Die S1 als Theaterbühne

Man fühlt sich ein bisschen wie in London, Paris oder Berlin, wenn mitten in der Bahn plötzlich Gitarrensaiten und Gesang erklingen. Nur wird bei „S1-zigartig“ kein Geldbeutel in der Bahn herumgereicht, sondern ein unterhaltsames Kulturprogramm zur Metropole Ruhr geliefert.

Erwin Kröttenkötter führt durchs Programm„Augen zu machen“

Erwin Kröttenkötter führt durchs Programm

„Schönen Guten Tag, meine Damen und Herren. Mein Name ist Erwin Kröttenkötter und ich werde Sie durch das Ruhrgebiet führen“, ertönt es am Dortmunder Hbf, kurz nachdem der Zug angefahren ist. Einige Fahrgäste schauen sich verwirrt um, andere beginnen zu grinsen.

Ein Vater, der seine drei Kinder mitgebracht hat, wusste von der Aktion, andere werden auf ihrem Heimweg überrascht:  S1-zigartig ist ein Projekt zur Kulturhaupstadt 2010 das zwischen Dortmund und Duisburg Hbf stattfindet.

„Lassen Sie sich verzaubern von der Internationalität des Ruhrgebiets“ ruft Kröttenkötter.Damit gibt er den Auftakt für einer Stunde interaktives Programm.  So fordert er sie zunächst auf, die Augen zu schließen, damit er einen Zaubertrick durchführen kann.

Bei der Ankündigung, es gehe nach New York springt ein Mann auf: „Watt? New York? Ich will nicht nach New York!“ und eilt beim nächsten Halt aus der S-Bahn.

<a„More Pretty Girls“Danach folgt eine musikalische Einlage. Mit Mundharmonika und zwei Gitarren ertönt ‚More pretty girls than one’. Die internationale Reise beginnt; eine Frau versucht, die „Hobo“, eine Landstreicherzeitung, zu verkaufen, dabei reicht sie einem Mädchen etwas Süßes.

Sie erzählt von Wanderarbeitern, dem Leben unterwegs und wird von einer mürrischen, etwas herunter gekommenen Frau unterbrochen. In einem ständigen Wechsel lösen sich die verschiedenen Charaktere ab.

Während Kröttenkötter alle Schwarzfahrer verdammt und die „heilige“ deutsche Bahn lobt, durchstöbert Shakespeare die Abteile nach Inspiration und läuft dabei Hamlet, Lysander und Hermia aus dem Sommernachtstraum über den Weg. Ein „die Welt ist eine Bühne, auf der wir alle nur eine Rolle spielen“ hallt noch nach, als Fontane auf der Bildfläche erscheint und über Wirbelsturm Cyrill ablästert.

So geben sich ein amerikanischer, englischer und deutscher Kulturkreis die Hände, immer auf dem Weg durch das Ruhrgebiet – ein symbolisches Unterfangen.

Flamingos aus dem ZOOM
„Flamingos“

Flamingos aus dem ZOOM

Auch Alice im Wunderland erscheint in der Bahn,. Sie ist auf der Suche nach einem geeignetem Ort für ein Picknick – allerdings mit drei Geschwistern.

Auf Höhe von Essen (20:33) befindet sich der Zuschauer schlagartig im Orient Express von Agatha Christie – ein Mord wird aufgeklärt.

Die 30 Anglisten und Kulturwissenschaftler aus Bochum und Dortmund waren sich nicht zu schade, zahlreiche deutsche und ausländische Literatur in ein unterhaltsames Format zurecht zu stutzen, sodass einem auch bei wenigen Haltestellen Anwesenheit nicht langweilig wird.

Dabei war der Weg dahin alles andere als einfach – Prof. Dr. Jürgen Kramer, Dozent der anglistischen Kulturwissenschaft, hat lange gekämpft, bis er das Projekt realisieren durfte.

Im Oktober vergangenen Jahres erwuchs die Idee, die ‚Aorta des Ruhrgebiets’ – die S1–  zum Schauplatz einer Performance-Aktion zu machen. Auf die Genehmigung, bei der DB ein derartiges Projekt zu veranstalten, musste er drei Monate lang warten.

Unter der Bedingung, dass keine schweren Gegenstände, Lautsprecher oder der Strom des Zuges verwendet werden, bekam er sie sclussendlich. Aber das tut der Performance selber keinen Abbruch – sie schafft es, Menschen unterschiedlicher Herkunft zu verbinden: Im Zug, in der Thematik, aber auch im abschließenden Applaus an der Endstelle Duisburg Hmitfahren. Die Stunde Fahrt vergeht wie im Flug und vertreibt mit Sicherheit die schlechte Laune nach der Uni oder Arbeit.

Fotos: Julia Weiß

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