1Live: Bildungsauftrag erfüllt?

Die Tattoos von Prominenten oder lieber die Top-5 Gefühlsausbrüche der Promis? Der Bildungsauftrag, den 1Live als öffentlich-rechtlicher Radiosender hat, ist im Programm  schwer zu erkennen. Denn nach einem Tag 1Live-Hören fragt man sich, was den jungen WDR-Sender überhaupt von privaten Sendern unterscheidet.

Sonntag, 11.00 Uhr: Der Radio-Wecker klingelt und 1Live holt mich mit „One More Night“ von Maroon 5 aus dem Schlaf. Es ist das erste von vielen seichten Pop-Liedern, die ich an diesem Sonntag auf 1Live höre. Wie bei den meisten Privatsendern liegt der Musikanteil auch bei 1Live nach eigenen Angaben bei 70 Prozent. 18 Minuten pro Stunde werden Wortbeiträgen also nur eingeräumt. Und die Moderatoren haben hörbar Schwierigkeiten, diesen Anteil zu füllen, denn die Beiträge sind zumeist sehr kurz und simpel.

Besser Qualität als Quote

Tattoos und Gefühlsausbrüche von Prominente: 1Live berichtet häufig über Stars. Foto: Sabrina Gonstalla/pixelio

Tattoos und Gefühlsausbrüche von Prominente: 1Live berichtet häufig über Stars.Foto: Sabrina Gonstalla/pixelio.

11.50 Uhr: Nachdem ich bereits Tipps bekommen habe, wie meine Verliebtheit länger anhält, erfahre ich nun, dass Christina Aguilera das unsinnigste Promi-Tattoo hat und denke: Selbst wenn die Rede-Quote eingehalten wird, ist sie bei 1Live ähnlich sinnvoll wie eine Deutschquote im Radio. Wenn die Wortbeiträge nicht die entsprechende Qualität haben, ist eine Quote sinnlos.

12 Uhr: Erstmal Nachrichten. Krieg in Syrien, diplomatische Gespräche zwischen dem Iran und den USA, Fußball-Berichterstattung. Immerhin in den Nachrichten kann 1Live zum Teil die Grundversorgung an Informationen stillen. Stündlich, zwischen 6 Uhr und 10 Uhr auch halbstündlich, informiert der Sender über das Weltgeschehen. Doch die Informationen schießen in solch hoher Geschwindigkeit an mir vorbei als ob die Moderatoren dem Hörer bloß nicht zu viel zumuten und ihn schnell wieder in die Begleit-Musik entlassen wollen.

„1LIVE unterhält, informiert, bewegt die junge Zielgruppe“

Außerhalb der Nachrichten erfährt der Hörer kaum Neuigkeiten mit Mehrwert. Laut der Homepage des WDR soll 1Live soll die „junge Zielgruppe“ unterhalten, informieren und bewegen. Statt anspruchsvollen und kritischen Themen setzt 1Live zumeist aber nur auf seichte Unterhaltung. Laut einer ARD-internen Statistik aus dem Jahr 2011 werden nur 7,1 Prozent der Sendezeit für Themen aus dem Bereich Kultur und Bildung verwendet.

13.43 Uhr: Die Prominenten-Berichterstattung wird mit einem Porträt des Schauspielers Joseph Gordon-Levitt fortgesetzt, das zuerst interessant scheint. Bei genauerer Kontrolle enthält dieses Porträt aber exakt die Infos aus Levitts Wikipedia-Artikel.

15.20 Uhr: Ein neuerlicher medialer Gefühlsausbruch von Jennifer Aniston bringt die Redaktion auf die Idee, die fünf skurrilsten medialen Gefühlsausbrüche der Promis zusammenzustellen, wobei Tom Cruise Platz 1 einnimmt. Ob die Verantwortlichen die Promi-Nachrichten schon zu den 7,1 Prozent Kultur und Bildung zählen? Relevant für die kulturelle Bildung sind sie jedenfalls nicht.

Umstrukturierung bringt keine Veränderung

Dabei erklärten die Programmverantwortlichen in einer Pressemitteilung nach der Programm-Umstrukturierung im Januar 2007, 1Live wolle „mehr Inhalt“ und „intensivere Wortbeiträge“ senden, um sich dadurch mehr von der privaten Konkurrenz abzuheben. Doch so eine öffentliche Aussage ist schon Indiz dafür, dass sich 1Live bereits stark dem Programm von Privatsender angenähert hat, denn sonst müsste man sich nicht so deutlich abgrenzen.

Aber 1Live ist immer noch nicht dafür bekannt, Hintergründe, Tiefe oder Kritik in ihren Wortbeiträgen zu haben.

Wortbeiträge unterhalten zwar, informieren aber nur selten. Foto: Christian Seidel/pixelio

Wortbeiträge unterhalten zwar, informieren aber nur selten. Foto: Christian Seidel/pixelio

16.38 Uhr: Ein Reporter berichtet von der Veganer-Messe in Essen mit zwei Mettbrötchen in der Hand. Obwohl er einen veganen Döner gegessen hat, steht er noch auf beiden Beinen, berichtet er erstaunt. Auch die beiden Moderatoren stimmen im Anschluss die gleichen Töne über Veganer an. Inhaltlich wird sich nicht mit Veganismus auseinandergesetzt. Hauptsache das Programm ist lustig und einfach gestrickt. Und ich ärgere mich, dass die wenige Zeit für Wortbeiträge dafür benutzt wird, Themen an der Oberfläche zu kitzeln, bis sie von sich aus anfangen zu lachen. Dann doch lieber Musik. Doch auch hier singt Taio Cruz nur darüber, eine Frau wie ein schnelles Auto zu fahren.

Der Sieg der Dudelmusik

18.05 Uhr: Nach Taio Cruz und der Erinnerung an die letzten sieben Stunden Musik bringt die Erkenntnis, dass die  Musikrotationen auf ähnlichem Niveau wie die Wortbeiträge sind. Zumindest im Tagesprogramm sind sie deutlich auf Durchhörbarkeit getrimmt, ohne den Hörer zu sehr zu fordern. Bloß nicht abschalten, aber auch bloß nicht zu sehr interessieren.

Wenn Musik schon der Schwerpunkt des Senders ist, sollte man sich wenigstens hier von der privaten Konkurrenz abheben. Doch 1Live wird seinem eigenen Anspruch auf „innovativen Pop, Rock und Alternative“ kaum gerecht. Zu sehr überschneidet sich die 1Live-Musik mittlerweile mit der der privaten Konkurrenz und sogar mit dem Schwester-Sender WDR 2.

Dann keimt nach vielen Enttäuschungen am Vorabend Hoffnung auf: Eine Hörerin berichtet für 1Live in der Reihe „Eine Woche in…“  von einem Musikfestival aus Israel und informiert über ihren Alltag und Unterschiede in der Festivalkultur. Hier kann man immerhin einen Mehrwert für den Hörer finden, denn der Bericht ist nicht nur zum Durchhören, sondern wird der Selbsttitulierung von 1Live als „Hinhörsender“ gerecht.

Initiative für mehr Anspruch im Radio

Doch ein interessanter drei-minütiger Beitrag binnen neun Stunden Programm ist zu wenig, um einem Bildungsauftrag nachzukommen und dafür die in den letzten zehn Jahren um mehr als elf Prozent gestiegenen Gebühren zu legitimieren. 1Live ist in dieser Entwicklung der Programmverflachung anscheinend nicht der einzige Sender. Denn seit mehreren Jahren protestieren Initiativen in einigen Bundesländern gegen die Annäherung der öffentlich-rechtlichen an die privaten Sender, zum Beispiel die „Radioretter“ in Nordrhein-Westfalen.

Viele Hörer scheinen ähnlich zu denken. Denn bei der Rangliste des Internet-Radio-Dienstes phonostar gewinnen Radiosender mit vielen Wortbeiträgen an Beliebtheit. Der Deutschlandfunk war 2011 auf Platz zwei der meistgehörten Radiostationen und das Deutschlandradio Kultur auf Platz acht. Der beliebteste Sender des vergangenen Jahres war zwar noch SWR3 doch im Moment liegen bei phonostar sogar der Deutschlandfunk vor dem Deutschlandradio Kultur auf den ersten beiden Plätzen.

Wer lange hört, wird belohnt

20 Uhr: Aber 1Live kann auch anders: Um 20 Uhr beginnt die alternative Musikrotation und mit ihr erhebt sich 1Live langsam aus der Asche. Im Radio wie im Fernsehen werden die Perlen des Programms ganz weit hinten im Programm versteckt. Wer lange durchhält und -hört, wird dafür belohnt. Wegen einer packenden Kurzgeschichte höre ich zum ersten Mal an diesem Tag bewusst und intensiv Radio. Ansonsten interessiert die Sendung Plan B mit Autorenlesungen, Reportagen, Radiokonzerte und interessante Gesprächspartnern. 1Live kann also doch spannend, informativ und anspruchsvoll sein.

Übrigens hat 1Live in der phonostar-Rangliste an Beliebtheit verloren. 2010 noch der beliebteste Radiosender, fiel er 2011 auf Platz drei zurück und ist derzeit Vierter. Kein Wunder: Denn wenn es bei 1Live interessant wird, ist der Durchschnitts-Hörer schon im Bett. Dabei hätte es an diesem Radio-Tag deutlich dringendere Gründe gegeben, das Radio einfach abzuschalten.

Teaserfoto: aka/pixelio

1 Comment

  • BerndB sagt:

    Absolut richtig analysiert. 1live hält Niveau für ne Creme. Ich frage mich ob die Moderatoren zufrieden sind mit dem was sie tun, oder ob sie sich nicht auch wünschten im Leben doch eine andere Bahn einzuschlagen, als den ganzen Tag Dünnschiss von sich zu geben.

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