Arzt – Deutsch: Eine Übersetzung bitte!

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Wenn ein Patient mit einem Befund in der Hand aus der Arztpraxis kommt, ist er oft nicht schlauer als vorher. Wofür steht die Abkürzung HWS? Und was bedeutet Spondylophytenbildung? Hilfe findet er auf der Onlineplattform „Was hab‘ ich?“. Dort kann er seinen Befund übersetzen lassen – von Arztsprache in verständliches Patienten-Deutsch. Diesen ehrenamtlichen Job machen Medizinstudenten aus ganz Deutschland. Eine von ihnen ist die 24-jährige Nina Engel aus Münster.

Ein Patient verlässt eine Arztpraxis irgendwo in Deutschland, in der Hand hält er seinen Befund. Dort steht zwar, was er hat – aber er versteht es nicht: „Steilstellung der HWS bei Höhenminderung der Cervikalen Disci und Spondylophytenbildung der cervikalen Segmente.“ Arztsprache eben, für einen Nichtmediziner ungefähr so aufschlussreich wie Klingonisch für einen Nicht-Star-Trek-Fan. Der Patient fragt sich: Ist das jetzt schlimm? Wird er sterben müssen, oder hat er doch nur eine einfache Verspannung? Ein Mediziner mag wissen, was eine Spondylophytenbildung ist. Der Ottonormal-Patient allerdings nicht.

Hier kommt Nina Engel ins Spiel. Einige Zeit später sitzt sie in ihrer Dachgeschosswohnung in Münster und schaut sich genau diesen Befund auf ihrem Laptop an. Die 24-jährige Medizinstudentin übersetzt Befunde dieser Art in verständliches Patientendeutsch. Sie ist im Team von „Was hab ich?“, einer Initiative von Medizinstudenten und Ärzten, die solche Übersetzungen ehrenamtlich machen. „Ich finde es wichtig, dass man versteht, was man hat“, sagt Nina.

Über die Initiative
„Was hab ich?“ ist eine Initiative, die im Jahr 2011 gegründet wurde. Das Ziel: Patienten sollen ihre Befunde verstehen und dadurch eine bessere Gesundheitskompetenz entwickeln. Patienten können ihre Befunde auf der Onlineplattform www.washabich.de einschicken und bekommen kostenlos eine verständliche Version zurück, die von Medizinstudenten ab dem 8. Semester und von Ärzten übersetzt wurde. Alle Mediziner stehen unter der Schweigepflicht. Mittlerweile sind es fast 28.000 Befunde, die die Patienten besser verstanden haben. Die Initiative ist gemeinnützig, nicht gewinnorientiert und wurde mehrfach ausgezeichnet.  

Sie selbst habe früher das Glück gehabt, Ärzte zu erleben, die gut und verständlich erklären konnten, sagt Nina. Aber in ihrem Umfeld habe sie Überforderung mit Befunden schon erlebt. Kurz nachdem sie mit dem Medizinstudium begonnen hat, kamen die ersten Bekannten und alten Schulfreunde mit medizinischen Fragen auf sie zu. „Damals habe ich schon probiert, denen das in normaler Sprache zu erklären.“

Dann hat ihr Bruder ihr „Was hab‘ ich?“ gezeigt. Er hat ein paar Semester vor ihr angefangen, Medizin zu studieren. Und Nina war schnell klar, dass sie sich auch dort engagieren möchte, sobald sie darf – also ab dem 8. Semester: „Man braucht eine gewissen Erfahrung“, sagt sie selbst. Dann könne man aber auch gut übersetzen. Oder zumindest schnell nachschlagen, wenn man einen Begriff mal nicht kennt. Bei den ersten Befunden gibt es von der Initiative noch Hilfestellung durch ein Handbuch und erfahrenere Übersetzer. Und auch später können sich die Teammitglieder gegenseitig in einer Community helfen und austauschen.

Erfahrung sammeln für den Arztberuf

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Das Skelett Herbert steht in der Wohnung von Nina.

Nina sieht ihr Ehrenamt als Win-Win-Situation. Einerseits versteht der Patient seinen Befund. Und andererseits kann auch sie selbst etwas von den Übersetzungen mitnehmen – in ihr Studium, aber auch in ihren späteren Beruf: „Wenn ich mich in ein Thema hineinlese, bilde ich mich für mich selber. Und wenn ich das dann noch verständlich erkläre, speichere ich das so für mich ab und habe meine Wortgerüste, wie ich das später auch meinen Patienten erklären kann.“

Die Kommunikation mit Patienten ist auch Bestandteil des Medizinstudiums in Münster. In einem Kurs üben die Studenten spätere Alltagssituationen mit Schauspiel-Patienten und bekommen hinterher ein Feedback von den Kommilitonen. „Die Arzt-Patienten-Beziehung ist wirklich eine richtige Beziehung, man muss auf einer Ebene sein“, sagt Nina. Je nach Alter und Vorwissen der Patienten müsse man unterschiedlich mit ihnen sprechen. Darin möchte sie möglichst viel Praxiserfahrung sammeln, zum Beispiel bei ihrem Nebenjob im Krankenhaus und bei ihrem Ehrenamt bei „Was hab ich?“. Überlastet fühlt sie sich dabei nicht: „Wir haben zwar viele Veranstaltungen an der Uni und müssen auch viel Stoff lernen. Aber ich finde, die Kunst am Medizinstudium ist, sich seine Menschlichkeit zu behalten und in den späteren Arztberuf hineinzutragen.“

Der Befund wird gut, wenn die Übersetzung Spaß macht

Seit mittlerweile acht Monaten ist sie im Team von „Was hab‘ ich?“ und hat in dieser Zeit über 30 Befunde übersetzt. Wenn sie sich in den internen Bereich auf der Onlineplattform einloggt, sieht sie eine Übersicht über die offenen Befunde und kann sich diese erst einmal anschauen. Dann stellt sie sich die Frage: Habe ich Lust auf diesen Befund? „Lust ist einfach eine Sache, die muss man haben. Wenn du dich aufraffen musst, dann verlierst du die Freude dabei und der Befund wird auch nicht so gut“, sagt Nina. Sie möchte später Orthopädin werden und übersetzt deswegen meistens auch Befunde aus diesem Bereich, zum Beispiel über die Wirbelsäule, die Hüfte oder das Knie.

Wenn der Befund sich rund um ein bestimmtes Untersuchungsverfahren, ein Organ oder einen Teil des Bewegungsapparates dreht, beschreibt Nina das immer direkt am Anfang. Damit der Patient weiß, warum bei ihm beispielsweise eine Ultraschalluntersuchung gemacht wurde oder wie eine Niere grundsätzlich funktioniert. Um das zu verdeutlichen, fügt sie Abbildungen ein und beschriftet die: „Damit der Patient weiß, wo was ist. Manche Dinge sind klar, zum Beispiel, dass die Halswirbelsäule wohl im Halsbereich sein wird. Aber manche Dinge kann man nicht gut zuordnen.“ Erst dann fängt sie mit der eigentlichen Übersetzung an – Satz für Satz und Begriff für Begriff. Um das verständlich hinzubekommen, hilft ihr ein einfacher Trick: „Ich überlege dann selbst: Als ich angefangen habe mit dem Studium, was wusste ich damals darüber? Und dann kann man das ganz gut erklären.“

Nina ist eine reine Übersetzerin, sie kann und darf nicht interpretieren oder Fragen des Patienten beantworten. Die muss der Patient seinem Arzt stellen. „Zu einer umfassenden ärztlichen Untersuchung gehört es einfach, dass man den Patient gesehen hat und keine Ferndiagnostik macht“, sagt Nina. Wie lange sie für eine Übersetzung braucht, ist ganz unterschiedlich. Der kürzeste Befund war nach 20 Minuten übersetzt, an manchen sitzt sie aber auch einen ganzen Abend. „Das hängt immer von dem Flow ab, in dem man so ist.“

„Die Patienten haben alle eine Geschichte“

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Nina Engel übersetzt die Befunde an ihrem Laptop.

Wenn der Patient seinen übersetzten Befund von Nina bekommen hat, kann er ihr eine Rückmeldung geben. „Ich bekomme eigentlich immer eine. Das finde ich auch sehr schön, es bestätigt einen natürlich darin was man tut und dass man das gut gemacht hat, also dass der Patient einen verstanden hat.“ Der Patient kann ein bis fünf Sterne für Ausführlichkeit und Verständlichkeit vergeben und zusätzlich einen Freitext-Kommentar schreiben. „Da gibt es wirklich schöne“, sagt Nina Engel: „Ich habe halt meinen wunderbaren Nachnamen, der immer sehr viel Aufsehen erregt, da hatte ich auch schon Kommentare zu.“ Es sei ein schönes Gefühl, zu wissen, dass sie jemandem geholfen hat.

Weil die Befunde geschwärzt und damit anonym eingeschickt werden, weiß Nina bei ihrer Übersetzung fast nichts über die Patienten. Hin und wieder fragt sie sich schon, wie es ihnen wohl gerade geht oder was sie machen. Manche Patienten erzählen ihr in der Rückmeldung auch, wie es mit ihnen weitergegangen ist, wie es ihnen mittlerweile geht und welche Untersuchungen noch gemacht wurden. Nina findet es schön, das zu verfolgen: „Die Patienten erzählen mir ihre Geschichte dann weiter. Sie haben ja alle Geschichten.“

5 Tipps für den Arztbesuch
  1. Fragen direkt stellen: „Es gehört zu unserem Beruf, Patienten zu erklären, was sie haben“, sagt Nina. Deshalb sollte man den Arzt um eine verständliche Erklärung bitten.
  2. Sich trauen, zu fragen: Es gibt Studien, die belegen, dass Patienten Angst davor haben, gegenüber den Ärzten als dumm dazustehen. Viele sind eingeschüchtert, wenn bei der Visite im Krankenhaus viele Ärzte um das Bett herumstehen und auf sie herunterschauen. „Es gibt leider immer noch das Bild, dass der Arzt der Halbgott in Weiß ist“, sagt Nina.
  3. Schauen, wie der Arzt reagiert: Häufig haben Ärzte wenig Zeit und manchmal auch keine Lust für Erklärungen. „Aber auch da würde ich erst einmal probieren, das aktiv einzufordern“, sagt Nina.
  4. Nicht Dr. Google fragen: „Ich würde nicht mit meinem Befund zu Google gehen und das würde ich auch nicht mit meinem Symptomen machen“, sagt Nina. Da würde man nur Angst bekommen: „Da sind dann lückenhafte Informationen und man versteht es nicht richtig und dann kommt man ins Grübeln.“
  5. Befund bei „Was hab‘ ich“ einschicken: Dort nehmen sich motivierte Medizinstudenten Zeit dafür, den Befund von Arztsprache in verständliches Patienten-Deutsch zu übersetzen. 

Teaser-/Beitragsbild: Anne Palka

Auf der nächsten Seite gibt es ein Beispiel für eine Übersetzung – und die Auflösung, was denn eigentlich eine Spondylophytenbildung der cervikalen Segmente ist. 

 

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