Piek-Zehn, Kreuz-Ass, Caro-Sechs..“ – die Wörter schlüpfen ihm so schnell aus dem Mund, dass der Kartenaufdecker schon nicht mehr hinterherkommt. Eine Minute und zwanzig Sekunden – so lange hat Boris gebraucht, um sich die 52 Spielkarten zu merken. „Am Anfang habe ich noch eine Viertelstunde gebraucht, und hatte bloß 40 Karten richtig“, erinnert er sich. Klar, die Info muss gut verpackt sein, damit das Gehirn sie wiederfindet. Da gibt es Tricks und Kniffe. Aber danach ist es die alte Leier: Ohne Wiederholung versickert alles irgendwo im Hirnschmalz. Gedächtnissportler haben auch kein größeres Gehirn, sondern aktivieren einfach andere und mehr Gehirnbereiche als Menschen, die nur mit Zettelchen einkaufen gehen.

Boris Nikolai Konrad kann sich 119 Begriffe in fünf Minuten merken. Quelle: privat

Boris Nikolai Konrad kann sich 119 Begriffe in fünf Minuten merken. Foto: Boris Nikolai Konrad

Die Routen-Methode

„Wir müssen in Bildern denken, wenn wir uns Dinge gut merken wollen“, erklärt Boris Nikolai Konrad. Gedächtnissportler wie er merken sich Dinge oft mit der Routen-Methode. Dabei spazieren sie gedanklich die Lieblingswanderstrecke oder den Körper entlang und legen die Informationen an bestimmten Punkten ab. Eine Körperroute: Fuß, Knie, Oberschenkel, Bauch usw. Am Fuß legt er jetzt zum Beispiel die Wörter „Moos“ und „kauen“ ab, am Oberschenkel „Königin“ und „Glocke“. Nun eine Prise Fantasie: Ich laufe mit nackten Füßen über einen weichen Moosteppich, neben mir grast eine Kuh, sie kaut auf einem Moosballen herum. Auf der Kniekante meines Oberschenkels sitzt eine Königin, in der Hand schwingt sie eine große Glocke hin und her. Und wenn die Geschichte fertig erzählt ist, ploppen zwei Wörter auf, wenn wir an ein bestimmtes Körperteil denken. So haben wir uns gerade schon die größte und zweitgrößte Stadt Europas gemerkt: „Moos“ und „kauen“ gleich Moskau, „Königin“ und „Glocke“ gleich London.

Eine Prise Fantasie und der Stoff bleibt hängen. Foto: pixelio.de/Gerd Altmann

Eine Prise Fantasie und der Stoff bleibt hängen. Foto: pixelio.de/Gerd Altmann

In Bildern denken

Gedächtnisweltmeister Boris Nikolai Konrad ist früher in Gedanken viel am TU-Campus herumgelaufen, mehr als 250 Punkte lagen auf seiner Route im Kopf – genug Arbeitsspeicher für all die Formeln, die er während seines Studiums lernen musste. Von 2004 bis 2010 studierte er Informatik und Physik an der TU Dortmund.Wörter in Geschichten einflechten, okay,  doch wie soll das mit Zahlen gehen? „Für mich sieht die Zwei aus wie ein Schwan, die Vier ist ein Auto, die Acht ein Schneemann, die Neun eine Blume“, sagt Boris. „Wenn also das Hirn beim Konto-PIN an der Kasse öfter mal nicht zündet, dann bastelst du dir halt eine nette Geschichte drumherum.“ 2849 – Ein böser Schwan klaut einen Schneemann vom Feld, schwingt sich ins Auto und rast davon; statt einer Antenne wackelt eine Blume auf dem Dach.

Die ganzen Tipps im Alltag parat zu haben, erscheint irgendwie utopisch. Wer steckt sich schon vorher einen Weg im Kopf ab, wenn er sich die fünf ersten Bundeskanzler in Deutschland merken soll? Wohl die wenigsten unter uns. Aber vielleicht sollte man öfter mal Fantasie beweisen und all die Begriffe, die Tag ein Tag aus um uns flattern und irgendwie in unseren Schädel müssen, in lustige Geschichte verpacken.

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