Keine Chance für das Panik-P

 

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Sommerzeit ist Klausurenzeit: Während der Aufschieber sein Wissen, das er sich in der Nacht zuvor in den Kopf gehämmert hat, hektisch zu Papier bringt und vor dem Vergessen rettet, hat das Arbeitstier die Situation längst unter Kontrolle und fliegt durch die Aufgaben. Die Herausforderung? Für beide die gleiche. Ihr Weg dorthin? Komplett verschieden. Eine kleine Expedition durch die Bildungswüste.

Es ist so verdammt gut vorbereitet, dieses Arbeitstier. In seinem Wirken gehört es zu den zehn Prozent der Studierenden, die die zur Verfügung gestellten Folien schon am Nachmittag nach der Vorlesung hektisch heruntergeladen haben und sofort durcharbeiten. Trotz dieses Non-Stop-Lernens kann das Arbeitstier niemals ruhen. Auch wenn alle Materialien mehrfach von links nach rechts und von oben nach unten durchgearbeitet sind, gibt es immer noch dieses kleine, neue Detail. Und noch eins. Und noch eins. Gegenüber seinen Kommilitonen ist es dem Arbeitstier mehr als unangenehm zu seinem Tatendrang zu stehen. Inhaltliche Diskussionen zum Stoff verfolgt es eher zurückgezogen in der ständigen Angst, doch noch etwas vergessen zu haben.

Derlei Sorgen sind dem Aufschieber vollkommen fremd. Auf seinen Lern-Plan angesprochen, rechnet er mit ausufernder Selbstverständlichkeit vor, wie viele Tage noch bis zur Klausur verbleiben – Noch zehn, noch neun, noch acht… „Wenn ich jetzt anfange, habe ich die Hälfte sowieso wieder vergessen!“ Seine eigene Methode kommt diesem Matheakrobaten erst zwei Tage vor der Klausur irgendwie komisch vor. Die Gelassenheit weicht aufkommender Hektik. Freunde des Aufschiebers müssen jetzt erstmal ohne ihren Ruhepol auskommen.  

Unter sich sind diese beiden mehr oder weniger geselligen Typen im Hörsaal bei Weitem nicht. Da sind noch die anderen. Sie sind immer dort, diese…

Gewissensberuhiger: Wie der Aufschieber, lässt auch er in der Vorlesungszeit im Zweifel fünf gerade sein und kümmert sich nicht weiter um seine Unterlagen. Die Panik setzt bei ihm aber deutlich eher ein – in der Regel zwei Wochen vor der Prüfung. Von jetzt auf gleich wird ihm das Ausmaß der Katastrophe und der Umfang des Stoffes bewusst. Ab jetzt lernt sich der Gewissensberuhiger in einen Rausch, dem er erst entkommen kann, wenn alle Präsentationen und Texte handschriftlich zusammengefasst sind. Dass vom durchgearbeiteten Material noch so gar nichts im Kopf angekommen ist, wird unter dem Motto „Das schaff ich mir dann später drauf“ verdrängt. Bis „später“ dann gleichbedeutend mit „zwei Tage vor der Klausur“ ist, prahlt der Gewissensberuhiger vor seinen Freunden mit seinem Arbeitseifer und stellt sein gesamtes Umfeld auf eine harte Probe.

Naturtalente: Ist es über weite Teile des Semesters komplett unauffällig und umgänglich, erhebt sich das Naturtalent in der heißen Phase schnell zum Feindbild. Lernen fällt bei ihm aus, weil es nicht notwendig ist. Das Naturtalent weiß es. Und es weiß, dass alle anderen es auch wissen. In inhaltliche Diskussionen bindet es sich allenfalls mit verwirrenden Zwischenrufen ein. Egal wie unvorbereitet es auch wirken mag, das Naturtalent fliegt vollkommen gefahrlos durch die Klausur.

Panik-Macher: Lange Zeit präsentiert er sich als unauffälliger Einzelkämpfer. Ein trügerischer Schein, denn spätestens zwei Stunden vor Klausurbeginn bricht es aus ihm heraus: Ab jetzt bringt er sämtliche Gruppenchats zum Glühen und sorgt mit wenig fundiertem Halbwissen und verwirrenden Fragen für allgemeine Verunsicherung. Nach endlosen Diskussionen, die immer mehr Leute unverschuldet in die Panik-Lawine reißen, ist die Grenze zwischen Wahrheit und Wahnsinn bestenfalls noch ein Trampelpfad – direkt am Abgrund zur schlaflosen Nacht.

Teams: Dieser Zusammenschluss erweist sich nicht selten als unberechenbare Waffe. Das Duo besteht zumeist aus zwei latent nervösen Freunden, die sich spätestens drei Wochen vor der Klausurphase gegenseitig zu Höchstleistungen treiben. Beinahe täglich konfrontieren sie sich gegenseitig mit ihrem eigenen Lernfortschritt. Was auf das Umfeld abschreckend bis abstoßend wirkt, treibt das Team stetig voran. Doch Achtung: Wird der Abstand zwischen Partnern zu groß, sollte sich das Duo einvernehmlich trennen – zum Schutze der Freundschaft.

Detailverliebten: Sein ganzes Wissen presst er auf hunderte Karteikarten, die er immer und überall dabei hat und/oder in seiner gesamten Wohnung (selbstverständlich ohne Rücksicht auf seine Mitbewohner) verteilt. Er weiß alles, völlig unerheblich ob klausurrelevant oder eben nicht. Sicherheit gibt ihm das trotzdem keinesfalls. Sein gigantisches Wissen prüft er immer wieder selbst, indem er es ungefragt seinen Freunden, der Familie oder auch dem Haustier vorträgt. Ständig lauert der Detailverliebte auf aufkommende Fragen, um sich selbst zu testen. Seid ihm nicht böse, der will – ganz der Fiffi – nur spielen!

Jeder lernt anders

So verschieden alle Lerntypen ihren Weg zum ersehnten Schein beschreiten, so gleich ist ihre Ausgangslage: Alles Kopfsache! Das sagt zumindest Lern-Coach Daniel Dias, Berufsschullehrer und Dozent an der privaten Fachhochschule Göttingen: „Grundsätzlich haben alle Menschen die gleichen Voraussetzungen zum Lernen.“ Unterschiede gebe es demnach nicht in der Hardware, sondern in der Software des Kopfes, sagt Dias. Denn jeder lerne anders.

„Viele Studierende bekommen früher oder später das Gefühl, dass der Stoff viel zu umfangreich ist“, sagt Dias. Diese Mischung aus Verunsicherung und Überforderung verursache in den Köpfen unnötigen Stress und Frust. „Das führt dazu, dass wir uns nicht gerne mit dem Lernen auseinander setzen“, sagt er. Dabei ist Entspannung greifbar nah: „Häufig hilft es schon, sämtliche Emotionen auszuschalten und den Stoff aufgeräumt anzugehen.“ Man müsse sich nur nachdringlich genug bewusst machen, dass alle Lernstrapazen zeitlich begrenzt seien. Auch das Stellen der Sinnfrage erweise sich häufig als Lern-Bremse. „In jedem Fall bringt es nichts, in den Modus des bockigen Kleinkinds zu schalten und unter der Devise ‚Mathe kann ich nicht!’ zu starten“, sagt Dias. In seinen Lern-Seminaren gibt er Studenten und Schülern wertvolle Tipps.

Ordnung ist das ganze Leben

Um kurz vor der Klausurphase nicht komplett orientierungslos vor dem immer weiter wachsenden Unterlagen-Berg zu sitzen, lohnt sich laut Daniel Dias ein frühzeitiger Überblick – wenn möglich schon in der ersten Woche des Semesters. „Man kann schon früh die eigenen Interessen ausloten und Prioritäten setzen. Wofür kann ich mich begeistern, wo möchte ich ohnehin nur bestehen? Ordnung ist beim Lernen das ganze Leben. Wer immer aufgeräumt hat, muss nicht lange suchen.“ Ein häufiger Strategiefehler sei es zudem, dass sich Schüler und Studenten beim Lernen häufig zu sehr auf ihre Schwächen konzentrieren – und schon sei der Stress wieder da.

Die intensive Lernphase sollte dann keinesfalls nur am Schreibtisch verbracht werden. Vielmehr gilt es, möglichst viele Sinne in die Pauk-Einheiten einzubinden. „Es hilft schon, wenn man sich den Stoff einmal abschreibt und dabei laut vorliest, oder sich Teile auf Band spricht und immer wieder abhört. Man lernt nicht nur über die Augen“, rät Dias. Auch Bewegung nach Vorbild des Active-Office helfe in vielen Fällen.

Hoffnung für Spät-Lerner

Wem das alles zu kompliziert und aufwendig ist, muss die Hoffnung auf keinen Fall schon aufgeben. „Auch das Bulimie-Lernen, bei dem man sich in kurzer Zeit möglichst viel Inhalt in den Kopf schafft, kann man nicht grundsätzlich verurteilen. Das ist alle eine Frage des Lerntyps“, beruhigt Dias.

Und was ist dran am Mythos „Lernen am letzten Tag vor der Klausur ist wirkungslos“? Zum Glück nicht viel. „Man unterscheidet zwischen oberflächlichen und tiefenverarbeitenden Lernmethoden. Wer sich für das Bulimie-Lernen entscheidet, kann theoretisch bis zum Hörsaal seine Unterlagen durcharbeiten und nach Klausurbeginn alles auf Notizzetteln vor dem Vergessen retten.“ Wer seinen Lern-Plan langfristig und mit Weitsicht anlegt, kann sich dagegen entspannt zurücklehnen. „Was der Mensch verstanden hat, das weiß er und vergisst es nicht mehr so schnell. Dafür können ab Semesterbeginn schon zehn bis zwanzig Minuten am Tag reichen. Große Lernblöcke sind dann gar nicht mehr nötig“, sagt Dias. Nur eins ist für den Coach absolut tabu: „Aufgeben gilt nicht!“

Tipps vom Experten:

1. Frühzeitig Gedanken machen!
Was möchte ich in welchen Kursen erreichen? Was interessiert mich besonders, wo möchte ich eigentlich nur bestehen?
2. Prioritäten setzen!
Möchte ich in einer Klausur nur über die Runden kommen, weil mich das Thema nicht interessiert, sollte ich auch nicht zu viel Energie und Nerven investieren.
3. Emotionen ausschalten!
Es bringt wenig, sich immer wieder über die Hürden bis zur Klausur Gedanken zu machen. Aller Lern-Schmerz ist zeitlich begrenzt. Wer auch für das scheinbar Belanglose Begeisterung entwickelt, dem wird das Lernen spürbar leichter fallen.
4. Nicht nur mit den Augen lernen!
Die entscheidende Lernphase sollte sich nicht auf den Schreibtisch beschränken. Auch die Ohren freuen sich über mehr oder weniger spannende Inhalte. Ganz wichtig bei allem Stress: Bewegung nicht vergessen.

Teaserfoto: GotCredit/flickr.com

 

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