Skurrile Sportarten: Ungewöhnlich wichtig

Headis, Roboter-Fußball, Aerobic Step, Hirschrufen, Schlammfußball – eine ganze Woche lang haben pflichtlektüre-Autoren über skurrile Meisterschaften berichtet. Dabei ist es schade, dass diese Sportarten wohl von einer breiten Masse nur belächelt und nicht als vollwertige Sportart betrachtet werden. Denn diese jungen Sportarten zeigen uns, was wirklich wichtig am Sport ist, meint pflichtlektüre-Autor Stefan Dierkes.

Im knöcheltiefen Schlamm Fußball spielen oder auf einer Tischtennisplatte einen Ball von Seite zu Seite köpfen? Das wirkt vielleicht auf Nichtkenner beim ersten Anblick gewöhnungsbedürftig. Aber es muss ein ähnliches Gefühl sein, das Menschen Mitte des 19. Jahrhundert hatten, als Fußball auf einmal populär wurde. Denn solche Sportarten bedürfen eigentlich nur unserer Gewöhnung, doch der Anblick ist wohl noch zu neu und die Sportarten zu jung, als dass sie schon flächendeckend als gleichwertig zu den etablierten Sportarten angesehen werden.

Trotz Schlamm-Ummantelung scheint diese Teilnehmerin Spaß zu haben. Foto:

Bei der "Wattolümpiade" spielen die Teilnehmer für einen guten Zweck. Foto: wattoluempia.de, Teaserfoto: Jens Rusch/www.wattopedia.de

Aber solche Sportarten erfüllen eine äußerst wichtige Funktion: Sie zeigen uns auf, was der wahre und richtige Gedanke hinter Sport ist: Spaß am Spiel und an der Bewegung. Denn dieser Gedanke ist in etablierten Sportarten durch die Eventisierung und das große Geld in den Hintergrund gerückt.

Hinter jungen Sportarten wie Headis oder Schlammfußball stehen keine großen Investoren, Verbände und Funktionäre, die mit Geld versuchen, auf das Spiel und die Vereine Einfluss zu nehmen. Im Gegenteil: hier wirkt der Sport noch basisdemokratisch. Denn die Regeln werden nicht von Institutionen auferlegt, sondern die Sportler dieser Sportarten bestimmen die Regeln noch selber mit. Das führt dazu, dass sich die Sportler mehr mit dem Sport identifizieren können, da sie selber aktiver mitwirken.

Sport wird zu stark als Geschäft betrachtet

Diese wichtige Identifikation ist bei großen und populären Sportarten wie Fußball nicht mehr so stark, da hier das Geld und die Menschen, die es besitzen, zu viel Einfluss haben und das Spiel selber rückt in den Hintergrund. Das hat den Fußball in den vergangenen Jahren eher hin zum Schlechten entwickelt. Gerade in England oder Spanien, aber auch in Deutschland haben in den vergangenen Jahren reiche Unternehmer ganze Vereine aufgekauft und behandeln den Verein jetzt als ihr Statussymbol, ohne Kontakt mit der Fan-Basis aufzunehmen. Wie zum Beispiel die jetzigen Besitzer des Fußballklubs Manchester United, die aus einem der reichsten Klubs der Welt einen der Höchstverschuldetsten gemacht haben.

Foto: Ruhr-Universität Bochum

Mit Headis verdient keiner der Spieler Geld. Foto: Pressestelle Ruhr-Universität Bochum

Mit solchen Alleingängen beschädigen Investoren das Image des Sports, weil sie Vereine nur als Wirtschaftsunternehmen führen und keine gesellschaftlichen Aufgaben übernehmen, die für einen Sportverein aber grundsätzlich sind, da er genau dafür auch eine staatliche Förderung bekommt. Da ist es nicht verwunderlich, wenn Fans sich von ihren Lieblingsvereinen alleine gelassen und entfremdet fühlen und sich auch reine Sympathisanten nicht mehr mit den Entwicklungen in einer Sportart identifizieren können und sich nach anderen Optionen umschauen oder gleich neue Sportarten entwickeln.

Neue, frische, dynamische Sportarten wie Headis oder Schlammfußball wirken in dieser Beziehung einfach unverbrauchter und sympathischer, da hier Geld (noch) gar keine Rolle spielt, sondern einzig allein des Spaßes wegen gespielt wird, egal wie viele Leute zuschauen. Die Sportler verdienen in diesen Sportarten kein Geld, was ja bei vielen Sportarten schon teilweise im Amateurbereich der Fall ist und somit auch hier reichere Klubs schon die größten Möglichkeiten haben.

Sport ohne Hintergedanken

Gerade im Radsport werden immer wieder Doping-Fälle bekannt. Foto: Hans-Peter Reichartz/pixelio.de

Gerade im Radsport werden immer wieder Doping-Fälle bekannt. Foto: Hans-Peter Reichartz/pixelio.de

Auch hat man bei Sportarten wie Schlammfußball oder bei der Step-Aerobic nicht permanent den Hintergedanken, ob dort auch alles mit rechten Dingen zugeht. Aktuell hat die Tour De France im Radsport wieder gezeigt, dass es trotz strikter Kontrollen immer wieder einige “Sportler“ versuchen, sich durch die Einnahme von Doping-Mitteln einen illegalen Vorteil zu verschaffen. So etwas scheint bei den vorgestellten Sportarten nicht denkbar, da hier auch das Gewinnen einen anderen Stellenwert hat. Es ist hier nur wichtig, seinen Körper fit zu halten und Spaß an dem Sport zu haben; nicht wer am Ende oben auf dem Treppchen steht.

Aber es ist wohl nicht nur der Fokus auf den Spaß, der für die Zunahme von neuen Sportarten sowie deren schnelle Bekanntheit in den vergangenen Jahren verantwortlich ist. Viele Menschen wollen sich nicht mehr nur mit den etablierten Sportarten zufrieden geben. Lieber selber aktiv werden, etwas Neues, Ungewöhnliches machen oder selber mit Freunden eine Sportart konzipieren. Durch einen hektischen und stressigen Arbeitsalltag legen wir immer mehr Wert darauf, unsere Freizeit sinnvoll und besonders erfüllend zu nutzen, um etwas zu tun, was nicht schon ganz viele anderen Leute machen.

Kultureller Austausch durch Sport

Da diese Sportarten immer mehr an Beliebtheit gewinnen ist es auch sinnvoll, Wettbewerbe und Meisterschaften auszutragen, um der Sportart eine Plattform zu geben und sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. So können die Sportarten ihren Bekanntheitsgrad noch erweitern und machen viele Leute auf sich aufmerksam, die dann vielleicht selber Lust am Spiel gewinnen und sich gleich mit Initiatoren in Kontakt setzen können.

Außerdem finden sich auch Menschen aus verschiedenen Regionen oder sogar Ländern zusammen, da sie den gleichen Sport spielen und dies dann gemeinsam tun wollen. Exemplarisch dafür ist die Gummistiefelweitwurf-Meisterschaft in Würzburg, die von der Deutsch-Finnischen Gesellschaft Bayern veranstaltet wird. Hier wird also nicht nur der Sport gefeiert, sondern auch die Beziehungen zwischen Finnen und Deutschen gefördert. Auch bei den anderen Meisterschaften lernen sich Menschen aus verschiedenen Kulturen im Zuge des Sports kennen.

Wettbewerb ja, aber ohne Druck

Ein leeres Siegertreppchen. Foto: Ute Pelz/pixelio.de

Zwar gibt es bei den vorgestellten Sportarten auch Sieger, doch der Spaß steht generell mehr im Fokus. Foto: Ute Pelz/pixelio.de

Zudem liegt es in der Natur des Menschen sich in Wettkämpfen zu messen. Denn Konkurrenz belebt die Leistung. Man schaut sich bei anderen Spielern Techniken ab, sieht was man selber noch besser machen kann. So trägt die Wettkampf sogar zur Verbesserung der eigenen Qualitäten bei. Und trotz des Wettkampfcharakters scheint bei den Sportlern dieser neuen Sportarten immer noch der Spaß im Vordergrund zu stehen. Zum Beispiel haben bei Headis-Meisterschaften alle Teilnehmer einen Wettkampfnamen. So sind “Don Heado Corleone“ oder “Headi Potter“ zurzeit auf der offiziellen Headis-Rangliste in den Top 10.

Dadurch wirkt dadurch der Wettkampf deutlich sympathischer als bei etablierten Sportarten, wo Gewinner überschwänglich gefeiert werden, aber bei Niederlagen sofort die Sympathie entsagt wird. Auch hier hat man in der jüngsten Vergangenheit mit dem Abschneiden der deutschen Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft ein gutes Beispiel dieses übergeordneten Leistungsdenkens.

Für den guten Zweck in den Dreck

Die vorgestellten alternativen Sportarten schwören von diesem Denken davon ab und schaffen es vereinzelt, neben dem Spaß sogar noch etwas für den guten Zweck zu tun. Bei der “Wattolümpiade“ in Brunsbüttel, Schleswig-Holstein, werden zum Beispiel die Einnahmen an die Schleswig-Holsteinische Krebgesellschaft gespendet. Hier spielen die Teilnehmer Fußball, Handball, Volleyball und anderen Sportarten, wälzen sich dabei im Watt und haben so in den vergangenen vier Jahren 70.000 Euro erspielt, die dann gespendet worden sind. Wenn man es also schafft, den Spaß am Sport mit karitativem Engagement zu verbinden, so sind Meisterschaften, egal wie merkwürdig sie auf den ersten Blick auch sein mögen, sehr zu begrüßen.

Ein Elfmeter bei der Roboter-Weltmeisterschaft. Foto:

Roboter zum Fußballspielen bringen durften kürzlich mehrere TU-Studenten bei der Roboter-Weltmeisterschaft. Foto: Nao Devils

Ein anderer guter Zweck von skurrilen Sportarten wie beim Beispiel Roboter-Fußball: er kann Bestandteil der Ausbildung sein und somit jungen Menschen beim beruflichen Werdegang helfen. Hier haben die zwölf Informatik-Studenten der TU Dortmund ihr theoretisches Wissen so praxisnah wie nur möglich umsetzen können. Und wer wünscht sich nicht so ein praxisnahes Studium?

Keine Anfangshindernisse

Vor allem aber lösen all die vorgestellten Sportarten etwas in uns aus, was für Sport generell am wichtigsten ist: Sie regen zum Mitmachen an. Wenn man sieht, wie sich erwachsene Menschen in den Schlamm schmeißen nur um einen Ball in ein Tor zu schießen, dann will man das auf jeden Fall auch ausprobieren. Oder man will selber versuchen, einmal eine Hirschstimme zu imitieren und vielleicht damit, wie der vorgestellte Hirschrufer Tasso Wolzenburg, einen echten Hirsch anlocken. Und das Gute ist: Es gibt bei diesen Sportarten kaum Anfangshindernisse: Zum Beispiel braucht man beim Headis, Schlammfußball oder beim Aerobic Step kaum spezielle Ausrüstung oder Kleidung, von daher kann jeder sofort mitmachen.

So helfen diese auf den ersten Blick kuriosen Sportarten, dem Sport an sich wieder ein besseres Image zu geben. Sport ist nicht als Geschäft zu begreifen, sondern soll in erster Linie schlicht und ergreifend fit halten und Spaß machen. Durch die wachsende Popularität und mediale Aufmerksamkeit wird dieses Image weiter verbreitet und formt ein gesundes und wichtiges Gegengewicht zu den etablierten, institutionalisierten Sportarten, in denen der eigentliche Sport zu oft hinter dem Geld zurückweichen muss und dadurch abgehoben, intransparent und weit weg von den Fans und den Hobbysportlern wirkt.

1 Comment

  • Thomas W. sagt:

    Hatte das Glück letztes Jahr bei einer „Watt Olympiade“ mal vor Ort zu sein. Es war lustig anzusehen. Die Erwachsen fühlten sich sichtbar in Ihrer Kindheit zurückversetzt. Habe selbst auch Probeweise mal an einer Disziplin teilgenommen, aber so eingesaut habe ich mich dann doch nicht, anonsten hätte ich garantiert verbot bekommen die Ferienwohnung zu betreten 🙂
    Gruß
    Thomas aus Nürnberg

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